Zeit der Gemeinschaft und Besinnung
Der Fastenmonat Ramadan bedeutet für viele Muslime eine Zeit der spirituellen Reflektion, Enthaltung, Selbstdisziplin und Großzügigkeit. Das allabendliche Fastenbrechen mit Einbruch der Dunkelheit wird als festliche Angelegenheit zelebriert. Arian Fariborz hat eine der Iftar-Veranstaltungen der Türkisch-Islamischen Union (DITIB) in Köln besucht.
Wenn gegen halb acht abends im großen Ramadanzelt der Türkisch-Islamischen Union im Kölner Stadtteil Ehrenfeld der Ruf zum Fastenbrechen ertönt, herrscht eine angespannte, aber besinnliche Atmosphäre. Rund 500 Muslime sind an diesem dritten Abend des islamischen Fastenmonats Ramadan an langen Bänken versammelt.
Der Saal, der mit bunten Luftballons in schwarz-rot-gold und türkischem Halbmond verziert ist, ist bis auf den letzten Platz besetzt. Gemeinsam sprechen alle Gläubigen ein kurzes Gebet, bevor sie mit dem Fastenbrechen beginnen.
"Ich denke, Ramadan ist die wichtigste Zeit für Muslime und entscheidend für unsere Religiosität", erklärt Dr. Ismail Altintas. "Viele Menschen kommen nach dem Fastenbrechen zum Gebet. Sowohl Männer als auch Frauen hören die Koranrezitation, was ebenfalls sehr wichtig ist. Der Imam rezitiert während des gesamten Fastenmonats jeden Tag ein Stück aus dem Koran."
Ein Zeichen der Solidarität
Dr. Altintas ist theologischer Referent der Türkisch-Islamischen Union, kurz DITIB, mit rund 130.000 Mitgliedern einer der großen Islamverbände in Deutschland. Er erläutert einen der zentralen Aspekte des Ramadan, die Stärkung des Gemeinschaftsgefühls unter den Muslimen:
Das Fasten vereine Junge und Alte, Arme und Reiche, Kranke und Gesunde. Und es soll vor allem Barmherzigkeit gegenüber jenen Menschen vermitteln, die oftmals Hunger leiden müssen.
Dr. Altintas betont, dass gerade die sozioökonomischen und sozialpsychologischen Faktoren des Fastens sehr wichtig seien: "Wenn wir während des Ramadan hungrig sind, gedenken wir der armen Leute, wenn wir mit leerem Magen leben, kehren wir in uns, beschäftigen uns mehr mit unserem Glauben und unserer Tradition".
Dass der Islam die Gerechtigkeit betone und dass während des Ramadan verstärkt die Möglichkeit dazu bestehe, den Bedürftigen zu helfen, hebt Dr. Altintas genauso hervor wie den egalitären Charakter des Ramadan.
Harte Währung für warme Mahlzeiten
"Wer das Bedürfnis hat, kann hier zu uns kommen – egal ob arm oder reich. Es gibt auch keinen Unterschied zwischen orthodoxen Muslimen und schiitischen Muslimen, vor allem im Ramadan. Die Theologie ist ein anderes Thema, aber im Ramadan haben wir alle die gleichen Gefühle", sagt er.
Um den durchschnittlich 500 bis 600 Muslimen täglich eine kostenlose Mahlzeit zur Verfügung zu stellen, ist die DITIB auf Mitgliedsbeiträge angewiesen. Doch damit nicht genug, weiß der Koordinator für die Essensausgabe bei der DITIB:
"Von unseren Gemeindemitgliedern bekommen wir zwar auch Spenden, aber zusätzlich haben viele große muslimische Firmen finanziell geholfen. Bis jetzt sind bereits die Gesamtkosten für 14 bis 15 Tage von ihnen übernommen worden. Darüber freuen wir uns natürlich sehr."
Er verrät, dass es heute Linsensuppe, Reis und Fleisch und noch ein Hauptmenü geben wird. Und zusätzlich Süßigkeiten – denn ohne Süßigkeiten ist Ramadan einfach undenkbar.
Nostalgie vergangener Tage
Doch was unterscheidet eigentlich die Feierlichkeiten zum Fastenmonat Ramadan in Deutschland von denen in der islamischen Welt? Gibt es überhaupt einen Unterschied? Davon weiß Bekir Alboga, Dialogbeauftragter der DITIB, aus eigener Erfahrung zu berichten:
"Es gibt hier zum Beispiel niemanden, der Mitternacht mit Trommeln auf die Straße geht und die Muslime aufruft: 'Steht auf! Es ist Zeit für das Frühstück vor der Morgendämmerung, bald beginnt Ihr mit dem Fasten!' Das machen wir hier aus Respekt nicht", sagt er.
Ein weiteres Beispiel ist der Kanonenschuss, der in den islamischen Ländern ertönt, wenn die Leute das Fasten brechen sollen, berichtet Alboga.
"Es war eines der schönsten Erlebnisse in meiner Kindheit: Wir gingen immer auf das Dach unseres Hauses und warteten ganz gespannt, sahen zuerst das Licht und dann hörten wir den Ton der Kanone. Ab und zu kommen wir auf die Idee, was wäre, wenn wir das auch in Köln machen würden, was würde man darüber denken? Außerdem hören wir keinen Gebetsruf vom Minarett."
Das sind natürlich Dinge, die Muslime in Deutschland vermissen, und er hoffe, dass die Reife der deutschen Demokratie es den Muslimen eines Tages erlauben werde, einige dieser Elemente zur Bereicherung der Kultur in Deutschland einführen zu dürfen, hofft Alboga.
Dankbarkeit und hoffen auf die Zukunft
Nichtsdestotrotz sind die DITIB-Mitglieder in Köln überaus zufrieden, dass sich die -Veranstaltungen seit nunmehr drei Jahren bei Muslimen, aber auch Interessierten anderer Konfessionen, wachsender Beliebtheit erfreuen – trotz gewisser Grenzen bei der Religionsausübung.
So sieht es auch Dr. Ismail Altintas: "Ich fühle mich nicht so, als wäre ich in der Diaspora, ich fühle mich hier meiner Heimatstadt verbunden. Die Türken leben seit 40 Jahren in Deutschland, und wir sind dem Staat, der Bundesrepublik Deutschland, dankbar dafür, dass uns so viele Möglichkeiten eröffnet wurden, um unsere Tradition und Religion ausüben zu können.“
Arian Fariborz
© DEUTSCHE WELLE 2006
Qantara.de
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