Teil einer Kultur des Widerstandes
Ursprünglich ist "Qalandiya International" im Jahr 2012 aus einem Zusammenschluss von fünf palästinensischen Kulturvereinen, Stiftungen, und Galerien entstanden. Inzwischen sind es 13 ausrichtende Organisationen, doch noch immer ist es eine "Graswurzelbiennale", bei der es keinen Starkurator gibt, sondern Ausrichtung, Themen, Modalitäten gemeinsam beschlossen werden.
Und noch immer hat "Qalandiya International" den Anspruch, sich selbst als Teil einer 'Kultur des Widerstandes' zu definieren. Schon der Name verweist darauf: Der "Qalandiya Checkpoint", der wichtigste Übergang zwischen Jerusalem und Ramallah, ist eine monströse Mondlandschaft aus Betonklötzen, Tunnels aus Metallzaun, Wachtürmen, mittendrin die sechs Meter hohe Trennmauer. Dazwischen und rundherum Schutt und Müll. Zugleich aber war "Qalandiya International" bis 1967 auch der Flughafen Jerusalems, ein Tor zur Welt.
Kann die Kunst erneut eine derartige Öffnung darstellen, gleichermaßen gegen die physische Realität des Nahostkonflikts? Die Wahl der Form einer Biennale kann dabei durchaus zweischneidig sein: Eine Biennale, das ist ein auswechselbares Format, das von Beginn ambitioniert ist, ein neuer globaler Kunstmagnet zu werden: Nach Venedig, Kassel, Rio de Janeiro und Istanbul nun auch Palästina.
Keine Beliebigkeit
Wir können es vorwegnehmen: Das Abrutschen in die global-hippe Beliebigkeit ist nicht eingetreten. Auf der bisher zweiten Ausgabe der "Qalandiya International", die im vergangenen November zu Ende ging, waren mehr als 100 palästinensische und internationale Künstlerinnen und Künstler zu sehen, in einem Dutzend Ausstellungen von Ramallah bis Gaza, Jerusalem, Haifa und Bir Zeit.
Sehenswert war dabei fast alles: Die ganz Gaza gewidmete Ausstellung der "Al-Housh-Gallery" in Jerusalem, die Arbeiten für den "Young Artist of the Year Award" (YAYA) der Qattan-Stiftung in Ramallah, ein Panorama palästinensischer Kunst unter dem Titel „Manam“ (Träume), ausgerichtet von der "Arab Cultural Association" in Haifa, bis hin zu selbstreflexiven Recherchen in den Archiven der Gemeindeverwaltung Ramallahs und Reminiszenzen an die erste Intifada in Ausstellungen in Gaza sowie einem Kunst-Happening in Ramallah.
Absage an Feindbilder und Propagandakunst
Was dabei glücklicherweise ganz fehlte, war jegliche nationalistische Rhetorik sowie eine Propaganda-Kunst des "Wir-gegen-sie". ImGegenteil: Die "Intifada-Prozession" durch Ramallah etwa (kuratiert von Rula Khoury), bei dem die Zuschauer als Demonstranten einen Protestmarsch der ersten Intifada nachstellten, beschwor ja nicht eine Vergangenheit um ihrer selbst willen, sondern wandte sie sogleich gegen die triste Gegenwart, gegen die mediokre palästinensische politische Führung und ihr fruchtloses diplomatisches Lavieren.
Ironisch und elegisch hingegen: Ala Younes' Beitrag, ein "Museum of Manufactured Response to Absence", kurz MoMRtA, das die Abwesenheit hunderttausender Palästinenser in Kuwait thematisiert. Nachdem Jassir Arafat Saddam Husseins Invasion Kuwaits öffentlich unterstützt hatte, wurden die meisten der 400.000 in Kuwait lebenden Palästinenser entweder vertrieben oder flüchteten aus eigenen Stücken. Die von Younes kuratierten Artefakte greifen die Unmöglichkeit ihrer Zugehörigkeit jetzt noch einmal auf – sei es als kunstvoll bestickte kuwaitische Landestracht, deren Kopfloch viel zu klein geraten ist, als dass jemand sie tragen könnte, sei es als edel gegossener Seifenblock mit dem Aufdruck "Vergissmeinnicht", welcher beim Waschen gleich als erster verschwindet.
