Diese Revolution fordert das Patriarchat heraus
Wie würden Sie die Rolle der Frauen bei der Revolution vom Januar und Februar 2011 beschreiben?
Margot Badran: Wir wissen, dass es zu Beginn vor allem die Jugend die Proteste getragen hat, und dazu gehörten Frauen ebenso wie Männer. Auch als Menschen der älteren Generationen sich den Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz anschlossen, befanden sich ebenso viele Frauen wie Männer darunter. Alle erhoben sich als Ägypter – unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Religion oder sozialen Klasse.
Die achtzehn Tage des Protestes auf dem Tahrir-Platz, der schnell auf andere Landesteile übersprang, bildeten einen großartigen Beweis nationaler Geschlossenheit. Es war eine Revolution aller für alle. Als es härter wurde und die Aufständischen angegriffen wurden, waren es Männer wie Frauen, die zurückschlugen und den Kampf am Leben hielten. Alle trugen ihren Teil zum Kampf bei und taten – unabhängig von ihrem Geschlecht –, was immer nötig war, um endlich den Sturz Mubaraks zu erreichen.
Rund acht Monate nach dem Sturz Mubaraks und kurz nach der ersten Runde der Parlamentswahlen, wird allerdings deutlich, dass nur sehr wenige Frauen im neuen Parlament vertreten sein werden.
Badran: Das ist richtig. Andererseits war die Zahl der Frauen im ägyptischen Parlament schon immer sehr niedrig. In dieser Hinsicht hat sich also leider nichts geändert. Natürlich weckte die Revolution Hoffnungen darauf, dass eine größere Zahl von Frauen gewählt werden würde.
Stellen Sie sich vor, der Anteil der Frauen im Parlament entspräche, und sei es nur annäherungsweise, dem Anteil, den sie an vorderster Linie bei den Protesten hatten. Wir sehen also, dass Frauen als militante Aktivisten eher akzeptiert werden als gewöhnliche Politikerinnen. Dies wird sich ändern, doch stellt sich die Frage, wie lange es brauchen wird, bis die formale Politik mit der aktivistischen Politik in dieser Frage Schritt zu halten vermag.
Welche Auswirkungen wird ein Parlament mit einer islamistischen Mehrheit haben, innerhalb wie außerhalb Ägyptens?
Badran: Nun, da muss man genau hinsehen, was islamistisch in diesem Zusammenhang bedeutet. Wie Sie wissen, bilden die Islamisten keine geschlossene Einheit und sind noch immer in einem sich schnell vollziehenden Wandel begriffen. Zu den Islamisten gehören die Muslimbrüder, die inzwischen dem politischen Mainstream angehören und schon sehr lange auf der politischen Bühne sind. Über die Jahre haben sie die Anliegen der großen Mehrheit der Bevölkerung übernommen und wollen wie diese einen säkularen Staat.
Die ultra-konservativen und reaktionären Salafisten, die erst nach dem Fall Mubaraks zum Aufstand dazu stießen, haben dagegen erklärt, dass sie nach der Errichtung eines islamischen Staates streben. Auch drückten sie ihre Verachtung für die Muslimbruderschaft aus und deren Forderung nach einem säkularen Staat.
Auch verachten sie ihre Zusammenarbeit mit Säkularen und Liberalen, so wie sie ebenfalls aus ihrer Geringschätzung für Christen keinen Hehl machen. In der ersten Wahlrunde gewannen die der Muslimbrüder (FJP) 36,6 Prozent der Stimmen und die salafistische "Nour"-Partei 24,4 Prozent.
Es ist zu erwarten, dass die FJP, deren Vizechef ein Kopte ist, mit den Säkularen und Liberalen kooperieren wird, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, das Bildungssystem zu verbessern und der Bevölkerung dringend benötigte Versorgungseinrichtungen zukommen zu lassen.
Die Muslimbrüder werden nicht versuchen, den Frauen das Tragen des Hijab vorzuschreiben, und auch die Rolle der Frauen in der Öffentlichkeit werden sie nicht in irgendeiner Weise zu beschneiden versuchen. Im Gegenteil, es scheint so, als ob sie sich auch weiterhin bemühen werden, die Frauen zu ermutigen, sich aktiv und in noch größerer Zahl in der öffentlichen Arena zu engagieren, sehr wohl wissend, dass dies auch den Muslimbrüdern selbst zugute kommen könnte. Auch was Ägyptens internationale Verträge angeht, ist von der FJP zu erwarten, dass sie zu ihrem Wort steht und diese Abkommen achtet. Die Partei wird sehr darum bemüht sein, das Tourismusgeschäft wiederzubeleben, das in den letzten Monaten so sehr gelitten hat.
