Underground-Musik verleiht jungen Indonesiern eine Stimme
Eine chaotische Menge aus Mohawks, Glatzen und Dreadlocks drängt sich vor einer kahlen Halle in Yogyakarta, der Kulturhauptstadt der indonesischen Hauptinsel Java. Die Luft ist stickig bei mehr als 30 Grad unter den Bananenstauden, und die vorsintflutlichen Lautsprecher ächzen unter den politischen Texten der Punkband "Blackboots".
Während eine kleine Gruppe Punks sich beim Pogo warm rempelt, warten die Rastafaris, Ska- und Heavymetal-Fans noch auf den Auftritt ihrer Lieblings-Bands beim diesjährigen Underground-Festival der Literaturfakultät an der Gadjah-Mada-Universität.
Protest gegen die autoritäre Regierung
So unterschiedlich der Musikgeschmack oder Modestil dieser bunten Menge auch sein mag, ein Interesse haben sie alle gemeinsam: Sie wollen ihre Unabhängigkeit von den herrschenden Konventionen ausdrücken, von der in ihren Augen immer noch autoritären Regierung und der sozialen Kontrolle durch die Gesellschaft.
Sie lehnen sich gegen die überwiegend passive Haltung der älteren Generation in ihrem Land auf, die gewohnt ist, alles hinzunehmen, was von oben angeordnet wird, und wollen damit etwas bewegen in ihrer Krisen geschüttelten Heimat.
"Die Apathie in diesem Land ist einfach ätzend, wir wollen etwas verändern", sagt Aris Manyul, Leadsänger der Blackboots. Die Gruppe feierte ihren größten Erfolg nach dem Rücktritt des ehemaligen Diktators Suharto im Jahre 1998 - wie die gesamte Underground-Bewegung in Indonesien.
Vereinzelte Bands gab es zwar schon seit den 1980er Jahren, bekannt wurde der Begriff Underground allerdings erst, als 1994 dank MTV internationaler Punk, Ska und Hardrock auch die indonesischen Charts erreichte. Die Blackboots existieren - mit Unterbrechungen - seit 1996.
Wie ein paar Jahrzehnte zuvor im Westen, versuchen Studenten ebenso wie Arbeitslose oder Straßenkids ihre Unzufriedenheit mit der konservativen Gesellschaft und den zu langsamen politischen Veränderungen durch non-konforme Kleidung, Musik und Aktionen auszudrücken, indem sie die bekannten Symbole für sich neu definieren. "Wir kämpfen gegen Kapitalismus und Militarismus. Wir unterstützen die Demokratisierung in Indonesien, aber auf unsere Weise", erklärt Manyul.
"Law and Order" gegen musikalisches Rebellentum
Dass dies nicht im Interesse der ehemaligen Machthaber lag, haben die Blackboots am eigenen Leib zu spüren bekommen: Bei einem Konzert, das noch zu Suhartos Zeiten stattfand, haben Militärpolizisten die vier Bandmitglieder mit Gewehrkolben von der Bühne geprügelt, weil ihnen die kritischen Texte nicht gefielen.
Doch auch nach dem Ende der Militärdiktatur haben es junge Leute, die nicht ins Bild der herrschenden Elite passen, immer noch schwer in der angehenden Demokratie. Konzerte mancher Gruppen - wie zum Beispiel der Hardcore-Band "Teknoshit" - wurden auch nach Suhartos Fall immer wieder von Bombendrohungen ultra-konservativer Gruppen, vor allem islamischer, aber auch nationalistischer Prägung, heimgesucht.
Unter Suhartos "Neuer Ordnung" galten Tätowierungen oder langes Haar als eindeutiges Erkennungszeichen für Kriminelle oder Oppositionelle. Die Elterngeneration kommt daher oft nur schwer damit zurecht, wenn ihr Nachwuchs auf einmal mit verfilzten Strähnen oder tätowierten Armen herumläuft.
"Viele junge Leute bekommen nur wegen ihres Aussehens von ihren Eltern keine Unterstützung mehr, so dass sie sehen müssen, wie sie sich über Wasser halten. Mit Studieren ist dann nichts mehr", erzählt der Blackboots-Sänger.
Gegen den Mainstream
Sieben Jahre nach dem Umsturz drängen allerdings auch immer mehr so genannte Underground-Gruppen in den Mainstream, wo Sony, MTV, Geld und Ruhm winken. Nur wenige schaffen es dabei, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren und ihren Zielen treu zu bleiben - und nicht in einen Modetrend abzudriften, wie große Teile der westlichen Jugendlichen, die heute zerschlissene Strumpfhosen für teures Geld im Designer-Laden kaufen.
Vor allem in den Städten gilt es inzwischen auch bei vielen jungen Indonesiern außerhalb der Punkszene als cool, mit Nietengürtel und Spike-Armband aufzufallen. Zum Ärger der "echten Punks".
"Das ist doch nur aufgesetzt. Wir verweigern uns ja gerade jeder Mode. Für uns ist immer noch die politische Botschaft wichtig - daran unterscheiden sich die echten Punks von denen aus dem Katalog", sagt Aris Manyul. "Unser Ziel ist, den Jugendlichen in Indonesien Selbstvertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten zurückzugeben, so dass sie wieder anfangen, selbst etwas aufzubauen, anstatt einfach alles als gegeben hinzunehmen."
Christina Schott
© Qantara.de 2005
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