Vom Revolutionär zum Reformer
Als Ayatollah Hossein Ali Montazeri im November 1985 zum designierten Nachfolger von Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini gewählt wurde, deutete wenig darauf hin, dass Montazeri einmal einer der profiliertesten Vertreter der iranischen Reformbewegung werden würde. Vielmehr galt der Geistliche, der seit den 1960er Jahren zu den treusten Anhängern und engsten Vertrauten Khomeinis gehört hatte, als einer der entschiedensten Befürworter des Exports der Islamischen Revolution und als einer der prominentesten Verteidiger der Idee der "Herrschaft der Rechtsgelehrten" (welayat-e faqih), die er als Vorsitzender des Expertenrats nach der Revolution on 1979 in der Verfassung zu verankern geholfen hatte.
Schon währen der Proteste gegen die Politik des Schahs 1963 hatte Montazeri zum engsten Kreis um Khomeini gehört. Und nach dessen Verhaftung war er es, der durch die Organisation der Proteste des Klerus seine drohende Hinrichtung verhindert hatte. Khomeini dankte es ihm, indem er ihn in der Zeit seines Exils zu seinem Vertreter im Iran ernannte. Während der Revolution spielte Montazeri gegenüber anderen Geistlichen eher eine untergeordnete Rolle, doch war er nach 1979 der Einzige, der für die Nachfolge Khomeinis in Frage kam, da er als einziger hochrangiger Geistlicher die Idee der "Herrschaft der Rechtsgelehrten" unterstützte.
Scham für die Verstöße gegen die Rechte des Volkes
Montazeri betrachtete später seine damalige Rolle kritisch, auch wenn er behauptete, schon damals die demokratische Wahl und Kontrolle des Führers gewollt zu haben: "Ich, der, wie alle wissen, ein entschiedener Verteidiger der Herrschaft der Religion und ein Anhänger der 'Herrschaft der Rechtsgelehrten' gewesen bin – natürlich nicht in der bekannten Form, sondern in einer Weise, dass das Volk den Rechtsgelehrten wählt und seine Arbeit überwacht –und mich für die Verwirklichung dieses Zieles eingesetzt habe, empfinde nun in Erinnerung an die Ungerechtigkeiten, die in diesem Namen über das Volk gebracht werden, ein Gefühl der Schmach und schäme mich vor Gott angesichts des vergossenen Bluts und der Verstöße gegen die Rechte des Volkes."
Dieses Gefühl der Schmach begründet sich wohl auch in seinem eigenen Schweigen in den Jahren nach der Revolution. Denn im Gegensatz zu anderen Geistlichen hielt er sich in dieser Zeit mit Kritik an den Gewaltexzessen bei der Verfolgung tatsächlicher oder vermeintlicher Gegner der Revolution zurück, und auch von Protesten gegen die Einschränkung der Bürgerrechte ist aus dieser Zeit wenig bekannt. Zwar setzte sich Montazeri, der unter dem Schah selbst jahrelang Haft, Folter und Verbannung erfahren hatte, seit 1984 für eine Verbesserung der Haftbedingungen ein, doch erst 1987 begann er, sich offen für weiter reichende Reformen auszusprechen.
Ein Grund für seine zunehmend kritische Haltung war die Affäre um seinen Vertrauten Mehdi Hashemi. Dieser hatte im Mai 1986 die Verhandlungen des damaligen Parlamentssprechers Ali Akbar Hashemi-Rafsandschani mit den USA öffentlich gemacht. Auf Betreiben Rafsandschanis – und trotz des Protests von Montazeri – waren Hashemi sowie 14 seiner Mitarbeiter im September 1987 dafür hingerichtet worden.
Bruch mit Khomeini
In der Folge mehrten sich die Spannungen mit Khomeini, bis es schließlich im August 1988 zum Bruch mit seinem einstigen geistigen Vater und Vorbild kam, da Montazeri die von Khomeini angeordnete Hinrichtung aller inhaftierten Anhänger der Opposition als Verstoß gegen Recht und Religion scharf verurteilte.
Heute basiert Montazeris Glaubwürdigkeit nicht zuletzt darauf, dass er es damals als einziger wagte, gegen die Hinrichtungen zu protestieren. Der frühere Kulturminister Ataollah Mohadscherani etwa schreibt heute: "Wir alle schwiegen damals im Angesicht des Massakers an unserer Jugend, da wir glaubten, der Krieg rechtfertige dieses Schweigen und erlaube diese Morde, die in ihrer Rate beispiellos waren in unserer Geschichte. Von allen Offiziellen erhob sich allein eine Stimme: Die Stimme Ayatollah Montazeris, der gegen die Morde protestierte und daher von seinem Posten entlassen wurde.
