Pilgerreise in den Orient
Im Spätmittelalter bildete sich eine Art Sakraltourismus heraus. Fromme und Abenteuerlustige brachen gen Osten auf, um heilige Orte und exotische Plätze zu besuchen. Domdekan Bernhard von Breydenbach notierte seine Eindrücke. Sandra Schmies hat sie gelesen
Am 25. April 1483 brach Bernhard von Breydenbach von Oppenheim am Rhein zu seiner Pilgerreise ins Heilige Land auf. In seinem Gefolge befanden sich der Graf Johannes von Solms, der Ritter Philipp von Bicken, der Utrechter Maler Erhard Reuwich, der Koch Johann und der Dolmetscher Johann Knuss. Zu Pferde gelangten sie nach 15 Tagen "mit nicht geringen Kosten und Umwegen" nach Venedig. Elitäres Pilgern Gewöhnlich mietete ein Pilger in Venedig einen Platz auf einem Pilgerschiff, das nach Palästina fuhr. Die Überfahrt war teuer und unkomfortabel. Reisewillige aus verschiedenen Ländern drängten sich auf kleinstem Raum. Das Essen war meist schlecht, und so mancher wurde während der Fahrt krank, denn die hygienischen Bedingungen waren miserabel. Wer es schaffte, stieg über seine Mitreisenden hinüber und verrichtete seine Notdurft auf Deck. Hinzu kam die Angst vor Schiffbruch und Kaperfahrten von Piraten. Dennoch war die Palästinareise eine elitäre Pilgerreise, da nur gut betuchte Pilger die beträchtlichen Reisekosten aufbringen konnten. Die Reise war daher besonders geeignet, das Prestige des Reisenden zu erhöhen. Im Spätmittelalter wird die Anzahl der europäischen Jerusalempilger pro Jahr auf etwa 300 bis 500 Personen geschätzt. Nach knapp zwei Monaten auf See erblickten Bernhard von Breydenbach und seine Begleiter das Heilige Land. Doch dem ersten erhebenden Augenblick folgte schnell Ernüchterung: Um Palästina betreten zu dürfen, mussten die Pilger erst um freies Geleit bei den Mamluken ersuchen. Breydenbach und seine Reisegenossen mussten sechs weitere, lange Tage auf dem Meer ausharren, bis die Hofleute des Sultans nach Jaffa kamen und ihnen die Erlaubnis zum Betreten des Landes erteilten. Gegenseitiges Misstrauen Nun wurden alle Pilger registriert und zur Kasse gebeten. Im Heiligen Land war nichts umsonst. Nicht selten wurden die Pilger während dieser Prozedur von den Mamluken in einer feuchten Höhle am Strand "zwischengeparkt" und nächtelang darin eingeschlossen. Man ließ die Besucher aus den Kreuzfahrerstaaten nicht gerne ohne Beaufsichtigung. Gleichzeitig wurden Neuankömmlinge von Franziskanischen Mönchen in Empfang genommen. Sie verstanden sich selbst als letzte Bastion der Rechtgläubigen im Heiligen Land und sorgten dafür, dass die Pilger Jerusalem in frommer Andacht und bei größtem Nutzen für ihr Seelenheil (es gab zahlreiche Ablässe zu erwerben) besuchten. Die Franziskaner bereiteten die Pilger wie moderne Reiseführer in mehreren Sprachen auf die Gepflogenheiten im Orient vor und organisierten den Aufenthalt in Jerusalem, indem sie mit ihnen Tagestouren zu den heiligen Städten unternahmen und teilweise auch für Unterkünfte sorgten. Breydenbachs Bericht über Palästina konzentriert sich ganz auf die Beschreibung der heiligen Stätten. Er beschreibt nicht nur den Ort des letzten Abendmahls oder den Leidensweg Christi, sondern auch den Stall, in dem das Lamm, das Jesus als Mahl zum Pessach gedient hatte, aufgezogen wurde. Praktisch jeder Ort war eine Sensation und barg einen Teil der Heilsgeschichte. Höhepunkt war natürlich der Besuch der Grabeskirche, wo