Hoffnung auf ein offenes Fenster zur Welt
Jasemin sitzt auf einem abgewetzten Sessel in einem schmucklosen, gefliesten Vorraum zur Bühne des "Al-Kasaba"-Theaters in Ramallah.
Sie ist 22 Jahre alt und vor wenigen Wochen in den ersten Ausbildungsjahrgang der Drama Academy Ramallah aufgenommen worden – zusammen mit zwei anderen Frauen und neun Männern. Der Lehrbetrieb hat noch nicht begonnen, aber sie sind trotzdem schon alle da.
Die Schauspielschüler diskutieren laut, lachen, singen. Zwölf aufgekratzte junge Leute, voller Energie und Tatendrang. "Die Sache mit dieser Drama Academy ist für uns alle eine Abenteuertrip", sagt Jasemin. Wenn man Glück anfassen könnte, hier müsste man zugreifen: Jasemins Gesicht leuchtet, wenn sie spricht.
Jasemin lebt in Beit Hanina, einem Stadtteil von Ost-Jerusalem. Jeden Tag muss sie mit dem Bus nach Ramallah fahren. Das bedeutet zwei Mal am Tag Warten am Checkpoint. "Rein geht's immer schnell", sagt sie. "Nur beim Rausfahren zieht sich's."
Jasemins Freude über ihren Studienplatz an der Drama Academy ist so umfassend, dass selbst der Gedanke an die tägliche Quälerei am israelischen Kontrollpunkt sie nicht bekümmert.
Verwirklichung eines Lebenstraums
Für George Ibrahim wird mit der Eröffnung der Drama Academy ein Lebenstraum wahr. Der Leiter des "Al-Kasaba"-Theaters ist 64 und selbst Schauspieler und Regisseur. Schon zu Beginn seiner eigenen Karriere hat er sich eine solide Ausbildung gewünscht.
"Alle Schauspieler, die heute in der Westbank tätig sind, arbeiten vor allem mit ihrem Talent", sagt Ibrahim. "Ich wollte diese Schule für diejenigen, die nach uns kommen. Sie sollen bekommen, was uns nicht vergönnt war: die Möglichkeit Theater von Grund auf zu studieren."
Sein Leben lang hat Ibrahim dafür gekämpft, unter den Bedingungen der israelischen Besatzung Kunst machen zu können. Seine Kunst: "Natürlich kann sich ein palästinensischer Künstler nicht mit der israelischen Kultur identifizieren und nie ein Teil von ihr werden", sagt George Ibrahim. "Das israelische Theater setzt palästinensische Künstler als Stereotype ein. Die palästinensischen Künstler haben die Nase voll davon."
Viele Jahre lang suchte George Ibrahim nach Partnern, die die Gründung einer palästinensischen Schauspielschule unterstützen. In Deutschland hat er sie schließlich gefunden.
Johannes Klaus, der Leiter der Bochumer Abteilung der Folkwang-Hochschule, und der Dramaturg Volkmar Clauß ließen sich auf Ibrahims Projekt ein und haben gemeinsam mit ihm ein Curriculum für den dreijährigen Bachelor-Studiengang entwickelt.
Schauspieler, Regisseure und Universitätsdozenten aus der ganzen Westbank und auch aus Deutschland werden die zwölf Studenten in Ramallah unter anderem in Stimmbildung, Textarbeit, Fechten und Akrobatik unterrichten. Auch die Schauspieltheorien von Konstantin Stanislawski und Michael Tschechow stehen auf dem Lehrplan.
Begegnungen auf Augenhöhe
Für George Ibrahim war die Kooperation mit seinen deutschen Kollegen eine kostbare Erfahrung. Vor allem, weil es, wie er sagt, "Begegnungen auf Augenhöhe" waren, frei von jeder mildtätigen Attitüde. "Wir haben über Shakespeare, Molière und Brecht, Stanislawski und Michael Tschechow gesprochen. Die Kollegen kamen nicht als koloniale Europäer mit ihren Vorurteilen gegenüber dem Nahen Osten. Sie haben einfach an uns geglaubt. An uns als Menschen."
Die deutschen Kollegen haben George Ibrahim auch bei der Suche nach Sponsoren unterstützt. Bei der Mercator-Stiftung, die sich vor allem in der Förderung innovativer Bildungsprojekte engagiert, sind sie fündig geworden. Sie finanziert 70 Prozent des Budgets der Schule, das sind insgesamt 300.000 Euro in den kommenden drei Jahren.
Auch das Auswärtige Amt hat sich für die Gründung einer Schauspielschule in den Palästinensergebieten gewinnen lassen. Es hat die Drama Academy Ramallah als einen Baustein in seine Initiative "Zukunft für Palästina" integriert.
Perspektiven im Alltag
Durch die Gänge des "Al-Kasaba"-Theaters weht in diesen Tagen ein kräftiger Hauch Hoffnung. Es ist die Hoffnung auf ein offenes Fenster zur Welt, auf eine lebendige kulturelle Szene und eine berufliche Zukunft in Palästina. Es geht hier weniger um den "Friedensprozess im Nahen Osten", von dem Politiker und Stiftungen in Europa so viel und gerne sprechen, es geht um Perspektiven im Alltag.
"Wir sollten nicht naiv sein", warnt George Ibrahim. "Nichts wird uns aus unserer Isolation befreien. Nur die Politik und die Politiker, nur die Mächtigen können das. Theater ist Theater. Eine Schauspielschule ist eine Schauspielschule. Sie kann die Realität des palästinensischen Volkes nicht verändern. Aber sie kann bessere Künstler hervorbringen und bessere Menschen, und zu einem besseren Verständnis des Theaters und des Lebens beitragen."
Ruth Kinet
© Qantara.de 2009
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