Ganz im Zeichen der jüngsten Geschichte standen hingegen die Kunstwerke in der "Al-Housh-Gallery" in Jerusalem. Als im Sommer die Bomben auf Gaza fielen, und die Raketen aus Gaza nach Israel flogen, als der Krieg tobte und die Zahl der Toten in Gaza stetig stieg, waren die Vorbereitungen für die Biennale gerade voll angelaufen.
Kunst in Zeiten des Krieges
Für fast alle Kuratorinnen und Kuratoren stellte dies eine gewaltige Herausforderung dar: Wie sollte die Kunst darauf regieren? Dabei ging es nicht nur darum, wie mit der eigenen Betroffenheit und Ohnmacht umgegangen werden kann. Mahmoud Abu Hashhash, einer der Kuratoren der "Qalandiya International", erzählt: "Es gab mehrere Institutionen in Gaza, mit denen wir zusammenarbeiteten, die jetzt einfach nicht mehr existieren: Sie sind völlig zerstört worden, es gibt keine Gebäude mehr, keine Büros, keine Akten, keine Möbel..."
Für Yazid Anani, Architekt und Kurator der Ausstellung "Outside the Archive" in Ramallah, gab es für "Qalandiya International" drei Optionen, wie man auf den Krieg reagieren könnte: "Die Kunstbiennale absagen, verschieben, oder weitermachen wie bisher... Eine Absage wäre einer Kapitulation gleich gekommen. Wir hätten damit zugegeben, dass wir mit unserer Arbeit nichts ausrichten können. Verschieben würde bedeuten, so zu tun, als ob in ein paar Monaten, oder im nächsten Jahr, Normalität herrschen könnte. Aber in Gaza gibt es keine Normalität, schon seit der Kolonisierung nicht mehr. Also blieb uns nur die Option weiterzumachen – aber so, dass die Kunst eben nicht unpolitisch, oder unterhaltend wirkt, sondern sich als Teil einer Kultur des Widerstandes manifestiert", so Anani.
Die künstlerische Leiterin der "Al-Housh-Gallery", Alia Rayyan, hat ihn beim Wort genommen, nur drei Monate vor Beginn der Biennale den bereits engagierten Kurator wieder ausgeladen und ein neues, vollständig Gaza gewidmetes Programm zusammengestellt.
Keine Betroffenheitskunst
Die Wette ist aufgegangen, die gezeigten Arbeiten vermeiden sowohl Rhetorik als auch Betroffenheitskunst. Vielmehr bieten sie vier ganz verschiedene Zugänge an, wie mit Kunst auf den Krieg geantwortet werden kann. Die schwarzen und schweren Fotografien von Eduardo Soteros etwa legen Zeugnis ab von der Zerstörung, wie sie sich in den Gesichtern der Menschen spiegelt, an denen eine ganze Geschichte der Verwüstung sich ablesen lässt.
Gegen die immer gleichen Bilder aus Gaza lässt Mohammed Harb eine Gegenflut los, ein großflächiges Panorama aus tausend kleinformatigen Schnappschüssen, in dem der Betrachter sich verliert: So haben wir Gaza noch nie gesehen, diese Schaufensterpuppe, jenes Kind, diese Palmen und jener Schatten, jener Zaun.
Mohammed al-Hawajri hingegen findet bereits bunte Farben in dem Einheitsgrau der Trümmer, der Häuserruinen, dem Staub und Schutt, welche der letzte Krieg hinterlassen hat. Dazwischen blitzt der Überlebenswillen in bunten, poppigen Farben auf, hier ein geretteter Teppich, da eine grelle Puppe, als Farbflecken des Neubeginns.
Pepe Egger
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