Kein Frieden in Nahost ohne Hamas und Hizbullah?
Kann es, darf es Verhandlungen mit radikalislamischen Bewegungen wie Hamas und Hizbullah geben? Aus israelischer und amerikanischer Sicht auf keinen Fall. Sowohl die palästinensische "Bewegung des islamischen Widerstands" wie auch die libanesische "Partei Gottes" gelten als Terrororganisationen, die militärisch zu bekämpfen und politisch zu isolieren sind.
Die Europäische Union dagegen sieht allein die Hamas als Terrororganisation, nicht aber die Hizbullah. Und selbst diese Haltung wird gegenwärtig geprüft.
Bei ihrem Treffen in Luxemburg Mitte April verständigten sich die 25 EU-Außenminister, auf einen Dialog mit islamistischen Oppositionsgruppen zu setzen. Dieser partielle Tabubruch könnte mittelfristig bedeuten, dass die Europäer ihre formelle Kontaktsperre zur Hizbullah und zur Hamas aufgeben.
Hinter dieser Haltung steht die Einsicht, dass der politische Islam im Nahen und Mittleren Osten einen Machtfaktor darstellt, den niemand ignorieren kann, der über Demokratieförderung in der Region nachdenkt. Es gibt keinen Grund, die Hamas oder die Hizbullah zu mögen. Aber beide sind Massenbewegungen.
Islamistische Organisationen als Machtfaktor
Die Hamas erhielt bei den letzten Kommunalwahlen im Gazastreifen rund 70 Prozent der Stimmen, unter den Schiiten im Südlibanon ist die Hizbullah ebenfalls der entscheidende Machtfaktor.
Daraus ergeben sich eine Reihe von konkreten Problemen etwa für westliche Hilfsorganisationen. Bislang wagt es etwa die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) nicht, sich im Gazastreifen zu engagieren, obwohl ihre Hilfe dort dringend erforderlich wäre. Denn ihre lokalen Partner wären zwangsläufig Vertreter der Hamas.
Wer allerdings Veränderungen in der Region anstrebt, kann vor den Realitäten nicht die Augen verschließen. Weder die Hamas noch die Hizbullah sind mit Hilfe von Dämonisierungen aus der Welt zu schaffen. Man kann sie militärisch bekämpfen, was bislang alle israelischen Regierungen versucht haben – ohne Erfolg, sie sind nur noch stärker geworden.
Die Hamas wie auch die Hizbullah sind beide als Widerstandsbewegungen gegen die israelische Besatzung palästinensischer Gebiete und des Südlibanon entstanden, und sie haben sich beide nie gescheut, dabei terroristische Mittel anzuwenden, darunter Geiselnahmen und Selbstmordanschläge.
Dennoch greift es zu kurz, sie allein als Terrororganisationen anzusehen. Ihre Massenbasis verdanken sie, jenseits ihres Dschihad-Mythos', vor allem dem Angebot von sozialen Dienstleistungen. Wie alle Islamisten gewinnen sie ihre Anhänger weniger mit Ideologie als vielmehr mit überzeugenden materiellen Hilfsangeboten – Sozialfürsorge, Rentenzahlungen, Nachbarschaftshilfe etc. Finanziert werden diese Aktivitäten mit Hilfe von Spenden aus dem In- und Ausland, im Falle der Hizbullah vor allem seitens Iran.
Gesinnungswandel bei Hamas
Gleichzeitig wissen sowohl die Führer der Hamas wie auch der Hizbullah, dass sie sich den politischen Realitäten anpassen müssen, wenn sie nicht an Einfluss verlieren wollen. Widerstand und Terror mögen aus Sicht der Akteure zu bestimmten Zeiten ihre Berechtigung haben, sie ersetzen aber nicht die politische Option.
Aus diesem Grund hat die Hamas in den letzten Monaten einen Gesinnungswandel vollzogen und wird sich künftig ohne Einschränkungen an den Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten beteiligen. Gleichzeitig reden ihre Vertreter von einer Hudna, einer Waffenruhe gegenüber Israel.
Sollte es den säkularen PLO- und Fatah-Führern unter Ministerpräsident Mahmud Abbas nicht gelingen, von den Israelis einen klaren Fahrplan für die Gründung eines palästinensischen Staates und ein Ende der Besatzung zu erhalten, dürfte die Hamas auch bei den im Sommer geplanten Wahlen im Westjordanland einen deutlichen Stimmenzuwachs erzielen.
Hamas und Hizbullah genießen auch aus einem anderen Grund Respekt in breiten Teilen der Bevölkerung. Im Gegensatz zu ihren politischen Konkurrenten gelten sie nicht als korrupt. Westliche Botschafter in Beirut (mit Ausnahme des amerikanischen) bescheinigen dem Kopf der Hizbullah, Scheich Hassan Nasrallah, ebenso unbestechlich wie pragmatisch zu sein.
Kontakte bestehen schon seit langem
Die radikale Rhetorik, wie sie etwa der Hizbullah-Fernsehsender Al-Manar pflegt, ist das eine, die Notwendigkeit, sich als politische Partei zu profilieren, ein anderes. Umso mehr, als die israelische Besatzung Südlibanons seit fünf Jahren Vergangenheit ist.
Die Libanesen haben gerade in den letzten Wochen bewiesen, dass sie nicht auf Gewalt setzten. Religiöse oder politische Extremisten wird es gleichwohl immer geben, auf beiden Seiten der Fronten. Entscheidend ist, dass sie nicht die Oberhand behalten.
Die Frage, ob europäische Regierungen mit Hamas und Hizbullah reden sollten, ist einerseits eine akademische – Kontakte gibt es de facto seit Jahren. Andererseits ist sie nicht zu beantworten, ohne die jeweiligen Sichtweisen auf den Nahostkonflikt zu berücksichtigen.
Es gibt mindestens zwei Narrative, Erklärungsmuster der Krise. Ein jüdisch-israelisches, das in Hamas und Hizbullah wenig mehr sieht als eine regionale Variante der NSDAP. Und ein arabisch-islamisches, das beide Gruppen als legitime Widerstandsbewegungen gegen eine demütigende israelische Besatzung ansieht.
Eine ausgewogene europäische Politik sollte sich weder die eine noch die andere Sichtweise zu eigen machen. Es geht darum, zwischen beiden Seiten eine vermittelnde Position einzunehmen und pragmatische Lösungen zu finden. Dazu gehört auch die Einbindung von Hamas und Hizbullah in den Friedensprozess – nicht zuletzt, um sie in die Pflicht zu nehmen.
Michael Lüders
© Qantara.de 2005
Michael Lüders ist Islamwissenschaftler und Publizist