Diagnose Hass
Teheran scheint noch nie ein sicheres Pflaster für US-Bürger gewesen zu sein. Nach Auffassung des persischen Schriftstellers und Journalisten Amir Hassan Cheheltan besteht eine tiefe, historisch verwurzelte Aversion Teherans – und des Irans insgesamt – gegen die USA und die Vertreter der "freien Welt". Ein geradezu traditioneller anti-amerikanischer Hass, der sich wie ein roter Faden durch die Geschichte Persiens zieht.
Dabei spielt nach Ansicht Cheheltans der Neid auf die Größe und Freizügigkeit jenes Landes ebenso eine Rolle wie angeblich eine gewisse Neigung der Iraner zu Irrationalität und Aberglauben. Vor allem aber speist sich ihr Hass aus dem massiven politischen Einfluss, den die USA immer wieder gegenüber dem Iran (oft mit Hilfe von verdeckten militärischen Aktionen) geltend gemacht haben. All diese Aspekte kommen in Cheheltans Roman zum Tragen.
Es ist ein düsteres Bild, das Cheheltan unter dem programmatischen Titel "Amerikaner töten in Teheran" vom iranisch-amerikanischen Verhältnis zeichnet. Immer wieder ereignen sich tödliche Angriffe gegen US-Bürger, die bei gezielten Messerattacken, Giftanschlägen und Bombenattentaten oder bei Massenunruhen auf der Straße ihr Leben verlieren.
Im Visier
Die Opfer jener Anschläge sind nicht nur Vertreter der politischen Klasse wie Major Imbrie in der ersten Episode, Vizekonsul der amerikanischen Botschaft in den 1920er Jahren, sondern auch unbescholtene Bürger, die sich zufällig in Teheran aufhalten. Mitunter scheint die nationale Identität auszureichen, um zur Zielscheibe des Hasses zu werden.
Cheheltan beschreibt einen Zeitraum von rund sechzig Jahren iranischer Geschichte. In diese Phase fallen bedeutende geschichtliche Ereignisse: die gewaltsame Absetzung des Premierministers Mossadegh, der Sturz des letzten Schahs, die Etablierung der Islamischen Revolution.
Auf diese Ereignisse nimmt Cheheltan in seinen Geschichten Bezug. Wir lernen Teheraner Familien kennen, deren Mitglieder im politischen Untergrund arbeiten, aber auch amerikanische Hotelgäste, die zufällig in Kontakt mit Teheranern kommen. Daneben Menschen aus der Politik, deren Leben eng mit dem Schicksal des Landes verbunden sind.
Auf dem Internationalen Literaturfestival in Berlin versicherte Cheheltan kürzlich, wie sehr er sich mit der Stadt Teheran verbunden fühlt, in der bereits seine Vorfahren lebten. Als Schreibender besitze er eine "doppelte Perspektive" auf seine Heimatstadt, sowohl eine historisch-politische wie eine persönliche. Was ihn als Schriftsteller vor allem interessiert, ist die Frage, auf welchem Weg sich das Politische, die Wucht großer gesellschaftlicher Umwälzungen, auf das Leben seiner – in der Hauptsache fiktiven – Romanfiguren auswirkt.
Der Untertitel: "Ein Roman über den Hass" bildet gewissermaßen die Leitidee, unter der Cheheltan die iranische Geschichte betrachtet. Er stellt sich die Frage, wie es kommt, dass Amerika zur Zielscheibe eines kollektiven Feindbildes werden konnte. Die Antworten fallen unterschiedlich aus.
Seine Episoden spielen zwar oft an den Nahtstellen großer Politik (in der zweiten Episode werden die Vorbereitungen zu Mossadeghs Sturz aus der Sicht des amerikanischen Geheimdienstes minutiös beschrieben), doch ebenso werden junge Einzeltäter bei der Vorbereitung und Ausübung ihrer Gewalttaten beschrieben.
Wie eine schwarze Serie über Gewalt und Mord
Wir lernen eine junge Frau kennen, die sich mit einem Amerikaner befreundet, für die dieser Kontakt zum Verhängnis wird. Daneben sind es unvorhersehbare tragische Momente, in denen es zu spontanen Ausbrüchen von Gewalt kommt, wie in der ersten Episode aus dem Jahr 1924, in der jener Major Imbrie zum Lynchopfer einer religiös aufgestachelten Menge wird.
Die Episoden sind zeitlich voneinander abgesetzt, doch inhaltlich gibt es immer wieder unerwartete Überschneidungen. Durch diese geschickt ausgearbeitete Verweistechnik wird erst im Laufe der Lektüre deutlich, dass eine Teheraner Familie im Mittelpunkt steht, die auf unterschiedliche Weise mit sämtlichen politischen Wendepunkten seit den fünfziger Jahren zu tun hatte.
Alle Mitglieder dieser Familie – Ehemann, Ehefrau, Sohn und Tochter – verlieren durch die Verstrickung mit der Politik ihr Leben. Anhand des tiefen Leids, das diese Familie trifft, wird jener mörderische Reigen sichtbar, um den es Cheheltan hauptsächlich zu gehen scheint. Sein Abriss der jüngeren persischen Geschichte liest sich wie eine schwarze Serie über Gewalt und Mord.
Die Episoden brechen im Jahre 1988 ab. Angesichts der nachfolgenden Geschichte kann laut Cheheltans Aussage seine Diagnose vom Hass auf Amerika eingeschränkt werden. Zwar sind anti-amerikanische Aversionen im Iran immer noch lebendig, vor allem in der herrschenden politischen Klasse, aber keineswegs mehr bei der überwiegenden Mehrheit der Teheraner Bürger.
Teheran sei eine weltoffene moderne Großstadt, jeder geistig interessierte Mensch, der ein Reiseziel benenne, wolle – selbst wenn er der amerikanischen Politik kritisch gegenüber stehe – als erstes in die USA reisen. So kann man nur hoffen, dass das von Cheheltan beschriebene Phänomen heute und in Zukunft weiter abklingen wird.
Volker Kaminski
© Qantara.de 2011
Amir Hassan Cheheltan: "Amerikaner töten in Teheran. Ein Roman über den Hass", C. H. Beck, 2011.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de