Auf die lange Bank geschoben
Was für christliche Schülerinnen und Schüler eine Selbstverständlichkeit ist - regulärer Religionsunterricht in der Klasse -, ist für ihre rund 350.000 Mitschülerinnen und Mitschüler muslimischen Glaubens, die 6% der Gesamtschülerschaft ausmachen, nicht so einfach möglich. Nach wie vor wird in Deutschland "Islamische Religion" als ordentliches Lehrfach nicht angeboten. Gleichwohl betonen Bildungsexperten die Bedeutung des Faches für die Identitätsbildung der Musliminnen und Muslime und für den interkulturellen Dialog.
Suche nach dem richtigen Ansprechpartner
Seit mehr als zwanzig Jahren sind die jeweiligen Landesregierungen bemüht, einen islamischen Religionsunterricht einzuführen. Eine große Schwierigkeit besteht darin, dass es auf islamischer Seite keinen einheitlichen Ansprechpartner für alle Muslime in Deutschland gibt. So sehen sich die Bundesländer einer Vielzahl von lokal ansässigen (einzelnen) Vertretungen der jeweiligen Dachorganisationen gegenüber und tun sich entsprechend schwer, diese als einheitlichen Ansprechpartner für ihr Bundesland rechtlich anzuerkennen. Eine Ausnahme bildet das Bundesland Brandenburg. Die Islamische Föderation in Berlin hat im Schuljahr 2004/05 den Islamischen Religionsunterricht auf insgesamt 37 (Grund-) Schulen ausgeweitet. In einigen Bundesländern wurden Schulversuche gestartet, deren Curricula in unterschiedlich enger Kooperation mit verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern des Islam entstanden, wobei die Lehrpläne ausschließlich vom jeweiligen Bundesland verantwortet werden.
Bundesweite Schulversuche
Allein in Nordrhein-Westfalen liegt die Anzahl der Schulen, die am Schulversuch "Islamkunde in deutscher Sprache" teilnehmen, bei 130 Schulen. Momentan werden mehr als 8.000 Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Schulversuchs unterrichtet. Ein zweiter Schulversuch soll demnächst in NRW etabliert werden. "Islamischer Religionsunterricht" wird an zwei Standorten (Duisburg und Köln) zunächst für vier Jahre erprobt, bei Erfolg soll das Modell auch auf andere Städte ausgeweitet werden. In Niedersachsen sind über 20 Schulen am Schulversuch "Islamischer Religionsunterricht" und in Bayern, wo gleich zwei Schulversuche durchgeführt werden, sind insgesamt 22 Schulen beteiligt (Schulversuch "Islamunterricht" in Erlangen: 1 Grundschule beteiligt, drei weitere Grund-, Haupt- und Realschulen in Erlangen und Nürnberg für 2007 in konkreter Vorbereitung).
Am Pilotprojekt "Religiöse Unterweisung türkischer Schülerinnen und Schüler" (Unterrichtssprache Deutsch) nehmen derzeit 21 Schulen teil. Momentan kann es aus rechtlichen Gründen in den Bundesländern (ausgenommen Berlin) nur einen islamkundlichen Unterricht geben, der die Verkündung des Glaubens und die Erziehung zum Glauben ausspart. Darin unterscheidet er sich vom Religionsunterricht im Sinne des Art. 7 Abs. 3 GG.
Dieser Paragraph besagt nämlich, dass nur eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft das Recht auf einen ordentlichen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen hat. Ein Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland (KRM) (bestehend aus ZMD: Zentralrat der Muslime in Deutschland, Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, DITIB: Diyanet İşleri Türk İslam Birliği bzw. Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. und VIKZ: Verband Islamischer Kulturzentren), wurde 2006 gegründet, zunächst um Verhandlungen mit dem Land Nordrhein-Westfalen aufzunehmen. Bis heute fungieren die muslimischen Dachorganisationen rechtlich nicht als Ansprechpartner im Sinne einer Religionsgemeinschaft für die hier in Deutschland lebenden Muslime. Für 2007 ist eine Dachorganisation der Muslime in Deutschland geplant. Erklärtes Ziel der jeweiligen Landesregierungen ist, langfristig islamischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach einzuführen.
