Vom Meinungsdiktat zur Polarisierung

Die Situation der Medien im Irak hat sich nach dem Sturz des baathistischen Regimes stark verändert. Der irakische Publizist und Journalist Ahmad al-Saadawi zeigt die jüngste Entwicklung auf.

Zeitungsstand im Irak; Foto: AP
Viele neue Zeitungen und Zeitschriften wurden nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein gegündet

​​Unter dem Regime der Baathisten waren die Medien Sprachrohr der Machthaber, alle Zeitungen und Magazine, Fernsehen und Rundfunk waren der Regierung unterstellt.

Die Präsenz anderer arabischer oder internationaler Medien war äußerst beschränkt, besonders als sich seit den 1990er Jahren unter dem Druck der internationalen Wirtschaftssanktionen und der Rigidität der Regierungsprogramme, die vor allem auf die Sicherung der Diktatur abzielten, die Lebensumstände im Irak zusehends verschlechterten.

Kurz vor dem Sturz der Diktatur schien der Irak quasi isoliert vom Rest der Welt, kaum jemand hatte eine Ahnung vom arabischen oder internationalen Mediengeschehen. Das galt besonders für die Berichterstattung über den Irak.

Die Medienschaffenden leisteten darüber hinaus kaum qualifizierte Arbeit, denn es fehlte an Konkurrenz. Außerdem war der Bewegungsspielraum von Journalisten stark eingeschränkt. Die meisten Intellektuellen mieden diesen Tätigkeitsbereich, denn sie fürchteten, zwangsweise im medialen Diskurs des Regimes instrumentalisiert zu werden.

Auch die akademische Ausbildung in den Medienwissenschaften verlor aufgrund des allgemeinen Niedergangs des Bildungswesens kontinuierlich an Qualität. Es gab keine Studienprogramme, keine klare Förderung von Talenten und besonderen Leistungen in diesem Bereich. Und es gab keine Möglichkeiten, praktische Erfahrungen über die Arbeit im Rundfunk und im Fernsehen zu sammeln.

Ein Absolvent der Akademie der Schönen Künste, der die Fernseharbeit liebte, erzählte mir, dass er während der gesamten vierjährigen Ausbildungszeit keine Film- oder Fernsehkamera zu Gesicht bekommen habe:

"Wir haben an keinen echten Proben teilgenommen, wir wurden zu Film- und Fernsehregisseuren mit ausschließlich theoretischen Kenntnissen. Wir wissen noch nicht einmal über die wichtigsten Entwicklungen Bescheid, die in den letzten 20 Jahren in diesem Bereich stattgefunden haben."

Neue "Freiheit"

Der große Wandel der irakischen Medienlandschaft kam mit der neuen "Freiheit". Unter diesem Stichwort wurden unzählige neue Zeitungen, Fernseh- und Rundfunksender gegründet, und viele Intellektuelle wollten für die neuen Medien arbeiten. Inzwischen ist sogar fast jeder Intellektuelle oder Schriftsteller in irgendeiner Form für die Medien tätig.

Dank dieser neuen Freiheit sieht man in den Auslagen der Zeitungsverkäufer jetzt Magazine mit gegensätzlicher inhaltlicher Ausrichtung nebeneinander liegen. Diese Freiheit hat auch das Erscheinen von Zeitungen ermöglicht, die sich durch ein Höchstmaß an Professionalität auszeichnen sowie von Blättern, die eher der Regenbogenpresse zuzurechnen sind.

Zeitungsleser in Bagdad; Foto: dpa
Die Wahlergebnisse vom Februar 2005 auf der Titelseite einer irakischen Zeitung

​​Mit der Öffnung des Landes für die Satellitenübertragung und mit den neuen Möglichkeiten der Internetnutzung steht man als Iraker nun nicht mehr vor dem Problem der Informationsbeschaffung, sondern vor der Problematik, aus der Flut der Informationen die gesuchten auszusieben und ihre Richtigkeit überprüfen zu können.

Nach mehr als drei Jahren neuer Medienpraxis spiegelt die Branche heute den gegenwärtigen Konflikt der politischen Kontrahenten und den Kampf der bewaffneten Milizen in all ihren Details und Koalitionen wider.