Ist nun nicht eine Reform des muslimischen Familienrechtes nach dem Wahlerfolg der Islamisten zu erwarten?
Badran: Als die islamistische "Ennahda"-Partei in Tunesien die Mehrheit der Parlamentssitze gewonnen hat, wurde auch gefragt, ob sie die säkularen und sehr fortschrittlichen Familiengesetze aufgeben würde und die Antwort war, dass das alte Recht beachtet werden würde. In Ägypten ist die Frage eine andere: Hier geht es nicht darum, ob das alte Recht, das sogenannte muslimische Personenstandsrecht, aufgegeben würde, sondern darum, ob das noch am fiqh orientierte, konservative Recht reformiert wird nach den Grundsätzen des revidierten, religiös-grundierten marokkanischen Personenstandsrechts ("mudawana"), das auf einer egalitären Auslegung der islamischen Rechtssprechung beruht.
Progressive Kräfte – egal, ob sie sich nun als säkular oder religiös empfinden, darunter vor allem junge Leute, befürworten eine Reform des ägyptischen Personenstandsrechts in diesem Sinne. Aus Gründen der praktischen Politik erscheint eine solche Reform in der näheren Zukunft sehr unwahrscheinlich.
Gleichzeitig aber erscheint es ebenso wenig wahrscheinlich, dass das bisherige, offensichtlich patriarchale Recht, das von den säkularen Regimes so lange gestützt wurde und die Geschlechterungleichheit festschreibt, bestehen bleibt, ohne auf heftigsten Widerstand zu treffen. Eine Demokratie kann, wenn sie diesen Namen verdienen will, die Gleichheit der Bürger nicht vor der Tür der Familie enden lassen.
Die Ungleichheit, die in die religiösen Quellen hineingelesen wird, ist eine Manifestation patriarchalen Denkens. Es ist nicht der "wahre Islam", wie ihn die Konservativen gerne hätten. Das ist eine Farce, die patriarchale Säkularisten viel zu bereitwillig übernommen haben. Irgendwann aber wird Ägypten seinen Rückstand aufholen. Dafür werden die Frauen und die kommenden Generationen sorgen.
Kommen die Frauen bei der Revolution zu kurz?
Badran: Diese Frage wird mir von Menschen aus dem Westen oft gestellt. Die kurze Antwort hierauf lautet, dass es die Frauen sind, die diese Revolution erst voranbringen. Sicherlich ist das nicht einfach. Historisch betrachtet haben politisch motivierte Revolutionen niemals zu schnellen sozialen und kulturellen Transformationen geführt. Doch solche (politischen) Revolutionen werden weder langfristig erfolgreich sein, noch überhaupt ihren Namen als Revolutionen verdienen, wenn sie die Frauen nicht mit einbinden.
Ägyptische Frauen und ihre männlichen Mit-Revolutionäre werden dafür sorgen, dass dies nicht geschehen wird. Die Kräfte, die sich hier gegenüberstehen, sind nicht säkular orientierte und religiös (islamisch) inspirierte Menschen, sondern die Vertreter des Patriarchats einerseits und die Unterstützer der Geschlechtergleichheit auf der anderen Seite. Die Darstellung des Kampfes um Demokratie als Schlacht zwischen Säkularisten und Islamisten lenkt von der Realität ab und ist geeignet, vom Ziel aller Anstrengungen abzulenken (oder es gar gänzlich unerreichbar zu machen): den Aufbau eines lebendigen, egalitären Ägyptens.
Interview: Elisa Pierandrei
© ResetDoc 2011
Margot Badran ist leitende Wissenschaftlerin am "Prince Alwaleed Center for Muslim-Christian Understanding" an der Georgetown University und Forscherin am Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington. Dr. Badran erforscht, lehrt und publiziert über die Geschichte des Feminismus in Ägypten und im Nahen Osten. Zu ihren Büchern gehören u.a.: "Feminism in Islam: Secular and Religious Convergences" und "Feminists, Islam and Nation: Gender and the Making of Modern Egypt". Derzeit schreibt sie an ihrem Buch über Frauen und Gender in der ägyptischen Revolution.
Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de