Lehrstühle für islamische Religionslehre
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem ordentlichen Islamischen Religionsunterricht war 2001 die Gründung des Centrums für Religiöse Studien der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (CRS). Seit Juli 2004 hat Prof. Dr. Muhammad Kalisch den am CRS eingerichteten Lehrstuhl für "Religion des Islam" inne. Darüber hinaus verantwortet das CRS den neu eingerichteten Master-Studiengang "Islamische Theologie" und bildet somit zukünftige islamische Theologen aus, die in Deutschland in mehreren Bereichen arbeiten können (z.B. als Imam, Seelsorger etc.). Auch am CRS sieht man im islamkundlichem Unterricht nur ein Übergangsmodell, das zukünftig in die Einführung eines regulären islamischen Religionsunterrichts gemäß Art. 7 Abs. 3 GG münden muss.
Eine Professur für "Islamische Religionslehre" wurde im März 2006 an der Universität Bayreuth eingerichtet. Dr. Harun Behr hat den Ruf auf die Professur erhalten. Im Rahmen dieses Erweiterungsstudienganges sollen dort folgende Studieninhalte vermittelt werden: "Arabische Sprache, Koran und Glaubenslehre des Islam, Geschichte ausgewählter islamischer Kulturkreise, Denk- und Rechtstraditionen bis in die Moderne, Islam in Europa und Deutschland, Religionspädagogik und ein religionswissenschaftliches Studiengebiet". Die Professur für "Islamische Religionslehre" ist angegliedert an das „Interdisziplinäre Zentrum für Islamische Religionslehre“ (IZIR), das von den Fakultäten Philosophie I und II, Jura, Islamwissenschaften und Erziehungswissenschaften getragen wird.
Ein ähnlicher Lehrstuhl soll im kommenden Jahr an der Universität Osnabrück besetzt werden, um auch dort Lehrerinnen und Lehrer für Islamischen Religionsunterricht im Rahmen eines Erweiterungsstudiengangs auszubilden. Außerdem gibt es an der Universität Frankfurt seit dem Sommersemester 2003 eine Stiftungsprofessur "Islamische Religion", die an der Evangelischen Theologie angesiedelt ist und vom türkischen Präsidium für Religionsangelegenheiten in Ankara finanziert wird. Die Stiftungsprofessur für Islamische Religion wird seit dem Wintersemester 2006/2007 von Prof. Dr. Ömer Özsoy besetzt.
Als Gastprofessor doziert momentan Prof. Dr. Tahsin Görgün. Das Studium bietet einen Magisterstudiengang an und soll anschließend die Studierenden befähigen, beispielsweise als Imam in einer Moschee oder als islamischer Religionslehrer an öffentlichen Schulen zu arbeiten. An den drei bereits existierenden Lehrstühlen gilt es nun, neben den theologischen Studien auch eine islamische Religionsdidaktik auszuarbeiten, allerdings benötigt man dafür auch einen regulären Islamischen Religionsunterricht, um die Didaktik anwenden und erproben zu können. Mit den relativ wenigen Schulen, die am Schulversuch beteiligt sind, kann eine Religionsdidaktik jedoch kaum erprobt und weiter ausgebaut werden. Die Etablierung eines weiteren Lehrstuhls für Islamische Religionspädagogik an der Universität Osnabrück wird für das Wintersemester 2007/2008 angestrebt.
Lamya Kaddor
© Goethe-Institut 2007
Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Assistentin am deutschlandweit ersten Lehrstuhl für Religion des Islam, der dem Centrum für Religiöse Studien der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zugeordnet ist. Als Lehrerin ist sie im Rahmen des nordrhein-westfälischen Schulversuchs "Islamkunde in deutscher Sprache" tätig. Seit dem Schuljahr 2006/2007 bildet sie im Auftrag des niedersächsischen Kultusministeriums Lehrkräfte für den islamischen Religionsunterricht fort.