Kratzen am Mythos
Es war einer der erfolgreichsten Filme seiner Zeit. 1962 kommt das Orientepos "Lawrence von Arabien" in die Kinos, mit Peter O'Toole in der Hauptrolle, dazu Omar Sharif, Anthony Quinn, Alec Guiness, die besten und erfolgreichsten Schauspieler dieser Epoche.
Damit wird "Lawrence von Arabien" schlagartig berühmt; kein anderer Film hat die Wüste in so bezaubernd schönen Bildern ins Kino geholt. Der Film begründete den Mythos eines Helden, der in Wirklichkeit umstritten war und auch verachtet wurde. Der wahre T. E. Lawrence, der zwischen persönlicher Schüchternheit und medialem Größenwahn schwankte, wurde so unsterblich.
Selbst gemachter Mythos
T. E. Lawrenc war ganz ohne Zweifel ein herausragender Intellektueller seiner Zeit. Der 1888 in Oxford geborene Orientalist, Soldat, Archäologe und Schriftsteller inszenierte sich wie ein heutiger Popstar immer wieder neu und schuf seinen eigenen Mythos.
Selbst der aristokratisch anmutende Titel "Lawrence von Arabien" stammt von ihm. Nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg tingelte Lawrence sogar mit einer aufwändig inszenierten Diashow durch Europa.
Er schrieb seine Lebenserinnerungen, "Die Sieben Säulen der Weisheit – ein Triumph". Doch er blieb eine problematische Erscheinung. "Im Allgemeinen ziehe ich Lügen der Wahrheit vor, besonders wenn es um mich geht", schreibt er.
Wie geht man mit einer solchen Person um, die für die historische Wirklichkeit nur ein Schulterzucken übrig hat? Diese Frage stellt sich jetzt in Oldenburg, wo die erste Lawrence-Ausstellung auf dem Kontinent - "Genese eines Mythos" - noch bis Ende März zu besichtigen ist.
Nippes gegen Wahrheit
Kurator Detlef Hoffmann findet Lawrences problematischen Umgang mit der Wahrheit nicht schlimm: "Das war ja eine seiner Neigungen, die Dinge immer neu zu erzählen. Nicht nur sein Freund Bernard Shaw, ein Theaterautor und Politiker, sondern auch andere waren fest davon überzeugt, dass er wie ein Schauspieler oder wie ein Dichter mit seinen Erfahrungen poetisch umging. Sie haben ihm das überhaupt nicht als Lüge angekreidet, sondern als eine schillernde Darstellung. So entstehen Mythen."
Vielleicht. Aber das klingt auch reichlich naiv. Kann man Lawrence allen Ernstes heute noch eins zu eins ausstellen und sich fast jungenhaft an seinen Abenteuern berauschen?
Oder müsste man dem Schauspieler und Hochstapler Lawrence nicht näher auf die Pelle rücken, seine überaus problematische Rolle für das europäisch-arabische Verhältnis in neuem Licht sehen?
Während sich Kurator Hoffmann an all dem Nippes erfreut, die eine biographische Ausstellung auffahren kann, vertritt der engagierte und umsichtige Projektleiter der Lawrence-Ausstellung, der aus Syrien stammende Direktor des Oldenburger Museums, Mamoun Fansa, die entgegen gesetzte Position.
Die Ausstellung soll weder einen neuen Mythos entstehen lassen, noch den alten Mythos lebendig machen. "Das ist mein Ziel. Ich will Lawrence als Projektionsfläche haben, um die Geschichte des Nahen Ostens darzustellen", sagt er.
Biographische Devotionalienschau
Es muss mächtig geknirscht haben zwischen dem Kurator Hoffmann und Projektleiter Fansa, das konnte man schon in der Pressekonferenz deutlich spüren.
Die Ausstellung ist eine biographische Devotionalienschau. Sie trägt eindeutig die Handschrift des Kurators Hoffmann, und der betreibt eine unkritisch-schwärmerische Hagiographie.
Sie beginnt mit unendlich vielen, auf Plakatgröße aufgemotzten Comic-Strip-Bildern, die ganze Wände einnehmen, dann wird Lawrences Leben in aller Breite ausgewalzt. Gemälde, ein paar Waffen, der lammfellbezogene Schreibsessel des Helden und ein Motorrad des Typs, mit dem Lawrence 1935 tödlich verunglückte. Erklärt wird nichts, aussagekräftig ist nichts davon.
Der "Mythos" Lawrence wird in dieser brav-biederen museumspädagogischen Schau, die sich der Kurator selbst geschenkt hat, nirgendwo belegt. Dabei gäbe es doch so viel zu erzählen.
Lawrence war tatsächlich an der Entstehung des Nahen Ostens beteiligt – wenn auch in weit geringerem Maße als oft behauptet. Er spielte eine Rolle bei der Arabischen Revolution, dem Aufstand der Araber gegen die Türken. Doch in der arabischen Welt gilt Lawrence heute als Verräter, als einer, der die Wut auf den Westen schürt.
Als Lawrence die Araber zur Revolte anstachelte, wusste er bereits, dass sich England und Frankreich den Nahen Osten längst aufgeteilt hatten, nach dem Sykes-Picot-Abkommen von 1916. Die Araber wurden instrumentalisiert, Lawrence gilt bei ihnen als Spion und Verräter.
Diese Sicht ist von arabischen Historikern gerade in den letzten Jahren ausgegraben und belegt worden. In Oldenburg ist auch davon nichts zu sehen. Schade. Denn das Museum für Mensch und Natur in Oldenburg hat sich unter der Leitung von Mamoun Fansa in den letzten Jahren mit hervorragenden internationalen Ausstellungen zur Orient-Okzident-Problematik einen Namen gemacht.
Werner Bloch
© Deutsche Welle 2010
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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