Ein Fach unter Dauerbeobachtung

Der Islamische Religionsunterricht (IRU) ist in Deutschland rechtlich verankert: Artikel 7 des Grundgesetzes sieht den bekenntnisorientierten Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in staatlicher Verantwortung vor. Das bedeutet: Die Inhalte des Religionsunterrichts bestimmen die Religionsgemeinschaften, die Rahmenbedingungen für die Durchführung als Unterrichtsfach wiederum der Staat, konkret die einzelnen Bundesländer.
Das Angebot ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen: Laut Mediendienst Integration besuchten im Schuljahr 2024/25 rund 81.000 Schüler:innen einen islamischen Religionsunterricht – fast doppelt so viele wie 2015/16. Statistisch gesehen ist die Zahl jedoch eher klein: Weniger als zehn Prozent der muslimischen Schüler:innen werden erreicht.
Die Umsetzung des Unterrichtsfachs Islam variiert erheblich unter den Bundesländern. So ist es nicht überall bekenntnisorientiert. Hamburg integriert etwa IRU in einen übergreifenden „Religionsunterricht für alle“. In den ostdeutschen Bundesländern, die einen vergleichsweise geringen Anteil muslimischer Schüler:innen aufweisen, existiert bislang kein entsprechendes Unterrichtsangebot.
Bayern setzt mit einem staatlich verantworteten „Islamunterricht“ auf ein religionskundlich ausgerichtetes Modell. Diese heterogene Landschaft ist nicht nur für Eltern unübersichtlich, sondern stellt auch IRU-Lehrkräfte vor besondere Herausforderungen.
Eine neue Generation von Lehrkräften
In den letzten anderthalb Jahrzehnten hat sich in der Ausbildung von Lehrkräften viel bewegt. Dazu beigetragen hat auch der Aufbau mehrerer Standorte für Islamische Theologie und Religionspädagogik an deutschen Hochschulen. Seit 2011 entstanden zunächst in Münster, Osnabrück, Frankfurt/Gießen, Erlangen-Nürnberg und später in Berlin und Paderborn entsprechende Institute.
Allein in Frankfurt waren 2021 rund 2.500 Studierende in islamisch-theologischen Studiengängen eingeschrieben, ein erheblicher Teil davon mit Lehramtsoption. Über 750 Lehrkräfte sind seit Beginn dieses Jahrzehnts im IRU tätig.
Damit ist eine Generation muslimischer Religionspädagog:innen herangewachsen, die sowohl im islamisch-theologischen Fachdiskurs an deutschen Hochschulen als auch in den Strukturen hiesiger Lehramtsbildung verankert ist. Ein Spagat, bei dem die Lehrkräfte zugleich lernen müssen, mit den Besonderheiten des Unterrichtsfachs umzugehen.
Vielfältige Anforderungen
Die zentrale Herausforderung des Fachs ist laut Annett Abdel-Rahman, Juniorprofessorin für Fachdidaktik des IRU am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück, der „kompetenzorientierte“ Umgang mit der eigenen Religion und ihren Quellen.
Ziel ist es, junge Muslim:innen „darin zu befähigen, sich mit ihrer Religion auseinanderzusetzen, und zwar ausgehend von ihrer biografischen religiös-theologischen Prägung, bezogen auf die Gesellschaft, in der sie leben. Sie lernen, sich zu ihren persönlichen Fragen oder gesellschaftlichen Herausforderungen mit dem vermittelten Wissen zu positionieren.“
Was zunächst plausibel klingt und für andere Unterrichtsfächer genauso gilt, ist gar nicht so einfach. Denn die IRU-Lehrkräfte stoßen auf unterschiedlich vordefinierte, oft tief verwurzelte Wertehaltungen, die maßgeblich vom Elternhaus oder der Glaubensgemeinschaft und immer öfter auch von selbsternannten Social-Media-Prediger:innen geformt werden.

