Vom bewaffneten Kampf zur Musik
Alte, hypnotisierende Tuareg-Melodien vermischen sich mit modernen, rockigen Klängen elektrischer Gitarren. Sie singen vom Leben, Exil und den Revolten ihres Volkes in der Sahara: den Tinariwen. Geboren ist der "Desert Rock", der Rock der Wüste, im Zuge der Rebellen-Bewegung der Tuareg Anfang der 80er Jahre – in einem militärischen Camp in der libyschen Wüste. Seit dem Friedensabkommen mit den Regierungen von Mali 1992 und von Niger 1995 haben die Tuareg-Kämpfer der Band Tinariwen endgültig die Kalaschnikows mit Gitarren ausgetauscht. Mithilfe ihrer Musik setzen sie ihren Widerstand und den Kampf für die Freiheit der Tuareg fort, und machen auf die Belange ihres Volkes aufmerksam.
Wofür steht Eurer Band-Name Tinariwen?
Abdallah Ag Alhousseyni: Das Wort Tinariwen stammt aus der Tuareg-Sprache, Tamashak, und ist der Plural von "ténéré", was Wüste heißt. Tinariwen bedeutet also "mehrere Wüsten". Das letzte Lied auf Eurem neuen Album "Aman Iman" mit den Titel "Izaghagh ténéré" – was sich mit "Ich wohne in der Wüste" übersetzen lässt – handelt von der Einsamkeit in der Wüste. Die Wüste ist ein Motiv, das sich durch viele Eurer Lieder zieht.
Ag Alhousseyni: Die Wüste ist unser territoire; sie ist unser Land, das wir ausgesucht haben und das wir genaustens kennen. Die Wüste bedeutet auch Freiheit, Identität und Inspiration – unendliche Weite und Stille unter einem klaren Himmel. Dort fühlen wir uns zuhause.
Tinariwen ist auch ein Name, der stark mit der Rebellion und dem Widerstand der Tuareg assoziiert wird. Unter welchen Bedingungen sind Tinariwen entstanden?
Ag Alhousseyni: Tinariwen sind junge Tuareg, die Mitte der 70er Jahre gezwungen waren, Mali aufgrund der politischen und ökonomischen Situation zu verlassen – so wie viele andere Tuareg auch. Die ersten und heute ältesten unter uns, die die Gitarre für sich entdeckt haben, befanden sich damals in Algerien. 1978 haben sie in Algier zum ersten Mal eine Gitarre in der Hand gehalten. Sie fingen an, zu spielen, zu singen, über das Exil, über das Tuareg-Volk.
1981 schlossen sie sich den Tuareg-Rebellen an und hielten sich in einem militärischen Camp in Libyen auf. Sie kämpften für die Freiheit unseres Volkes und sagen die Lieder des Widerstandes. Das war die offizielle Geburtsstunde von Tinariwen: mit Ibrahim Ag Alhabib, heute noch der Kopf von Tinariwen, Hassan Ag Touhami und Inteyeden Ag Ableline als Gründungsmitglieder. Ich bin 1986 zu ihnen gestoßen und habe meine militärische Ausbildung dort absolviert. 1990 brach dann die Rebellion der Tuareg im Norden Malis und im Niger aus, an der wir uns beteiligten. Ein paar Jahre später wurde dann die Friedensabkommen der Tuareg-Gruppen mit Mali und Niger unterzeichnet. Wir wollten nicht in die malische Armee integriert werden und zogen uns daher aus dem militärischen Kampf zurück, um uns ganz der Musik zu widmen.
Eure Gruppe ist auf diese Weise zum Symbol des Freiheitskampfes der Tuareg geworden.
Ag Alhousseyni: Unsere Musik hat immer eine wichtige Rolle für den Kampf gegen die Unterdrückung unseres Volkes gespielt. Musik ist das einflussreichste und einfachste Mittel, um die Menschen für etwas zu sensibilisieren, auf etwas aufmerksam zu machen und ihnen auch Hoffnung zu geben. Das ist der Grund, warum wir unsere Gitarren stets bei uns hatten. Lassen sich Musik und Krieg, Poesie und Kampf überhaupt vereinen? Ag Alhousseyni: Jede Gruppe der résistance auf der Welt hat eine Musikgruppe, dessen Mitglieder zugleich Widerstandskämpfer und Musiker sind. Du kannst zwei Rollen spielen: Falls man dich für den militärischen Kampf braucht, bist du bereit. Denn Du bist militärisch ausgebildet und weißt über alles Bescheid. Gleichzeitig verfügst Du über eine künstlerische Seele, die sehr wichtig ist, weil sie vieles vermittelt. In dieser Rebellion mussten wir kämpfen, aber behielten dabei all unsere Freiheiten, um Musik zu machen; wir waren kämpfende Künstler.