die Pilger gegen Bestechungsgelder auch die Nacht verbringen durften. Über die orientalische Stadt Jerusalem erfahren wir indessen so gut wie nichts. Keine religiöse Toleranz Bernhard von Breydenbach geht in seinem Bericht aber auf Jerusalems Bewohner ein. Wieder steht der religiöse Aspekt im Vordergrund, denn der Geistliche erläutert die religiösen Irrtümer der in Palästina ansässigen Glaubensgemeinschaften. Dabei kommt ein nach Innen gerichteter Missionierungseifer zum Ausdruck: Breydenbach will vor allem die europäische Christenheit in ihrem Glauben bestärken, indem er den Islam als negative Kontrastfolie heran zieht. Das Bild, welches vom Islam und seinem Begründer Muhammad entsteht, setzt sich aus Fakten, Verfälschungen und frei Erfundenem zusammen. Muhammad, der als "Sohn Satans" und "unreinster Hund" beschimpft wird, sei von einem abtrünnigen christlichen Mönch erzogen worden und habe als junger Mann durch betrügerische Zeichen eine neue Glaubensrichtung gestiftet, die aber nichts anderes als eine Sekte oder Abspaltung der christlichen Kirche darstelle. Breydenbachs Ausführungen über den Islam und vor allem seine Verunglimpfungen resultieren allerdings kaum aus dem vor Ort Erlebtem, sondern wurden anderen zeitgenössischen Standardwerken entnommen. Auch die orientalischen Christen schneiden in seinem Werk nicht gut ab. Die Maroniten und Nestorianer bezeichnet er als Ketzer, da sie sich von der Heiligen Römischen Kirche getrennt haben. Ganz eindeutig wird hier der Anspruch der Römischen Kirche auf Absolutheit vertreten. Die Grenze zwischen Vertrautem und Fremden wird also durch die 'christianitas' definiert und gerät an dieser Stelle zu einer Dichotomie von Gut und Böse. Seine Berühmtheit verdankt Bernhard von Breydenbachs Pilgerbericht vor allem den beigegebenen, naturgetreuen Holzschnitten. Die Vorlagen hierfür fertigte der Maler Erhard Reuwich an. Seine Bilder zeigen die verschiedenen Glaubensgemeinschaften in einem ganz anderen Licht. Eine Gruppe Araber steht dort in prächtigen Gewändern und Waffen, hochgewachsene Frauen – eine davon verschleiert – scheinen den Männern beim Gespräch zu lauschen. Auch ein arabisches Alphabet wird – wenn auch fehlerhaft – abgedruckt. Diese Bilder zeigen ein durchaus positives bzw. aufgeschlossenes Interesse gegenüber den orientalischen Bewohnern, das über das Religiöse weit hinausgeht. Begegnungen mit Muslimen
Viele Pilger wandten sich nach Beendigung der verschiedenen Rundgänge in Palästina wieder der Heimat zu und fuhren mit den Pilgerschiffen zurück nach Venedig. Doch Breydenbach und seine Begleiter beschlossen weiter durch die Wüste zum Sinai und nach Ägypten zu reisen. Der Leser spürt, dass Breydenbach seine Franziskanischen Führer in Jerusalem hinter sich lassen musste, denn seine Bemerkungen über die fremden Landschaften und Menschen werden persönlicher und sind weniger auf den religiösen Gehalt der Reise eingeengt. Die Begegnungen mit den Muslimen, die hier meist als Sarazenen bezeichnet werden, sind einerseits durch den Ärger über unverhoffte Zollabgaben und Betrügereien, andererseits auch durch positive Erfahrungen geprägt. Er erzählt, dass die Menschen ihm und seinen Begleitern in der Wüste "um Gottes Lohn" Wasser anboten, obwohl sie es nur "mit großer Mühe" schöpften, oder dass sie sich einer Handelskarawane anschlossen, deren Mitglieder "ihnen nicht unangenehm waren". Auch führte