ضد تمجيد رموز الذكورية السامة
يعكف باحثون في الدراسات الإسلامية والمسيحية بجامعة مونستر الألمانية، على دراسة صور الذكورية السامة. إذ يهدف مشروعهم البحثي، إلى تقديم حلول عملية للمشكلة المتنامية، ومواجهة رموزها المثيرين للجدل.
Nach Ulvi Karagedik, Juniorprofessor und Leiter des Instituts für Islamische Theologie und Religionspädagogik an der PH Karlsruhe, stehen „islamische Werte immer im Spannungsfeld zwischen religiöser Tradition und gesellschaftlicher Gegenwart sowie zwischen religiöser Sozialisation und aktuellen Herausforderungen.“ Es entsteht ein ständiger Aushandlungsprozess.
Karagedik sieht eine zunehmende Komplexität des Lehrberufs für den IRU aufgrund eines „dynamischen Wandel(s) in der Weiterentwicklung fachdidaktischer Konzepte und der Erschließung neuer Themenfelder“. Das Spektrum reicht von Fragen zur angemessenen Behandlung von Koran und Prophet im Unterricht bis hin zu neuen didaktischen Herausforderungen wie der Integration von Künstlicher Intelligenz.
An den Universitäten entstehen deswegen neben Forschungsergebnissen fortwährend neue Materialien für den praktischen Einsatz im Schulunterricht – etwa die Materialien zur Umweltbildung im Islamischen Religionsunterricht am Zentrum für Islamische Theologie der Universität Münster.
Antisemitismus und „konfrontative Religionsbekundung“
Lehrkräfte müssen sich nicht nur in neue Fragestellungen und Materialien einarbeiten, sondern auch Defizite angehen. Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum zeigte beispielsweise, dass Lehrkräfte fächerübergreifend Schwierigkeiten haben, antisemitische Stereotype zu erkennen und zu bearbeiten. Ein Problem, das nicht nur den IRU betrifft, dort aber aufgrund der Sensibilität des Feldes und der Ereignisse vom 7. Oktober 2023 und nachfolgend in Gaza besonders relevant ist.
Um dem zu begegnen, empfehlen die Studienautor:innen Fortbildungen für Lehrkräfte. Neuere Untersuchungen befassen sich mittlerweile gezielt mit religiöser Vielfalt und Judentum im islamischen Religionsunterricht und entwickeln Ideen zur Antisemitismusprävention.

How do you differentiate?
A new anthology sheds light on the various forms of anti-Semitism and the academic debate surrounding it in the light of current controversial debates
Eine umstrittene Untersuchung der Universität Münster kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass auch Lehramtsstudierende im Fachbereich Islamische Theologie teilweise antisemitische oder islamistische Überzeugungen haben. Professor Mouhanad Khorchide, Leiter der Studie aus Münster, erklärte im Interview mit der ZEIT, dass religiöser Fundamentalismus eher auf die Sozialisation in Moscheegemeinden und die Dominanz islamistischer Inhalte in sozialen Medien zurückzuführen sei als auf die islamisch-theologische Ausbildung.
Seiner Erfahrung nach veränderten sich Einstellungen von Studierenden im Laufe des Studiums positiv. Dient das Studium also als Korrektiv problematischer Einstellungen aus dem Internet und den Gemeinden?
Indes kamen andere empirische Untersuchungen über Einstellungen zu religiösen, politischen und gesellschaftlichen Fragen bei Studierenden des Fachs zu dem Ergebnis, dass sich viele Studierende als Wissensvermittler:innen, Brückenbauer:innen oder Reflektierende positionieren.
Die Autor:innen empfehlen Maßnahmen zur gezielten Vorbereitung der Studierenden, beispielsweise durch interreligiöses Begegnungslernen, Praktika mit interreligiösem Fokus, Stärkung kommunikativer Kompetenzen, Förderung von Ambiguitätstoleranz, Klärung von Erwartungen sowie Förderung von psychologischen, medienbezogenen und pädagogisch-sozialen Kompetenzen.
Religionslehrkräfte als Vermittler:innen in Konflikten?
Solche und weitere Kompetenzen werden zunehmend wichtig, insbesondere an Schulen, in denen verdichtet Konflikte mit Bezug auf den Islam entstehen. Mancherorts wird von Diskriminierung muslimisch gelesener Schüler:innen und woanders von religiösem Druck durch muslimische Schüler:innen an Schulen berichtet. Dann etwa, wenn Schüler:innen aus islamischer Sittenstrenge heraus Klassenkamerad:innen bedrängen, zu fasten oder bestimmte Kleidung zu tragen.
Solch „konfrontative Religionsbekundung“ wird insbesondere in urbanen Quartieren an Schulen mit hohem Migrationsanteil zum Thema. Wichtig ist, das Prinzip der negativen Religionsfreiheit, also die Ablehnung religiöser Überzeugungen, genauso zu schützen wie das Recht auf die Entfaltung der religiösen Identität. Dazu gehört auch, die zunehmende Diskriminierung aufgrund der religiösen Identität zu unterbinden.
Gut ausgebildete islamische Religionspädagog:innen können über ihre Unterrichtsgestaltung und ihren Zugang zu religiösen Schüler:innen eine wichtige Rolle dabei spielen, Konfrontationen zu verhindern und in Fragen von Diskriminierung Ansprechpartner:innen zu sein oder zu vermitteln.
Sofern der IRU mit qualifizierten Lehrkräften, transparenten Strukturen und pluralistischen Inhalten umgesetzt wird, kann er Integration fördern, neue religionsdidaktische Methoden und Gegenwartsthemen aufgreifen, religiösen Analphabetismus abbauen und Extremismus vorbeugen. Damit die Lehrkräfte diese Aufgaben erfüllen können, muss die Gesellschaft sie als positive Ressource an Schulen würdigen und stärken.
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