Noch heute bezeichnen Euch einige als "musiciens en combat", als Musiker im Kampf. Seid Ihr das noch?
Ag Alhousseyni: Tinariwen ist eine Gruppe, die in einem Kampf geboren ist. Daher stört mich diese Bezeichnung nicht. Heute sehe ich mich lieber und eher in der künstlerisch-kulturellen Sparte; ich bevorzuge es, in diese als in der militärischen Richtung zu gehen. Denn für mich ist die Kunst wichtiger als der bewaffnete Kampf. Wir wollen unsere Botschaft musikalisch verbreiten. Welche Botschaft enthält Eure Musik, worauf wollt Ihr die Menschen aufmerksam machen?
Ag Alhousseyni: Wir rufen die Gemeinschaft der Tuareg dazu auf, sich auf das heutige Leben vorzubereiten. Wir sagen ihnen: ihr müsst zur Schule gehen; ihr müsst euch politisch engagieren, eine Wirtschaft, Handel aufbauen, euch entwickeln. Denn es ist heutzutage für die Tuareg schwer geworden, allein mit nomadischen Lebensweisen zu überleben.
Wie lässt sich das Leben der Touareg in Mali heute beschreiben?
Ag Alhousseyni: Ich differenziere nicht innerhalb der Gemeinschaft der Tuareg. Es gibt für mich nur ein Volk; ich spreche daher von der Situation der Tuareg im Allgemeinen. Ganz gleich ob in Mali, in Nigeria, in Algerien, in Libyen oder in Mauretanien: Die Tuareg sind ein kulturell bedrohtes Volk, weil sie Nomaden sind, die in all diesen Ländern eine Minderheit darstellen. Wir sind auch Muslime, aber dennoch ein Volk, das sich stark von der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft unterscheidet. Beispielsweise sind die Kultur, die Mentalität, die Bedürfnisse der Tuareg in Mali völlig verschieden von denen der anderen Malier. Wir leben in der Wüste, sprechen eine andere Sprache, unsere Ökonomie besteht aus Tierhaltung. Und wer anders und in der Minderheit ist, ist immer bedroht.
Ihr singt auch in der Sprache der Tuareg, auf Tamashek, was nicht viele Menschen verstehen.
Ag Alhousseyni: Soll ich auf Englisch oder Französisch singen, nur weil es gängigere Sprachen sind? Und meine Sprache beiseite lassen? Wir singen auf Tamashek, weil es unsere Sprache ist! Ihr werdet häufig als Tuareg-Rockband bezeichnet, eure als "Wüsten Rock" oder auch als "Wüsten Blues" bezeichnet.
Wie bezeichnet Ihr selbst Eure Musik?
Ag Alhousseyni: Die Musik, die wir spielen heißt "Assouf". Das bedeutet Nostalgie.
… und ist ein neue Kreation in der Musik.
Ag Alhousseyni: Ja. Wir nennen unsere Musik so, um zu verhindern, dass man sie Blues, Rock, Rock'n'Roll, etc. nennt. Wir haben dieses neue Genre kreiert, weil ein Volk von Nomaden stets neue, moderne Elemente braucht. Ohne Erneuerungen bleibt es immer das vergessene Volk der Wüste. Wir brauchen Modernisierung, um weiterzukommen. Deshalb schützen die modernen Elemente zugleich den Erhalt unsere Kultur.
Das moderne Element ist vor allem die elektronische Gitarre.
Ag Alhousseyni: Als wir aus Libyen und dem Niger aufbrachen, um heimzukehren, wollten wir etwas Neues mitbringen – etwas, das noch nicht in der Wüste existierte. Aber wir wollten nicht einfach eine fremde Kultur übernehmen, sondern etwas Neues für uns schaffen. Denn die Kultur der elektronischen Gitarre ist der Rock. Wir wollten aber nicht einfach nur Rock-Musik machen. Uns diente die Gitarre dazu, unsere eigene traditionelle Musik weiterzuentwickeln.
Dennoch hört man die Einflüsse anderer Musikrichtungen heraus. Eure Musik ist schwer zu fassen, weil sie sehr viele Genres vermischt: Rock, Blues, Rock'n'roll, Reggae, Raï und natürlich traditionelle Tuareg-Musik. Wie entsteht dieser Mix?
Ag Alhousseyni: Wir sind alle Gitaristen, Sänger, Interpreten und Komponisten. Jeder von unser hört an andere Musik, bevorzugt ein anderes Genre. Der eine interessiert sich vor allem für Blues, ein anderer für arabische Musik, wieder ein anderer für Rock. Und jeder komponiert nach seinem Stil, Gefühl und Vorlieben. Ich nutze zum Beispiel viele Elemente der Country-Musik, bin aber auch unserer traditionellen Musik treu. So entsteht diese Mischung unserer Musik.
Naima El Moussaoui
© Qantara.de 2007
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