Afghanistan: Rosen, Mohn, 30 Jahre Krieg
Gerade ist Ihr Bildband "Rosen, Mohn, 30 Jahre Krieg" erschienen. Das Resultat vieler Aufenthalte in Afghanistan. Was hat Sie dazu bewegt, so oft das Land zu bereisen?
Ursula Meissner: Ich war dort damals mit einem Fernsehteam des ZDF unterwegs. Ich machte auch Fotos für die Produktion. Ein Mujahedin-Führer nahm mich, als Mann verkleidet, in seiner Gruppe mit durch die Berge. Aber erst nachdem er sich vor mich gekniet und an meine Fesseln gefasst hatte, ob ich stark genug dafür sei. Ich wusste damals nicht, was auf mich zukommen könnte. Die Russen waren zu dem Zeitpunkt noch in Afghanistan und wir mussten manchmal 14 Stunden lang, auch in der Nacht, laufen. Ich war jung, und ich sah zum ersten Mal Flüchtlinge und Krieg.
Als wir an die Front kamen, fielen Bomben und ich hatte große Angst. Ich dachte nur noch, jetzt sterbe ich und komme hier nie wieder raus. Aber aus dem "Nie mehr" wurden bislang 18 Mal, weil mich die Begegnungen mit den Menschen dort nicht mehr loslassen. Als Mann verkleidet hatte ich auch die Möglichkeit, zu den Frauen zu gehen und mit ihnen zu reden. Die Menschen sind offen, auch weil sie glauben, dass wir Deutsche ihnen nahe sind. Wir sind willkommen. Ich hatte zudem die Unterstützung von Mujahedin-Kommandeur Abdul Hak. Er fand, dass ich als Frau sehr mutig war. Das war ein großer Vorteil. Diese Erlebnisse haben mich sehr geprägt und verändert.
Inwiefern haben Sie diese Erlebnisse verändert?
Meissner: Ich komme aus der "heilen Welt" eines Dorfes, aus einer kleinen deutschen Provinz. Meine Eltern waren Flüchtlinge im zweiten Weltkrieg. Wenn man das aber nie selbst erlebt hat, kann man das nicht nachvollziehen. Und die Geschichten meiner Eltern konnte ich erst verstehen, nachdem ich selbst erlebt hatte, was es bedeutet, Angst zu haben.
Ich wusste bis dahin nicht, was es heißt, zehn Stunden in der Nacht vor Angst zu laufen und Hunger zu haben, auf dem Boden zu schlafen und mit ganz wenig Wasser auszukommen – all diese Strapazen, bei denen ich manchmal selbst verzweifelt war und nicht weiter laufen wollte. Afghanistan hat mich an meine persönlichen Grenzen gebracht. Hätte ich gewusst, was dort auf mich zukommt, hätte ich das sicher nicht gemacht. Ich hätte kaum den Mut dazu gehabt. Aber ich konnte viel mit meiner Arbeit bewirken, genau das hat mir immer wieder neuen Mut gemacht.
In Ihrem Bildband sieht man kaum Bilder des Krieges. Warum nicht?
Meissner: Weil nur die Bilder des Krieges zu zeigen falsch ist. Es gibt soviel mehr in Afghanistan. Ich will die Hoffnung und das Positive vermitteln. Und das ist ja meistens keine Meldung in den Medien. Ich will Verständnis für Afghanistan wecken. Ich habe das aus meinen Reisen zusammengestellt, über das man normalerweise nicht liest oder das man nicht sieht. In 30 Jahren Krieg ist es zwar sehr schwierig, das Überleben zu sichern, aber es gibt eine eingeschränkte Normalität und ein Leben in diesem Chaos. Durch meine Fotos, die eben nicht die Oberfläche von Krieg zeigen, konnte ich dem ein Gesicht geben.
Also berichten westliche Medien sehr einseitig?
Meissner: Wenn es ein Attentat auf die Bundeswehr geht, dann wird darüber ständig berichtet, und es heißt, das hätten die Taliban verantwortet. Aber es wird nicht darüber berichtet, wer die Taliban sind, was sie machen oder warum ein Bauer auf einmal zum Söldner wird. Das ist doch hoch spannend, weil man dann darüber diskutieren muss, warum der Wiederaufbau nicht funktioniert, und wie es dazu kommen kann, dass im Winter Kinder und Frauen erfrieren und keine Spendengelder ankommen. Warum geht es nach fünf Jahren weiterhin so schleppend voran?
In meinem Buch habe ich zum Beispiel die Ausbildung von Polizisten begleitet. Wenn die meisten von ihnen Analphabeten sind, dann ist es schwierig, sie auszubilden. Zudem dauert die Fortbildung nur wenige Wochen, und wenn ein Polizist kein Gehalt bekommt, dann muss er es sich woanders besorgen. Das führt weiterhin zu Unruhen und zu Überfällen, auch auf Hilfskonvois.