Medienschaffende, Intellektuelle und Politiker diskutieren derzeit ausgiebig über Inhalte und Grenzen der Meinungsfreiheit in den irakischen Medien, die, als verstehe sich das von selbst, im neuen Irak als unantastbares Recht gilt und als Basis, auf der die Entwicklung von Medienarbeit und Bildung im Land stattfindet.

Grenzen der Meinungsfreiheit

In den vergangenen zwei Jahren kam es allerdings zu verschiedenen Vorfällen, bei denen die Problematik von Inhalten und Grenzen der Meinungsfreiheit deutlich wurde. So etwa wurde das Büro des Fernsehsenders Al Dschasira in Bagdad durch die irakische Regierung geschlossen, nachdem der Sender beschuldigt worden war, durch seine Berichterstattung Probleme im Irak schüren und eine Stimmung der Provokation zu verbreiten, von der der Terrorismus profitiere.

Auch dem Sender Al Arabiya, dessen Büro mehrere Male vorübergehend geschlossen wurde, werden diese Vorwürfe gemacht.

Für manchen Beobachter stand dies im Widerspruch zu den Bürgerrechten auf freie Meinungsäußerung und freie Informationsbeschaffung. Andere wiederum sahen darin Handlungen, die gerade dem Schutz der Freiheit im Irak dienten.

Das eigentliche Problem der irakischen Medien aber ist die Polarisierung innerhalb der eigenen Strukturen, die wiederum die Zersplitterung der politischen Situation des Irak widerspiegelt. Abgesehen von einigen Ausnahmen werden die meist gelesenen oder gesehenen irakischen Medien gegenwärtig von Institutionen herausgegeben, die einer bestimmten Partei oder Religionsgruppe verpflichtet sind.

Die Tatsache, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung in der neuen irakischen Verfassung verankert ist und dies seitens der Regierung unerlässlich betont wird, ändert nichts an der Realität, mit der sich die freien Journalisten im Irak konfrontiert sehen.

Wegen Überzeugung getötet

Dabei geht es nicht nur um Verwaltungsauflagen, die Journalisten die Recherche über regierungsnahe Einrichtungen erschweren, oder um die Furcht vor Missbilligung durch die verantwortlichen Politiker.

Es geht um die Überzeugungen und Standpunkte eines Journalisten oder Medienschaffenden, die zufällig nicht auf der Linie dieser oder jener bewaffneten politischen Gruppierung liegen.

Zeitungsleser in Bagdad; Foto: AP
Umfassend informiert? Irakische Zeitungsleser in Bagdad

​​Viele irakische Journalisten wurden in den vergangenen drei Jahren wegen ihrer Überzeugung oder aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit getötet, manchmal arbeiteten sie auch nur für eine Einrichtung, auf die es eine Gruppe bewaffneter Milizen gerade abgesehen hatte.

Viele Journalisten gehen daher zögerlich zu Werk, ständige Vorsicht begleitet sie. Sie haben das Gefühl, der Staat könne sie nicht schützen, könne auch das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht garantieren, das in den Klauseln der irakischen Verfassung festgeschrieben wurde.

Zensur aus Angst

Diese Furcht führt dazu, dass den irakischen Bürgern die Berichterstattung über die bewaffneten Milizen vorenthalten wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Milizen nicht existieren, und es ist auch nicht hilfreich für den Umgang ihnen. Das Problem wird im Gegenteil verdrängt und kann daher auch nicht öffentlich diskutiert werden.

Anscheinend ist es mit der Vielzahl der Foren und der Ausweitung des Arbeitsfelds für irakische Journalisten in der gegenwärtigen Situation nicht getan. Solange ihre Arbeit mühsam und mit schwerwiegenden Risiken behaftet bleibt, ihr Leben in Gefahr ist, oder die Vorsicht sie an der freien Meinungsäußerung hindern muss, ist guter Journalismus kaum möglich.

Die Lösung dieses Problems ist die größte Herausforderung, der sich die neuen irakischen Medienschaffenden stellen müssen, um sich weiter zu entwickeln.

Ahmad al-Saadawi

Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell

© Qantara.de 2006

Der Iraker Ahmad al-Saadawy lebt als Publizist und Journalist in Bagdad.

Qantara.de

Medien im Irak
Meinungsfreiheit im Visier
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