Über diese Brücke musst du gehen...
Es handelt sich ohne Zweifel um eine so genannte Tellerwäscherkarriere. Aydin Dogan aus Anatolien begann als Autoverkäufer und wurde zum mächtigsten Medienunternehmer der Türkei. Heute gehören ihm Fernseh- und Radiosender, dazu Verlage, Banken, Versicherungen, Reisefirmen, Tankstellen sowie Hürriyet und Milliyet, die größte beziehungsweise drittgrößte türkische Tageszeitung. Im Juni 2001 flog Dogan von Istanbul nach Berlin, im Gepäck deutschsprachige Hürriyet-Seiten, ein Geschenk an Johannes Rau, den deutschen Bundespräsidenten, den er ein Jahr zuvor kennen gelernt hatte. Bis dahin gab es die in Deutschland erscheinende Europa-Ausgabe von Hürriyet ausschließlich auf türkisch.
Wenn dann in der deutschen Öffentlichkeit mal etwas über den Inhalt eines Artikels bekannt wurde, folgte ein Aufschrei der Empörung – meistens jedenfalls. Gründe, sich zu empören, hatten ja viele. Dem Grünen-Politiker Cem Özdemir wurde Nähe zur kurdischen PKK unterstellt. Als Udo Steinbach, Leiter des Orient-Instituts in Hamburg, für eine politische Lösung der Kurdenfrage plädierte, erkannte Hürriyet auf Separatismus und erklärte Steinbach zum türkischen Staatsfeind. Der erinnert sich: „Die Angriffe hörten erst kurz vor dem Aufruf zu meiner Ermordung auf.“ Über Elcin Kürsat-Ahlers, Soziologie-Professorin an der Universität Hannover, schrieb Hürriyet: „Der Kopf der Schlange soll zerquetscht werden, wenn sie noch klein ist.“ Kürsat-Ahlers hatte in einem Vortrag über den Genozid an den Armeniern im osmanischen Reich gesprochen – in der Türkei ein Tabu-Bruch.
Inhaltliche Neuorientierung und Imagewandel
Für ihre Leser in Deutschland ist die Hürriyet so etwas wie die Nabelschnur nach Ankara. Die meinungsstarke Postille prangert Ausländerfeindlichkeit in Deutschland an, berichtet über Betriebsfeiern und türkische Interessenverbände. Das Deutschlandbild, das durch sie entsteht, ist überwiegend negativ – Türken in Deutschland erscheinen als Benachteiligte, die Türkei als glorifizierte Heimat. Dass so die Integration der beinahe zweieinhalb Millionen Türken in Deutschland nicht unterstützt würde, fiel 1999 auch der rot-grünen Bundesregierung auf. Cem Özdemir, in dieser Zeit innenpolitischer Sprecher der Grünen, hatte im Bundestag auf integrationsfeindliche Kampagnen in türkischen Zeitungen hingewiesen. Prompt begann das Bundespresseamt (BPA), Hürriyet auszuwerten. Rückblick: Im April 2000 bereist Bundespräsident Johannes Rau die Türkei. Während des Staatsbesuches wird ihm auch Aydin Dogan vorgestellt. Der Bundespräsident rät dem Medien-Multi, mäßigend auf seine Publikationen einzuwirken. Und Dogan, im Land ein lautstarker Befürworter des EU–Beitritts der Türkei, wird hellhörig. Im folgenden Jahr druckt die Europa-Hürriyet Raus Berliner Rede zum Thema Integration unter dem Titel „Zusammenleben“. Vorn auf deutsch und hinten auf türkisch – ein erstes Zeichen der Verständigung. Und Dogan trat nun in den Dialog mit Vertretern aus dem BPA und des Bundesinnenministeriums. Renko Thiemann, Leiter des Länderreferats Asien im BPA, sagt: „Wir hatten einen sehr offenen Meinungsaustausch darüber, dass wir wenig Sinn dafür haben, wenn deutsche Politiker, Wissenschaftler, Journalisten sehr unsachlicher und kritisch verzerrender Berichterstattung ausgesetzt werden.“ Wenig später wurde der Leiter der Hürriyet-Europa-Ausgabe, Ertug Karakullukcu, abberufen. Er inszenierte als Chef-Kommentator die meisten strittigen Attacken.