Sie sind als freie Fotoreporterin in Afghanistan unterwegs, haben Anschläge erlebt und eine Entführung. Wie schwierig ist es in diesem Land, zumal als Frau, zu arbeiten?
Meissner: Wenn ein Journalist die Bundeswehr begleitet, bekommt er natürlich ein anderes Bild vermittelt, als wenn er alleine unterwegs ist. Wenn ich in Afghanistan bin, kann ich fast überall hin, wenn dort nicht gerade gekämpft wird. Ich habe das Privileg, dass ich Ausländerin bin, aber für die afghanischen Journalisten ist es sehr schwierig. Ich trage kein Kopftuch und wirke auch etwas dominanter in meinem Auftreten. Dadurch respektieren mich auch die Männer, für sie bin ich ein Neutrum. Und ich bin unabhängig, denn ich bin nicht mit Militär unterwegs. Gefährlich sind allerdings Kriminelle und Entführungen. Ich gehe nicht ohne Auftrag, aber schon auf eigene Gefahr.
Auf dem Buchcover heißt es trotzdem, Afghanistan wäre ein ideales Reiseland?
Meissner: Ich war gerade in Bamiyan. Die Schönheit ist überwältigend und macht sprachlos. Man vergisst, dass dort noch Minenfelder liegen. Auch wenn die Buddha-Statuen zerstört sind, könnte es eine Pilgerstätte werden wie das Taj Mahal in Indien. Noch ist es ein gefährliches Gebiet, aber wenn die Taliban weg sind und es mehr Sicherheit gibt, dann kann das ein begehrenswerter Ort werden.
Die Vereinten Nationen sagen, es dauert noch mindestens 20 Jahre, bis Afghanistan den Krieg und die Krisen überwunden hat. Wie lange dauert es aus Ihrer Perspektive?
Meissner: Die Jungen in dem Land sagen, dass die alte Generation dazu erst sterben muss. Sie hören Popmusik, gehen ins Cafe mit ihren Baseballmützen und Handys, orientieren sich eher an der westlichen Kultur. Aber wenn sie nach Hause kommen, dann ist der Vater dominant. Das Familienoberhaupt entscheidet immer noch und darunter leidet die junge Generation. Das Fernsehen wird das noch forcieren, und zwar schneller als erwartet.
Inwiefern?
Meissner: Ich komme gerade aus der Provinz Panjab, einem Gebiet, in das kaum jemand hinkommt. Dort war ich in einem Krankenhaus, das von einer Hilfsorganisation aufgebaut wurde. Es ist sehr ärmlich, und die Welt scheint stehen geblieben zu sein, bis auf einen Umstand, dass es dort viele Häuser gibt, die eine Satellitenantenne haben. Die Leute geben zwei Drittel für den Treibstoff ihres Generators aus, damit sie am Tag Fernsehen schauen können.
Mit dieser Öffnung der Welt in einem Gebiet, wo es nichts anderes gab außer dem Holzpflug und wo die Frauen ihre Wäsche am Ufer waschen, werden den Menschen auf einmal Dinge vor Augen geführt, von denen sie vorher nichts wussten. Das hat positive und negative Folgen. Es führt auch zu Neid und Unzufriedenheit, weil sie nämlich gar nichts besitzen von dem, was sie jetzt tagtäglich im Fernsehen sehen. Hunger ist immer noch ein großes Problem. Andererseits gibt es das pulsierende Leben in Kabul, schicke Hotels und Boutiquen. Alle hoffen, dass es vorwärts geht, aber es kommt nichts in den Provinzen an. Die Afghanen selbst schaffen es nicht. Am wichtigsten ist es, dass man die Sicherheitsstrukturen in Afghanistan unterstützt.
Interview Petra Tabeling
© Qantara.de 2008
Ursula Meissner ist seit über 20 Jahren als freie Fotografin in allen Kriegs- und Krisengebieten der Welt unterwegs. Von Afghanistan bis Sierra Leone, vom Kosovo bis in den Irak, gibt sie den Opfern kriegerischer Konflikte und humanitärer Katastrophen ein Gesicht. Ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet und werden weltweit publiziert. Im Mai 2008 erschien ihr Bildband "Afghanistan. Rosen, Mohn, 30 Jahre Krieg" im Bucher Verlag.
Die Ausstellung der Bilder ist vom 10. August bis zum 10. September 2008 im Steigenberger Hotel auf dem Petersberg, dem historischen Ort der legendären Afghanistan-Konferenz, bei Bonn zu sehen. Nähere Informationen finden sich auf der Homepage der Fotografin.
Qantara.de
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