"Wir sind von hier": Fotografien von Ergun Çağatay Zum 60. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens zeigt eine Schau in Essen Ergun Çağatays Reportage über das Leben der sogenannten Gastarbeiter. Von Ceyda Nurtsch Selbstporträt: 1990 machte der renommierte Istanbuler Fotograf Ergun Çağatay (1937-2018) tausende Aufnahmen von türkischstämmigen Menschen in Hamburg, Köln, Werl, Berlin und Duisburg. Ein Selbstbild in Grubenkleidung vor Beginn der "Anfahrt", Bergwerk Walsum, Duisburg. Die Schau "Wir sind von hier. Türkisch-deutsches Leben 1990" ist bis zum 31. Oktober, dem 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens mit der Türkei, im Ruhr Museum zu sehen. Glückauf! Zwei Bergleute in einem Personenwagen im Bergwerk Walsum. Durch den starken wirtschaftlichen Aufschwung fehlte es Deutschland an gut ausgebildeten Arbeitskräften, besonders in den Bereichen Landwirtschaft und Bergbau. Durch das Anwerbeabkommen, das Bonn 1961 mit Ankara schließt, kommen bis zum Anwerbestopp 1973 mehr als eine Million sogenannte Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland. Das deutsche Wirtschaftswunder: Polsterfertigung bei Ford, Köln-Niehl. "Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen." Dieser Satz des Schweizer Schriftstellers Max Frisch prägt bis heute die Diskussion um die "Gastarbeiter". Die Community bildet mit der vierten Generation der Nachgeborenen mit 2,5 Millionen Menschen die größte Gruppe von Migranten in Deutschland. Für mehr Rechte: Bei seiner dreimonatigen Fotoexpedition durch Deutschland erlebt Çağatay ein Land im Umbruch. Zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung ist Deutschland dabei, sich zu einer multikulturellen Gesellschaft zu entwickeln. Eine Demonstrantin auf der Kundgebung in Hamburg 1990 gegen den Entwurf des neuen Ausländergesetzes. Zuhause: Die Fotos geben Einblick in die Vielfalt der türkisch-deutschen Lebenswelt. Hier ein Besuch bei der Familie von Hasan Hüseyin Gül in Hamburg. Die Ausstellung zeigt die bislang umfangreichste Reportage zur türkischen Einwanderung der ersten und zweiten Generation der sogenannten Gastarbeiter. Der Geschmack der Heimat: Oliven, Schafskäse - heute in jedem türkischen Supermarkt zu finden. Doch lange beladen die "Gastarbeiter" bei ihren Urlaubsreisen die Autos mit Essen aus der alten Heimat. Nach und nach bauen sie sich in Deutschland ihre eigene kulinarische Infrastruktur auf - zur großen Freude aller Feinschmecker. Ein Porträt der Inhaber des Obst- und Gemüsegeschäfts "Mevsim", Weidengasse, Köln-Eigelstein. Brüderlich wie die Bäume im Wald: Kinder mit Luftballons auf dem Sudermanplatz im Agnesviertel in Köln. Neben dem Baum auf dem Wandbild der Brandmauer steht ein Gedicht des türkischen Lyrikers Nazım Hikmet: "Leben, einzeln und frei wie ein Baum und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht." Hikmet selbst lebte im Exil in Russland, wo er 1963 starb. Koranlektüre: In einer Koranschule der Fatih-Moschee in Werl lernen Kinder die arabischen Schriftzeichen, um den Koran lesen zu können. In Werl wird zu dieser Zeit die erste neugebaute Moschee mit Minarett in Deutschland eröffnet. Jetzt müssen die Menschen zum Beten nicht mehr in den Hinterhof gehen. Auf einem Kissen bis ins hohe Alter: Der Fotograf Ergun Çağatay mischt sich unter die Gäste einer Hochzeit am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg. Im Veranstaltungssaal "Burcu" empfängt das Brautpaar die Geschenke seiner Gäste. Dabei wird den frisch Vermählten Geld zugesteckt, unter großer Anteilnahme aller. "Möge Gott Euch auf einem Kopfkissen alt werden lassen", ist ein gängiger Hochzeitswunsch. Maşallah - Wunderbar: Auch in der neuen Heimat werden Traditionen gepflegt. "Maşallah" steht auf der Schärpe des Jungen bei seinem Beschneidungsfest in Berlin-Kreuzberg. Das bedeutet hier so viel wie "wunderbar". Die Wanderausstellung wird unter anderem gefördert durch das Auswärtige Amt. Neben Essen, Hamburg und Berlin ist sie in Kooperation mit dem Goethe Institut in Izmir, Istanbul und Ankara zu sehen.