Deutschsprachige Seiten als Brücke zwischen zwei Kulturen
Sein Nachfolger Nejat Secen gibt sich gemäßigt, was die Statistik des Deutschen Presserates belegt. 2001 gingen dort vier Beschwerden gegen die Hürriyet ein, 2002 keine einzige. Doch Secen kam auch, weil die Auflage rückläufig war. Zwei Jahre nach Dogans Besuch in Berlin zieht Udo Steinbach Bilanz: „Die Angriffe haben aufgehört.“ Der Orient-Institutsleiter führt das auch auf europapolitische Bestrebungen zurück: „Auf dem Weg in die EU kommt man an Deutschland nicht vorbei.“ Vor zwölf Monaten kam aber auch keine deutsche Partei an Hürriyet vorbei. Wohlwollende Bewertungen der Bundestagsgegner machte die Zeitung von der Haltung zum türkischen EU-Beitritt abhängig. Als Brücke zwischen zwei Kulturen sind jetzt die acht deutschsprachigen Seiten gedacht, die Hürriyet Europa heißen und nun seit anderthalb Jahren beiliegen. Halit Celikbudak, redaktionell verantwortlich, will die Jungen, die besser deutsch als türkisch sprechen, gewinnen. „Wenn Papa seine Hürriyet kauft, soll für seinen Sohn auch etwas dabei sein,“ findet er. Sohn, auch Tochter, kann also inzwischen Bikini-Schönheiten wie die „Sexygirls Sebnem und Ayse“ bewundern und den neusten Tratsch aus dem Pop-Geschäft verfolgen. Neben Christina Aguilera, Brad Pitt und Eminem tummelt sich in der Hürriyet Europa immer mal wieder Roland Koch. Der hessische Ministerpräsident schicke ihm regelmäßig Angebote für den wöchentlichen Gastkommentar, sagt Celikbudak.
Seit neuestem bemüht sich das Team der Hürriyet Europa besonders um Bildungsthemen. Anfang August kam ein Bericht über das „Schnupperstudium“ heraus, außerdem las man, dass „Dönermacher, Döner-Fachverkäufer und Pizzabäcker“ in Zukunft Ausbildungsberufe werden sollen. Dafür setze sich die Liberale Türkische Vereinigung ein. Mittlerweile werden vier der acht deutschen Seiten mit dem Fernsehprogramm gefüllt. Ahmet Külahci, Leiter des Berliner Büros der Hürriyet, findet: „Es wäre besser, wenn man innerhalb der Mutterzeitung zwei deutsche Seiten einrichten würde, die über türkeipolitische Themen informieren.“ Ob die deutschen Seiten ankommen, ist der Beilagen-Redaktion nicht bekannt, Leserumfragen sind intern angeblich nicht einmal erwünscht. „Die türkischen Zeitungen tragen Verantwortung dafür, Jugendliche politisch zu sensibilisieren“, findet die Soziologin Kürsat-Ahlers. Dass diese Verantwortung vor allem eine wirtschaftliche Bürde ist, zeigt das Beispiel der Persembe. Die deutsch-türkische Wochenzeitung, die donnerstags der „taz“ beilag, musste im Sommer 2001 mangels Abo- und Anzeigenkunden eingestellt werden. Weniger als zwölf Monate nach ihrem erstmaligen Erscheinen.
Quelle: Goethe-Institut, Julia Bonstein
© Süddeutsche Zeitung. Dieser Artikel ist erstmalig in der SZ vom 8. August 2003 erschienen.