Von meditativ bis brachial
Musiker arbeiten mit Klängen, das stimmt natürlich. Aber nicht nur. Bisweilen setzen sie auch auf die Stille, besonders dann, wenn sie ein leises, verhalten klingendes Instrument spielen. Ein solches Instrument ist die Oud, die arabische Kurzhalslaute, die gerade dann, wenn sie leise, fast flüsternde hörbare Töne produziert, ganz besonders suggestiv klingt.
Drei Musiker, die dieses Spiel zwischen Dynamik und Zurückhaltung ganz wunderbar beherrschen, sind die Brüder Samir, Wissam und Adnan Joubran. "Majâz" heißt die jüngste CD des Trios, in dem die Musiker, allesamt die Oud spielend, auf temporeiches Spiel, Geschwindigkeit und rasend schnelle Läufe setzen. Doch auch stille Töne und Linien finden sich.
Ihr Rhythmus nimmt allmählich an Fahrt auf, lässt sich gelegentlich aber auch Zeit für verhaltene Dialoge - die Ausführung und Entwicklung eines Themas, das ein Spieler an den nächsten weiterreicht und ihm zur weiteren Ausdeutung überlässt. Den Orient mag man noch hören in ihrem Spiel, allerdings kommt er deutlich abstrahiert, in minimalen Anklängen daher.
Die Oud und der Fado
Grundsätzlich ruhig lässt es auch der Oud-Virtuose Rabih Abou-Khalil angehen. Auf seiner jüngsten CD arbeitet er mit dem Fado-Sänger Ricardo Ribeiro zusammen. Ein melancholisches Instrument und eine melancholische Gesangstradition: Das ist sehr viel Melancholie auf einmal. Darum haben Abou-Khalil und Ricardo Ribeiro sie etwas unter Druck gesetzt: Ribeiro meidet die allzu tristen Anwandlungen des Fado, und Abou-Khalil setzt ihm mit seinem Instrument hart zu, begleitet ihn mit energischer, teils ruppiger Spielweise.
Diese Distanz zum Ausgangsmaterial liegt ganz auf Abou-Khalils künstlerischer Linie: Er sei in erster Linie kein Botschafter seines Landes, erklärt der Libanese, sondern Musiker, wenn man ihn auf sein Instrument anspricht. Er betont den Umstand nicht umsonst: Die Oud wird wie wenige andere Instrumente sonst mit einem bestimmten Kulturkreis, nämlich dem der arabischen Welt, in Verbindung gebracht. Nein, auf den Orient als Referenzrahmen wolle er sich auf keinen Fall festlegen lassen, erklärt er. Als Jazzmusiker sei er immerzu auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten.
Verse von Mahmoud Darwisch
Nicht alle Oud-Spieler haben sich dem Bruch mit dem Orient so konsequent verschrieben wie Rabih Abou-Khalil. Sein Landsmann Marcel Khalifé etwa hat sich der musikalischen Traditionen der arabischen Welt oft ausgesprochen ungehemmt bedient. Heraus kamen bisweilen reichlich fragwürdige musikalische Varianten dessen, was der palästinensisch-amerikanische Literaturwissenschaftler Edward Said vor Jahren einmal als "Orientalismus" bezeichnet hat: die Bedienung sämtlicher Klischees, die sich mit der arabischen Welt so verbinden lassen. Nun aber hat Khalifé mit "Taqasim" eine CD vorgelegt, auf der er einen ganz neuen Stil pflegt.
Auf der Platte interpretiert er auf seinem Instrument Werke des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwisch, eine Deutung, die den oft düsteren Ton des Lyrikers überwindet und sich auch von allen regionalen Bezügen verabschiedet. Begleitet wird Khalifé von Peter Herbert am Bass und seinem Sohn Bachar an verschiedenen Percussionsinstrumenten. Darüber ist eine wunderbar leichte, elegante CD entstanden, voll anmutiger, aber niemals süßlicher Melodien. Leicht und luftig sind diese Linien, scheinbar schwerelos entsteigen sie der Oud und lassen sich nur gelegentlich vom kräftigen Spiel des Basses verdrängen. Auf bestechende Weise modern ist diese CD, kein rein am Jazz orientierts Werk, aber auch keines, das sich eindeutig der arabischen Musik zuordnen ließe.
Reiz der Elektronik Einen entschiedenen Stilmix pflegt auch der tunesische Oud-Spieler Dhafer Youssef, der regelmäßig mit dem vietnamesisch-französischen Jazzgitarristen Nguyên Lê oder anderen Größen des Genres, etwa dem Percussionisten Mino Cinelu , dem Trompeter Markus Stockhausen oder dem Bassisten Renaud Garcia-Fons auftritt. Schlagzeug und Bass geben einen energischen Rhythmus vor, darüber legt sich dann ein Synthesizer, auf dem Youssef dann sein meist elektrisch verstärktes Spiel entfaltet.
Sämtliche Möglichkeiten der modernen Elektronik vom Echo bis zum Klangverzerrer nutzend, nähert sich Youssefs Spiel den Rhythmen des Jazz - einer Ästhetik, die ihren Reiz aus all jenen Experimenten bezieht, die die Rockmusiker der letzten Jahrzehnte so angestellt haben.
Dass sich die Oud noch härter, ungleich härter spielen lässt, hat in letzter Zeit der algerisch-französische Musiker Mehdi Haddab unter Beweis gestellt. Oft, berichtet er, habe er mit westlichen Musikern auf der Bühne gestanden. Dabei sei er immer wieder mit dem Problem konfrontiert gewesen, dass man sein Instrument nicht habe hören können.
Daher konstruierte er eine elektronische Oud, mit elektrischen Tonabnehmern und einem eigenen Verstärker. Seitdem ist seine Oud nicht mehr zu überhören, und Haddab nutzt die neuen Möglichkeiten nach Kräften. Sein Spiel orientiert sich ganz am modernen Rock, ja sogar Hardrock. Riffs und Einzeltonspiel, wie man es sonst meist nur von Gitarristen aus Hardrockbands kennt - rasante Läufe, ein verzerrter Klang, dazu ein oft ebenfalls elektrisches Schlagzeug und ein gern in tiefen Skalen gespielter Bass: Daraus entsteht ein ganz eigenes Genre, das sich ebenfalls kaum zuordnen lässt.
Das Spiel mit der Stille treiben moderne Oud-Spieler nur noch gelegentlich. Minder betörend spielen sie ihr Instrument darum nicht. Und in den schönsten Momenten besticht die Oud noch immer wegen ihres wunderbar ruhigen, fast singenden Tons.
Kersten Knipp
© Qantara.de 2008
Rabih Abou-Khalil, "Em portugues", Enja Le Trio Joubran, "Majâz". Harmonia Mundi Marcel Khalifé, "Taqasim", Nagam Records Dhafer Youssef, "Digital Prophecy", Enja Records Mehdi Haddab, "Kalashnik Love", New Bled