Im Dienst des Dialogs
Georges Chehata Anawati wurde am 6. Juni 1905 als sechstes von acht Kindern in Alexandria geboren. Seine griechisch-orthodoxen Vorfahren waren zwei Generationen zuvor aus Syrien nach Ägypten eingewandert. 1921, mit sechzehn Jahren, trat Anawati zur griechisch-katholischen Kirche über. Nach dem Abitur und dem Studium der Pharmazie in Beirut wandte Anawati sich immer stärker der Religion zu. 1934 trat er in den Dominikanerorden ein und studierte in Belgien und Frankreich Philosophie und Theologie.
Ab 1943 widmete Anawati sich im damals von Frankreich beherrschten Algerien der arabischen Sprache und der Islamwissenschaft. Gemeinsam mit dem französischen katholischen Philosophen und Islamwissenschaftler Louis Gardet veröffentlichte er eine "Einführung in die islamische Theologie" ("Introduction à la théologie musulmane"). 1948 promovierte Anawati an der Universität von Montreal in Kanada über den Schöpfungsbegriff bei Thomas von Aquin und bei Ibn Sina (Avicenna).
Von islamischer Naturwissenschaft bis zur Mystik
Nach seiner Rückkehr nach Kairo im 1944 wurde Anawati der erste Bibliothekar am neugegründeten "Dominikaner-Institut für Orientalische Studien ("Institut Dominicain des Etudes Orientales", kurz IDEO). Unter seiner Leitung wurde die Bibliothek des IDEO zu einer der besten in Kairo. Durch seine Arbeit – er wurde bald auch Direktor des IDEO – knüpfte Georges Anawati Kontakte zur Al-Azhar-Universität und zur Akademie der Arabischen Sprache. Die Arabische Liga suchte seine Mitarbeit für die Arbeitsbereiche Philosophie und islamisch-arabische Kultur.
Ferner hatte Anawati Lehraufträge an den Universitäten in Montreal, Leuven, Rom und an der Universität von Kalifornien (UCLA) in Los Angeles inne. Über 20 Jahre lang gab er auch Vorlesungen an der Fakultät für Pharmazie in Alexandria. Im Laufe seines langen akademischen Lebens verfasste Anawati insgesamt mehr als 250 Bücher und Aufsätze zu islamkundlichen Themen, von den islamischen Naturwissenschaften bis zur Mystik.
Anawati edierte arabische Originaltexte der islamischen Naturwissenschaft und Philosophie, schrieb Monographien zur Philosophie und Mystik des Islam, umfassende bibliographische Überblicke, Studien zur Geschichte und heutigen Standortbestimmung der kulturellen und religiösen Beziehungen zwischen Christen und Muslimen.
"Ich bin für eine Gesellschaft, die auf der Grundlage eines integralen theozentrischen Humanismus konzipiert und errichtet ist, der ohne Verlust für irgendjemanden die Forderungen des Christentums, des Islam und der zeitgenössischen modernen Welt erfüllt", so definierte Anawati einst die Basis für ein gerechtes und harmonisches Miteinander in pluralen Gesellschaften.
Päpstlicher Berater für den interreligiösen Dialog
Darüber hinaus war Georges Anawati jahrzehntelang Mitarbeiter und Berater verschiedener päpstlicher Gremien für den interreligiösen Dialog. Er nahm auch Einfluss auf die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen.
Georges Anawati war zweifellos eine der bedeutendsten Theologenpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, doch trotz seines umfassenden Beitrags zur christlich-islamischen Verständigung ist er der dem großen Publikum immer noch wenig bekannt. Das könnte sich nun zumindest im deutschsprachigen Raum ändern. Im Jahr 2010 ist die erste umfassende Biografie George Anawatis in deutscher Sprache erschienen.
"Er hatte wirklich viel Erfahrung im Dialog zwischen Christen und Muslimen", betont Gregor von Fürstenberg, Vorsitzender der Anawati-Stiftung. "Wenn die Erklärung des zweiten Vatikanischen Konzils 'Nostra Aetate' einen Funken Hochachtung für die Muslime ausdrückt, ein Quäntchen Respekt für jene Menschen, die an Allah glauben, dann sind das Texte, die weitgehend von Anawati bestimmt worden sind", so von Fürstenberg.
Initiative für konkrete Begegnungen
Die Georges-Anawati-Stiftung wurde vor genau zehn Jahren gegründet. Die Stiftung setzt auf kleine Projekte mit großem Potential: neben der Vergabe von Stipendien für innovative akademische Dialog-Projekte können das Vorhaben wie zum Beispiel die Ausbildung muslimischer Notfallseelsorger oder eine Wanderausstellung über den Alltag muslimischer Frauen in Deutschland sein. "Wir wollen vor allem konkrete Begegnungen ermöglichen. Dass man sich trifft und dabei positive, menschliche Erfahrungen macht", fasst Gregor von Fürstenberg im Gespräch mit Qantara.de die Vision zusammen. Sowohl Christen als auch Muslime müssten sich bewegen.
"Es hat keinen Sinn, alle Muslime in Deutschland oder weltweit unter einen Generalverdacht zu stellen. Es macht aber auch keinen Sinn, die Muslime in Deutschland und anderswo zu idealisieren", so der Theologe und promovierte Sozialwissenschaftler.
Neben den Begegnungsprojekten will die Stiftung der interessierten Öffentlichkeit ermöglichen, wichtige Aspekte modernen islamischen Denkens kennenzulernen. Dazu dient die finanzielle Unterstützung einer wissenschaftlich begleiteten Buchreihe, die beim Herder-Verlag erscheint. Die bisherigen vier Veröffentlichungen behandeln islamische Medizin-Ethik, moderne Koranauslegung in der Türkei, eine Einführung in das Denken des 2010 verstorbenen ägyptischen Islamwissenschaftlers Nasr Hamid Abu Zaid sowie einen Überblick über wichtige Reformtheologen im Iran, herausgegeben von der Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur.
"Wir wollen helfen, Berührungsängste abzubauen", betont Gregor von Fürstenberg. "Das gelingt, indem man sich besser kennenlernt, sowohl im direkten persönlichen Gespräch als auch durch das Studium von Ideen."
Diese mehrdimensionale, umfassende Herangehensweise passt zu Leben und Werk jenes Mannes, dem die Stiftung ihren Namen verdankt.
Martina Sabra
© Qantara.de 2010
Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de
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