Ungleiche Nachbarn

In der arabischen Welt ist die libanesische Hauptstadt Beirut seit langem ein Magnet für Verleger und Journalisten - vor allem für Publizisten aus den autoritär regierten arabischen Nachbarstaaten, in denen die Zensur allgegenwärtig ist. Susanne Schanda informiert.

In der arabischen Welt ist die libanesische Hauptstadt Beirut seit langem ein Magnet für Verleger und Journalisten - vor allem für Publizisten aus den autoritär regierten arabischen Nachbarstaaten, in denen die Zensur allgegenwärtig ist. Susanne Schanda informiert.

Kioskstand in Beirut; Foto: Susanne Schanda
Beachtliche Meinungsvielfalt: In der arabischen Welt ist das liberale Beirut die erste Adresse für das Publizieren von Büchern und Zeitungen.

​​Von den sechs Romanen auf der Shortlist des Arabischen Booker-Preises 2009 stammen fünf aus libanesischen Verlagen. Zwei davon sind im Beiruter Literaturverlag Dar al-Adab erschienen.

"Es ist ein Jammer, dass jeder Verlag nur drei Bücher für den Arabic Booker empfehlen darf", klagt Rana Idriss, Direktorin und Besitzerin von Dar al-Adab, in ihrem Büro in Beirut.

Der Verlag, der zu den wichtigsten der arabischen Welt gehört, publiziert jedes Jahr rund 40 bis 45 neue Titel, rund 10 davon sind Übersetzungen aus anderen Sprachen. Rana Idriss führt den 1953 von ihrem Vater gegründeten Verlag zusammen mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und ihrem Bruder als Familienbetrieb.

"Dieser Umstand erleichtert uns das Überleben in Zeiten von Krieg und Krise, wenn man wegen der problematischen Sicherheitslage nur eingeschränkt arbeiten kann, und dies betrifft unser Land oftmals während zwei Monaten im Jahr", sagt Rana Idriss.

Für herausragende Qualität bekannt

Die libanesischen Verlage werden in der ganzen arabischen Welt hoch geschätzt für ihre herausragende Qualität – und für die Freiheit der Meinungsäußerung, die in der Region einzigartig ist. Weil der Libanon das wohl liberalste arabische Land ist, in dem man so gut wie alles publizieren kann, schicken zahlreiche Autoren und Autorinnen aus weniger liberalen Staaten ihre Manuskripte nach Beirut.

Dies trifft in besonderem Maße für das Nachbarland Syrien zu, in dem trotz der relativen Öffnung durch die Regierung Bashar al-Assad seit dem Jahr 2000 immer noch eine strenge Zensur herrscht.

So publizierte Dar al-Adab die jüngsten Romane von Nihad Siris, Khaled Khalifa, Samar Yazbek und Mustafa Khalifa. Nihad Siris, dessen Roman "As-Samt wa Sakhab" letztes Jahr auf Deutsch erschien ("Ali Hassans Intrige") und jetzt auch ins Englische übersetzt wird, musste bereits 1998 die Liebesgeschichte "Halet Shaghaf" ("Ein Fall von Leidenschaft") im Libanon publizieren. Erst fünf Jahre später wurde sie auch in Syrien erlaubt.

Khaled Khalifas Roman "Madeeh al-Karahiya" ("Ein Lob auf den Hass"), der letztes Jahr auf die Shortlist des Arabic Booker Preises gelangte, wurde zuerst in Syrien publiziert, aber dann sofort verboten und von Dar al-Adab wieder aufgelegt.

Mustafa Khalifa, der zwölf Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht hatte, wagte diese Erfahrung erst viele Jahre danach literarisch zu verarbeiten. 2008 erschien sein Roman "Al-Qawqa" ("Die Muschel") in Beirut.

Rana Idriss; Foto: Susanne Schanda
"Es ist ein Jammer, dass jeder Verlag nur drei Bücher für den Arabic Booker empfehlen darf", klagt Rana Idriss, Direktorin und Besitzerin von Dar al-Adab</i>.

​​Einer der fünf in libanesischen Verlagen publizierten Romane auf der Shortlist des arabischen Booker-Preise ist "Der treulose Übersetzer" von Fawwas Haddad, erschienen bei Riad al-Rayyes. Nach mehreren historischen Romanen, für die er oft bis zu einem Jahr recherchierte, hat er sich in letzter Zeit mit der Gegenwart auseinandergesetzt.

"Was mich interessiert, ist die Gesellschaft und das Zwischenmenschliche. Politik beschreibe ich in ihren Auswirkungen auf die Menschen", erklärt er beim Gespräch im Literatencafé Alhavana in Damaskus. Publiziert wurden seine letzten drei Bücher in Beirut. In Syrien sind sie verboten.

Liberale Tendenzen

Dies bedeute allerdings nicht, dass der politische Druck auf die Intellektuellen in Syrien zugenommen habe, sagt Haddad: "Im Gegenteil, unser Land ist liberaler geworden, früher wäre ich für diese Bücher vielleicht ins Gefängnis gekommen." Natürlich wäre es schön, wenn die Romane in Syrien publiziert und in den Buchhandlungen ganz legal über dem Ladentisch verkauft werden könnten.

