Sufi-Schreine – die spirituellen Oasen Istanbuls Zwischen Hochhäusern, Touristenattraktionen und Großstadtalltag gibt es in Istanbul eine Welt der Ruhe und Kontemplation: die Sufi-Schreine. Marian Brehmer hat einige der Grabmäler besucht. Istanbul war über Jahrhunderte nicht nur die Hauptstadt des Osmanischen Reiches, sondern auch deren spirituelles Zentrum. Hunderte von Tekkes (Sufi-Konvente) dienten am Bosporus als spirituelle Schulungs- und Versammlungsstätten. Das Aufsuchen von Sufi-Schreinen (Türkisch „ziyaret“) ist eine wichtige Glaubenspraxis des Volksislam. An den Heiligengräbern bringen Menschen aus allen Gesellschaftsschichten seit Jahrhunderten Gebete dar – sei es eine Frau mit Kinderwunsch, ein Kaufmann, der sich bessere Geschäfte erhofft, oder ein Staatsmann vor dem Treffen wichtiger Entscheidungen. Die Grabmäler der Istanbuler Shaykhs, Sufi-Meister vergangener Jahrhunderte, werden bis heute von Stadtbewohnern und Reisenden besucht. Einer der wichtigsten Schreine auf der europäischen Stadtseite gehört Yahya Efendi (1494-1569), einem Zeitgenossen von Sultan Süleyman. Nachdem Yahya Efendi von seinem Meister die Lehrerlaubnis erhielt ließ er sich in einem Garten im Stadtteil Besiktas nieder. Dort widmete er sich dem geistigen Leben und empfing Gäste, die seinen Segen ersuchten. Heute besuchen viele das Grab Yahya Efendis auch wegen seines malerischen Bosporus-Blicks. Auf dem Sarkophag eines Heiligen, wie hier bei Yahya Efendi, wird sein Turban ausgestellt. Der Turban ist Symbol für den spirituellen Rang des Meisters und unterscheidet je nach Farbe und Form verschiedene Sufi-Orden voneinander. Meistens ist an ein Sufi-Grabmal auch eine Moschee angegliedert, sodass Besucher gleichzeitig das rituelle Gebet verrichten können. Viele der Schreine wurden in den letzten Jahren aufwändig restauriert. Der Schrein von Mustafa Devati, Sufi-Meister aus dem 16. Jahrhundert, liegt an einer belebten Geschäftsstraße im asiatischen Stadtteil Üsküdar. Viele besuchen das Grabmal beim Einkaufen oder auf dem Weg zur Arbeit. Der Stadtteil Üsküdar ist bekannt für seine besonders hohe Schrein- und Moscheendichte. Viele Nachbarschaften und Straßen sind hier nach den Namen bekannter Sufi-Meister oder Derwisch-Konvente benannt worden. Stets gut besucht ist das Grabmal von Aziz Mahmud Hüdayi (1541-1628) im Zentrum von Üsküdar. Hüdayi, Gründer des Cevelti-Ordens, ist auch als Dichter mystischer Poesie in der osmanischen Sprache bekannt. Sein Grabkomplex umfasst eine Koranschule und eine Bibliothek. Zum Besuchsritual bei Aziz Mahmud Hüdayi gehört das Umrunden seines Sarkophags, wobei besonders an Wochenenden und Feiertagen oft Staus entstehen. In der Nähe eines Meisters liegen häufig seine Familienmitglieder, Schüler und Nachfolger, sowie Generationen von Schreinwächtern begraben. Auch ihnen wird beim Schreinbesuch Resepekt gezollt. Trotz des offiziellen Verbots von Sufi-Bruderschaften durch Mustafa Kemal Atatürk gibt es heute noch aktive Sufi-Gemeinschaften in Istanbul. So starken Zulauf wie die Gräber der großen Sufis der Stadt haben sie allerdings nicht.