Öl ins Feuer
Das hätten sich die linken Anarchos und Blattmacher in den Anfangstagen ihrer Zeitung wohl in ihren kühnsten Träumen nicht ausgemalt: Man zittert im Weißen Haus vor ihnen! Und im Elyséepalast sind sie inzwischen Tagesgespräch!
Ganz so weit ist es zwar in Wirklichkeit nicht gekommen. Tatsache ist aber wohl, dass die dereinst von den jungen, "wilden" Linksradikalen gegründete französische Satirezeitung Charlie Hebdo in den letzten Tagen auf die außenpolitische Agenda gerückt ist: Die US-Regierung reagierte auf die Karikaturenaktion des Blattes ebenso wie Frankreichs Premierminister Jean-Marc Ayrault und Außenminister Laurent Fabius.
Doch damit nicht genug: Französische Schulen mussten vorübergehend geschlossen werden sowie Konsulate, Botschaften und Kultureinrichtungen in 20 Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung – von Nordafrika, dem Nahen Osten, Afghanistan, Pakistan bis nach Indonesien.
Um die Satirezeitung Charlie Hebdo war es lange Zeit ruhig geworden. Das einstige linke Fanal hatte in den späten 1990er Jahren seine frühere Radikalität verloren. Die Unterstützung der NATO-Intervention im Kosovo-Krieg sorgte für Streit und den darauffolgenden Austritt mehrerer Redakteure. Übrig geblieben sind wohl lediglich der provokante Tonfall und die demonstrativ antiklerikale Position des Blattes.
Aufwiegelung als Markenzeichen
In jüngerer Zeit hatte sich die Zeitung bewusst mehrfach mit gläubigen Muslimen angelegt. Und dies wurde in den Augen vieler Leser sogar zu ihrem Markenzeichen. Im Februar 2006, als nach der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Tageszeitung in mehreren Ländern Proteste vor einigen westlichen Botschaften stattfanden, ließ Charlie Hebdo prompt die Zeichnungen nachdrucken. Sie fügte sogar noch eigene Zeichnungen hinzu, die jedoch stärker die zeitgenössischen Fundamentalisten aufs Korn nahmen.
Auf der damaligen Titelseite sah man den Propheten Mohammed, der verkündete: "Es ist ein schweres Los, von Deppen geliebt zu werden!" Eine Strafanzeige, die von zwei muslimischen Verbänden gegen Charlie Hebdo gestellt worden war, führte im Februar 2007 zu einem Prozess. Jedoch wurde Charlie Hebdo letztlich vom Vorwurf der "rassistisch motivierten Hetze" freigesprochen.
Anfang November 2011 legte die Zeitung nach – und zwar mit einer Titelausgabe, die unter der Überschrift "Charia Hebdo" (Scharia-Wochenzeitung) erschien. Laut Angaben der Redaktion war dies eine Reaktion darauf, dass die Scharia in Tunesien und Libyen kurz vor der Einführung stehe.
Politische Legenden und Fehlinterpretationen
Diese Annahme gehörte zweifelsohne ins Reich der Fantasie. Denn in Tunesien hatte zwar die islamistische Partei "En-Nahdha" bei den Parlamentswahlen vom Oktober 2011 als stärkste Partei abgeschnitten, doch die Einführung einer fundamentalistischen Gesetzgebung stand auf keinen Fall bevor.
Im Gegensatz zu Libyen, wo das frühere Regime unter Muammar al-Gaddafi noch ein Gesetz erlassen hatte, das vorgeblich auf die Scharia gründete. Die an die Macht gekommenen Rebellen und die Übergangsregierung haben bislang auch keinerlei Änderungen vorgenommen.
In Frankreich wurde als Reaktion auf das angekündigte Erscheinen der Ausgabe das Redaktionsgebäude von Charlie Hebdo in Brand gesteckt. Die Webseite der Zeitung wurde zeitweise von Netzpiraten blockiert. Inzwischen ist bekannt, dass die Netzpiraten und die Internetattacken aus der Türkei kamen.
Gegenwärtig macht Charlie Hebdo also zum dritten Mal mit einem Titel zum Islam und seinem Propheten von sich reden. Bei vielen Linken, die die Satirezeitung sonst mal mehr und mal weniger schätzen, rief die Aktion bislang eher abschätzige Reaktionen hervor. Und nicht wenige gehen davon aus, dass das Blatt in wirtschaftlichen Krisenzeiten schlicht und einfach die Verkaufszahlen steigern wollte.
Provokation als Marketingstrategie
Aus der Redaktion hieß es lapidar, dass man lediglich auf aktuelle Themen reagieren wolle. Fakt ist jedoch, dass Charlie Hebdo – ähnlich wie im Jahr des Karikaturenstreits – eine seiner mit Abstand größten Verkaufserfolge verbuchen konnte. Die üblicherweise an Kioske ausgelieferten 75.000 Exemplare waren bereits am ersten Erscheinungstag vergriffen. "Viele Leute kaufen jetzt Charlie Hebdo, die diese Zeitung sonst nie lesen oder nicht einmal kennen", erklärte ein Pariser Kioskbetreiber.
Für die Regierung in Paris ist die Affäre um Charlie Hebdo vor allem hinsichtlich der Sicherheit relevant. Man befürchtet, dass sich der vor allem gegen die USA gerichtete, zum Teil von politischen Bewegungen wie den Salafisten instrumentalisierte Protest in Nordafrika und Asien nun auch gegen Frankreich richten könnte.
Außenminister Laurent Fabius, der von den Karikaturen in Charlie Hebdo während seines Aufenthalts in Kairo erfuhr, warnte davor, "Öl ins Feuer zu gießen". Und Premierminister Ayrault bezeichnete zwar die Freiheit der Meinungsäußerung als ein "fundamentales Gut", mahnte allerdings gleichzeitig zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dieser Freiheit.
Unterstützung erhielt das Satiremagazin dagegen aus dem Lager der politischen Rechten: Die Parteichefin des "Front National", Marine Le Pen, erklärte in Le Monde zwar, sie sei zwar keine Anhängerin von Charlie Hebdo, doch angeblich sei die Meinungsfreiheit bedroht, da man schon zu oft dem Druck der Fundamentalisten nachgegeben habe. Doch damit nicht genug: Die selbst ernannte Hüterin der Meinungsfreiheit bemühte sich bei der Gelegenheit um eine weitere politische Zuspitzung, als sie das Verbot von muslimischem Kopftuch und jüdischer Kippa im öffentlichen Raum forderte.
Bernhard Schmid
© Qantara.de 2012
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de