Doch trotz fehlender Genehmigung, würden von jeder in Beirut gedruckten Auflage rund die Hälfte der Bücher illegal nach Syrien gelangen und könnten hier in einigen Buchhandlungen gekauft werden, wenn auch unter dem Ladentisch, sagt Fawwaz Haddad.

Ein gutes Geschäft für die libanesischen Verlage? "Es könnte noch besser sein, wenn wir die Bücher offiziell nach Syrien exportieren dürften", betont Rana Idriss von Dar al-Adab.

"Bei der Prüfung eines Manuskripts aus Syrien wird meine Entscheidung unbewusst beeinflusst von der Befürchtung, das Buch könnte im Herkunftsland nicht verkauft werden. Oft publiziere ich Bücher aus Syrien, die ich dem dortigen Ministerium für Information gar nicht erst vorlege, weil ich zum voraus weiss, dass ich keine Einfuhrgenehmigung bekomme."

Die liberale Praxis in Libanon zieht nicht nur arabische Schriftsteller, sondern auch Journalisten an. Rashed Issa ist syrischer Kulturkorrespondent und berichtet für die libanesische Zeitung As-Safir über das kulturelle Leben aus Damaskus.

Allgegenwärtige Kontrolle

"Ich war es satt, mich länger mit syrischen Zeitungen aufzureiben und die ständig drohende Zensur auszuhalten", erzählt er in seinem Büro in Damaskus. "Wir dürfen hier nicht offen über Politiker schreiben, ja nicht einmal über Personen, die Beziehungen zum Regime haben."

Als er vor einigen Jahren für eine staatliche syrische Zeitung einen kritischen Bericht über das Filmfestival Damaskus schrieb, war das Kulturministerium so verärgert, dass es ihn strafversetzen liess – von der Redaktionsstube ins Archiv.

"In Syrien ist alles unter Kontrolle, jede Website. Auch ich fühle mich beobachtet. Dabei bin ich doch nur ein Kulturjournalist und kein Politaktivist, ich bin nicht gegen die Regierung", sagt Rashed Issa.

Fawwaz Haddad; Foto: Susanne Schanda
Buchverkauf unter dem Ladentisch: Trotz fehlender Genehmigung gelangen von jeder in Beirut gedruckten Auflage rund die Hälfte der Bücher illegal nach Syrien, sagt der syrische Schriftsteller Haddad.

​​Aber nicht nur die Zensur und die Unprofessionalität der syrischen Zeitungen, die der Journalist kritisiert, haben ihn bewogen, zu einer libanesischen Zeitung zu wechseln: "Ich bekomme dort für einen Artikel ein fünf Mal höheres Honorar als von einer staatlichen syrischen Zeitung und mehr als das Doppelte als von einem privaten Printmedium in Syrien."

Für As-Safir schrieb er kürzlich über die Kulturberichterstattung in syrischen Zeitungen und thematisierte dabei auch die Zensur und verbotene Websites, bisher ohne mit dem heimischen Regime Probleme zu bekommen.

Doch frei fühlt er sich in Syrien nicht. "Die Angst vor Repression und die Ungewissheit liegt wie eine schwere Hand auf mir. Manchmal möchte ich weg von hier, träume davon, an einem anderen Ort zu leben", bekennt Rashed Issa.

Während in Syrien das Informationsministerium die oberste Zensurbehörde ist, versteht sich der libanesische Informationsminister gerade als Vorkämpfer für die Meinungsfreiheit. Tarek Mitri entwarf bereits vor Jahren – damals noch als Kulturminister – ein Gesetz, das die Voraus-Zensur auch für Filme und Theateraufführungen abschaffen sollte.

Eine Oase der Freiheit

Bücher brauchen in Libanon zwar keine Genehmigung zur Publikation, doch landen auf Mitris Schreibtisch immer wieder Anträge, bestimmte Druckerzeugnisse zu verbieten. "Ich plädiere für ein Gesetz, das die Befugnis, ein Buch oder einen Film zu verbieten, aus der Hand der Politiker nimmt und den Gerichten übergibt", sagt der Minister.

Zudem schlägt er die Bildung einer nationalen Kommission für Freiheit und Ethik vor, eines Rats von weisen Frauen und Männern, der die moralische Autorität hat, den Gerichten eine Empfehlung zu abzugeben. Der Gesetzesentwurf konnte wegen der politischen Instabilität des Landes jedoch noch nicht einmal im Parlament diskutiert werden.

Trotz dieser offensichtlichen Mängel sieht Tarek Mitri sein Land in einer Region, die zumeist autoritär regiert wird, als Oase der Freiheit: "Davon profitiert der Libanon. Dies gibt unserem kleinen Land eine wichtige Rolle im Nahen Osten."

Susanne Schanda

© Qantara.de 2010

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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