Äthiopiens Sufi-Schrein: Das "Mekka der Armen"
-
-
Zehntausende Menschen aus dem Osten, Süden und Westen der Region Oromia, verschiedenen Teilen Äthiopiens, aus dem Sudan, Somalia und Dschibuti besuchen den Schrein. Das Gebiet liegt sehr weit abgelegen. Zwei Tage lang muss man schlammige Straßen passieren, um den Wallfahrtsort zu erreichen. -
Man muss barfüßig sein, um den heiligen Bereich zu betreten. Einmal drinnen, respektiert jeder das Gesetz: Es gibt keinen Diebstahl, keine Streitereien, keine laute Musik oder Beleidigungen. Die Atmosphäre ist entspannt. Eine tief verwurzelte Tradition der Toleranz ermöglicht es Muslimen und auch Christen, an den Zusammenkünften teilzunehmen. -
Während der Pilgerfahrt tragen die Oromo-Sufi-Scheichs kunstvolle Kopfbedeckungen aus Halsketten und Gebetsperlen. Je aufwendiger die Bedeckungen gestaltet sind, desto größer die Hingabe zu Sheikh Hussein. Die Ältesten genießen ein hohes Ansehen innerhalb der Gemeinde: Hier begrüßt Scheich Faisal seine Gäste mit Honig, ein großes Zeichen des Respekts. -
Y-förmige Holzstöcke sind während der Versammlung überall zu finden. Sie heißen "Hanqee" und sind Repliken von Sheikh Husseins Spazierstock. Für die Pilger ist dieser Holzstock ein Symbol für Frieden und Liebe. Sheikh Hussein soll damit Wunder vollbracht haben. Viele Geschäfte, die zum Schrein führen, verkaufen daher auch diese Repliken. -
Die Pilger stehen unter dem Schutz ihrer Sheikhs, wie diese Leute aus Jima. Nicht wenige von ihnen kauen Khat – eine Blattpflanze, die beim Kauen als Stimulans wirkt und angeblich den Geist erweiten soll. Doch in vielen Fällen schlägt die Droge um: Dysphorie, Angstzustände, reaktive Depressionen, Schlaflosigkeit und - im Extremfall - Anorexie sind nicht selten die Folge des Khat-Konsums. -
Jedem Pilgerführer wird während der Feierlichkeiten eine besondere Aufgabe zugewiesen. Einige Personen sind für die Tänze verantwortlich, andere für die Gebete, während wiederum andere die Tore beobachten, die zu den Schreinen führen. -
Ein Hüter der Schreine bläst ein Horn, um die Pilger zu einer Feier zu versammeln. Zeremonien finden rund um die Uhr statt, wobei Gruppen um die Aufmerksamkeit der Pilger buhlen - je mehr Besuche, desto größer das Ansehen. -
Eine der wichtigsten Praktiken des lokalen Kults ist das Singen von Liedern zu Ehren von Sheikh Hussein, auch "Baaroo" genannt. Sänger skandieren laut in ihre Megaphone und ziehen so die Pilger an, welche ihnen Essen, Wasser und Khat als Ausdruck ihrer Dankbarkeit geben. -
Die weißen Wände der Schreine sind mit riesigen Inschriften aus dem Koran verziert. Die Pilger verbringen ihre Zeit damit, von Tor zu Tor zu gehen und durch kleine Türen in die Schreine zu gelangen. Wenn ein Muslim es sich nicht leisten kann, in seinem Leben einmal nach Mekka zu pilgern, so kann er den Schrein von Sheikh Hussein besuchen, der in der islamischen Gemeinschaft Äthiopiens auch als "Kleines Mekka" bekannt ist. -
Kinder bemalen ihr Gesicht mit "Jarawa" – einem weißen Kalksteinpulver, dem man magische Kräfte nachsagt und das in einer Höhle, acht Kilometer vom Schrein entfernt, zu finden ist. Auch das Wasser aus den Teichen der Umgebung gilt als heilig: Die Pilger trinken es und verwenden es für ihre rituellen Waschungen. -
Da die Pilger Hussein als göttlichen Fürsprecher betrachten, beten viele um eine Lösung ihrer Gesundheitsprobleme, sie beten ihn an, um beruflichen Erfolg oder um das Wohlergehen ihrer Familie. Der Schrein von Sheikh Hussein ist ein Ort, an dem Pilger eine Mischung aus islamischer Religion und traditionellem afrikanischen Glauben praktizieren. Diese ist auch als sogenannte "Muda" bekannt. -
Die Feierlichkeiten zu Ehren von Sheikh Hussein werden oft von Extremisten bedroht. Auch gelten die Anhänger des Sheikh-Hussein-Kults als sozial marginalisiert. Sie werden öffentlich bedroht, sind Schikanen ausgesetzt und auch die Zerstörung der Schreine nimmt zu, so dass immer weniger Pilger nach Sheikh Hussein kommen. -
Die Pilgerfahrt ist eine Zeit des Gebets, aber auch der Spenden und Opfergaben. Die Veranstaltungen ziehen Hunderte von Bettlern und Blinden an, die von den Besuchern kleine Geldspenden einsammeln. Die wohlhabendsten Pilger bieten sogar Kamele, Ziegen oder Rinder als Opfer an, das Fleisch wird unter den Gläubigen und Bedürftigen der Gemeinschaft verteilt. -
Der Sheikh-Hussein-Kult ist eine lebendige Tradition, die bald von der UNESCO klassifiziert werden könnte. Obwohl dieser Kult noch nicht auf der Liste des Welterbes steht, wurde er bereits in der vorläufigen Liste aufgenommen. Das an sich ist schon ein Wunder, wenn man bedenkt, wie weit abseits der ausgetretenen Touristenpfade sich dieser heilige Ort doch befindet!
https://qantara.de//node/23322
Link
Alle Bildergalerien