Der Wert seines Handelns überwog jedoch den Wert jedes Amtes, das er hätte verlieren können." Direkter Anlass für Montazeris Sturz war eine Reihe von Reden, Interviews und Artikeln zum zehnten Jahrestag der Revolution im Februar 1989, in denen er eine zutiefst kritische Bilanz der Revolution zog. Nicht nur forderte er die Zulassung von Parteien, die Bekämpfung der Korruption und ein Ende der Verfolgung der Opposition, er warf der Regierung auch vor, die eigenen Ziele und Werte verraten zu haben, und kritisierte die Fortführung des Krieges gegen den Irak als unnötig und unberechtigt – ein direkter Angriff auf Khomeini.
Als kurz darauf auch noch die beiden Briefe, die er im August 1988 an Khomeini geschrieben hatte, in der BBC veröffentlicht wurden, war das Ende erreicht. Im März 1989 setzte Khomeini Montazeri, den er einst als 'Frucht meines Lebens' bezeichnet hatte, als Nachfolger im Amt des Revolutionsführers ab. Als Khomeini wenige Monate später im Juni 1989 starb, wurde Ali Khamenei zum Obersten Führer gewählt.
Mentor der Reformbewegung
Für Montazeri bedeutete dies den Verlust aller Macht, doch entwickelte er sich in den Folgejahren zu so etwas wie der geistigen Autorität der Reformbewegung, zu deren Legitimität er aufgrund seines religiösen Ansehens, ebenso wie seiner persönlichen Integrität beitrug. Denn auch wenn er wegen seiner einfachen Herkunft und seiner bäuerlichen Sprache oft belächelt und als Politiker nicht ernst genommen worden war, brachten ihm seine Bescheidenheit und sein Eintreten für die Rechte der Gefangenen und Verfolgten ungeachtet der Konsequenzen, welche dies für ihn hat, auch viele Sympathien im Volk ein.
Für Khamenei stellte Montazeri eine Herausforderung dar, zumal er selbst nur ein Gelehrter mittleren Ranges war, der vor seiner Wahl über Nacht zum Ayatollah ernannt wurde und daher in den Augen vieler Geistlicher nicht über die notwendige Qualifikation für das Amt des Revolutionsführers verfügte. Von Anbeginn war Khamenei daher bemüht, seine religiöse Autorität zu festigen.
Doch als seine Anhänger im November 1994 darum warben, Khamenei als Großayatollah anzuerkennen, weigerten sich Montazeri und andere Geistliche, einen solchen Eingriff des Staates zu akzeptieren, der die Unterordnung der Religion unter die Politik bedeutet hätte. In Montazeris Augen erhält der Revolutionsführer seine Legitimität erst durch die Wahl des Volkes, da Gott die Souveränität an das Volk übertragen hat und nicht, wie die Anhänger Khameneis behaupten, an den Revolutionsführer. Aus dieser Wahl begründet sich ein Vertrag, der den Führer gegenüber dem Volk verpflichtet. Nach der Vorstellung Montazeris soll der Revolutionsführer als geistige Autorität die Übereinstimmung der Politik mit dem Islam garantieren, nicht aber selbst die Macht ausüben.
Regentschaft nach Art der Könige
Wie Montazeri nach der Wahl des Reformers Mohammad Khatami zum Präsidenten in einer viel beachteten Rede im November 1997 kritisierte, liege alle Verantwortung beim Präsidenten, indessen die Macht in den Händen des Revolutionsführers konzentriert sei. Dieser habe sich mit einem Hofstaat umgeben, der dem eines Königs gleiche, und sich vom Volk entfremdet. Damals reagierte das Regime mit der Schließung seines Seminars und der Verhängung eines Hausarrests, der erst Anfang 2003 wieder aufgehoben wurde.
Seit 1997 hat sich die Situation im Iran grundlegend verändert. Eine Umverteilung der Macht zugunsten des Präsidenten, die, solange dieses Amt in der Hand eines Reformers lag, Sinn machte, bietet seit der Wahl des Hardliners Mahmud Ahmadinedschad offenkundig keine Lösung. In einer Zeit, da es scheint, wie Montazeri schreibt, "dass in Wahrheit der Staat unter der Herrschaft des Militärs, nicht der Herrschaft des Rechtsgelehrten steht", tritt die Debatte um die Macht und die Legitimität des Revolutionsführers in den Hintergrund.
Seit den umstrittenen Wahlen von Juni 2009 schien Montazeri selbst die Hoffnung auf eine Reform des Systems aufgegeben zu haben. In seiner innerhalb wie außerhalb des Irans viel beachteten Erklärung zur Legitimität des Regimes vom 11. Juli 2009 erklärte er, dass der Erhalt eines Regimes, das jede islamische und demokratische Legitimität verloren habe und nur noch auf Gewalt und Betrug basiere, keinen Wert besitze und es die Pflicht aller Gläubigen, allen voran der Geistlichkeit, sei, zu seinem Sturz beizutragen. Trotz dieser Worte von beispielloser Schärfe hat sich das Regime – anders als noch 1997 – damit begnügt, Montazeris Internetseite zu sperren, da man nicht riskieren wollte, dass der 87jährige Geistliche unter Hausarrest stirbt und somit zum Märtyrer wird.
Urs Sartowicz
© Qantara.de 2009