er offenbar mit Hilfe seines Dolmetschers Gespräche mit den Einheimischen. Und immer wieder stellt Breydenbach fest, dass muslimische Pilger die gleichen Reliquien wie die Christen verehren. Doch das vorher gelieferte, offizielle Bild des Islam wird durch diese Begegnungen nicht revidiert. Zu statisch ist hier der Blick des Geistlichen. Der Orient als exotische Kulisse Erst bei seiner Beschreibung der Stadt Kairo berichtet Breydenbach von den Wundern und der Schönheit des Orients: „Der Palast des Sultans ist so groß, dass die ganze Stadt Ulm oder die halbe Stadt Nürnberg hineingeht. Viele kostbare Moscheen gibt es hier mit hohen Türmen, so dass ich glaube, dass nie zu Rom so viele Kirchen waren als hier Moscheen.“ Hier wird der Orient zur exotischen Kulisse voller Kuriositäten. Erstaunt beschreibt er zum Beispiel mittelalterliches Fast Food: Garküchen, die sich überall auf den Strassen Kairos befinden: "Wir sahen auch viele Sarazenen auf den Gassen und Straßen kochen (…). Viele tragen ihre Küchen auf dem Kopf durch die Stadt, das ist brennendes Feuer, siedende Töpfe und Bratspieße." Auch das Geschehen auf Sklavenmärkten fängt der Geistliche ein. Sie selbst werden irrtümlich für Sklaven gehalten und ein Kaufmann bietet ihrem mamlukischen Reiseführer zehn Dukaten pro Person. Schließlich darf - wie bei modernen Orientreisen - auch ein Besuch im Hamam nicht fehlen: "Viele von uns gingen in das Schweißbad, da die Sarazenen schöne Badstuben aus Marmor (…) haben. Auch beweisen sie gute Dienstbarkeit in den Bädern. Sie haben eine seltsame Weise die Glieder derer, die da baden, zu richten oder zu reiben." Nachdem die Pilger ihr touristisches Programm in Kairo abgeschlossen hatten, ging es über Alexandria auf dem Seeweg wieder zurück nach Venedig. Toleranz wäre fehl am Platz Liest man heutzutage den Reisebericht Bernhard von Breydenbachs, so bleibt man am Ende ein wenig ratlos zurück. Wie konnte der Domdekan üble Hetzreden gegen den Islam einerseits und die Bewunderung der muslimischen Sakralbauten andererseits nebeneinander stellen? Wie konnte er den Charakter von Muslimen einerseits unter Generalverdacht stellen und andererseits ihre Dienstbarkeit loben? Vieles hängt mit dem spätmittelalterlichen Literaturverständnis zusammen. Man bewegte sich noch in den engen Grenzen dessen, was von einem Pilgerbericht erwartet und was bereits zu einem früheren Zeitpunkt bezeugt wurde, damit die eigenen Aussagen nicht in Zweifel gezogen werden konnten. Es wurde von einem Literaten noch nicht verlangt, dass er etwas Neues erzählte. Vielmehr sollte er das bereits Bekannte und topisch Stabilisierte in einer anderen Form wieder aufgreifen. Auch darf nicht vergessen werden, dass Breydenbach als Domdekan von Mainz ein hoher kirchlicher Würdenträger war. Sein Pilgerbericht ist daher vor allem im mittelalterlich-christlichen Kontext zu lesen. Die Freuden einer Urlaubsreise zu betonen oder gar Toleranz gegenüber „Ungläubigen“ zu äußern, wäre nach spätmittelalterlichen Maßstäben völlig fehl am Platz gewesen. Dennoch enthält Breydenbachs Bericht erste 'aufklärerische' Züge. Allein die Tatsache, dass er das arabische Alphabet, ein deutsch-arabisches Wörterverzeichnis oder die Bildnisse der orientalischen Völker abdrucken ließ, sind Indizien dafür, dass er an einer objektiven Vermittlung des für ihn fremden Orients interessiert war. Sandra Schmies © Qantara.de 2005