Schlummernde Protestpotenziale
Die Sorge der Herrschenden um ihre politische Macht ist mit den Händen zu greifen. Der Golf-Kooperationsrat hat den beiden Unruhe-Ländern Wirtschaftshilfen versprochen und nun sogar Soldaten nach Bahrain geschickt, um dem dortigen König unter die Arme zu greifen.
Doch Protest ist auch am Golf nicht gleich Protest: Während sich in Bahrain die schiitische Mehrheit Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften liefert, sorgt in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) schon eine Internet-Petition zugunsten direkter Parlamentswahlen für Schlagzeilen.
Emirate vorerst stabil
Zwar würden auch in den VAE zunehmend kritische Fragen zu Themen wie Korruption oder dem Umgang mit öffentlichen Geldern gestellt, sagt Christian Koch vom "Gulf Research Center" in Dubai. Mit politischen Umwälzungen wie in Ägypten oder Tunesien rechnet er aber nicht.
Denn die Herrscherfamilien - besonders in den Emiraten, aber auch in der Golfregion insgesamt - genießen bei den eigenen Bevölkerungen noch ein hohes Ansehen und ein gewisses Grad an Legitimität. "Ihre Herrschaft selbst wird noch nicht direkt infrage gestellt", folgert Koch. "Es geht mehr darum, dass man überhaupt das Gefühl hat, es besteht auch ein Reformprozess, der allmählich die Partizipationsrechte der Bevölkerung erweitert."
In den VAE dürften die Bürger schon allein aus demografischen Gründen an stabilen politischen Verhältnissen interessiert sein. Mit nur 18 Prozent Bevölkerungsanteil sind sie in der Minderheit gegenüber ausländischen Arbeitsmigranten.
Außerdem werden sie relativ stark am Reichtum der Herrscherfamilien beteiligt. Gleiches gilt für Katar, das deshalb ebenfalls nicht als heißer Kandidat für die nächste Protestbewegung gehandelt wird.
Erprobte Protestkultur in Kuwait
Lebhafter ist die politische Auseinandersetzung in Kuwait - und das hat Tradition. Seit den 1960er Jahren gibt es dort ein Parlament, das sich immer selbstbewusster in die Regierungsgeschäfte einmischt.
Nachdem ein Mann in Polizeigewahrsam zu Tode kam, erzwangen die Abgeordneten im Januar 2011 den Rücktritt des Innenministers. Sogar der Ministerpräsident musste sich einer Befragung im Parlament stellen. Mittlerweile fordern Demonstranten auch seinen Rücktritt und mehr politische Freiheit. Auch mit Tränengas lassen sie sich nicht von Protestkundgebungen abhalten.
Der Experte für die Länder der Golfregion, Christian Koch, sieht das Königshaus dennoch nicht wanken. Die Proteste bewegten sich noch im Rahmen des in Kuwait Üblichen, findet er und erinnert sich, wie er 1993 das erste Mal in Kuwait war.
Damals sei er zu einer sogenannten Diwanija eingeladen worden, einem der traditionellen Gesprächskreise im privaten Rahmen, bei denen auch politische Fragen debattiert werden. Gleich zu Beginn sei es um die Frage gegangen, wie man die Königsfamilie absetzen könne.
"Ich hatte sofort das Gefühl: 'Oh, mein Gott, jetzt erscheinen gleich die Sicherheitskräfte!'", erzählt Koch. "Aber das gehört einfach zur politischen Kultur des Landes, und darauf muss sich auch die königliche Familie schon immer einstellen."
Bleibt die große Unbekannte Saudi-Arabien. Der erste per Facebook ausgerufene "Tag des Zorns" fiel dort erst einmal aus. Dafür sorgten die Strafandrohungen der Regierung und eine massive Polizeipräsenz auf den Straßen.
Nur die Schiiten - eine vor allem im Osten des Landes konzentrierte Minderheit - demonstrieren immer wieder und klagen ebenso wie ihre Glaubensbrüder im nahen Bahrain über Diskriminierung.
Trügerische Ruhe in Saudi-Arabien?
Sollte eine Protestbewegung erst einmal in Gang kommen, könnte sie aber durchaus auch andere Landesteile erfassen, glaubt Theodore Karasik vom "Inegma-Institut für Militäranalysen" in Dubai.
Denn unter der ruhigen Oberfläche gärten in Saudi-Arabien auch andere Probleme wie die Nachfolgefrage angesichts einer überalterten Führung, die mittlerweile eine Art politische Lähmung zur Folge habe. "Auch der Überhang an jungen Leuten und die Arbeitslosigkeit sowie die schlechten Bildungs- und Jobchancen machen das System angreifbar", zählt Karasik auf.
Was bislang jedoch fehlt, ist eine organisierte Opposition. Auch in Saudi-Arabien treten nur Intellektuelle und andere Einzelpersonen an die Öffentlichkeit.
Wer also könnte dort eine Protestbewegung wie in Ägypten oder Tunesien tragen? "Das müsste etwas Spontanes sein", glaubt Karasik. Momentan sei zwar nicht erkennbar, wer für diese Rolle infrage komme. "Aber vergessen Sie nicht, der Umsturz in Ägypten hatte keine Anführer. Das macht die Sache interessanter."
Andere Experten und Diplomaten sind skeptischer. In Saudi-Arabien gebe es schlichtweg keine Tradition, für ein Anliegen auf die Straße zu gehen, argumentieren sie. Wahrscheinlich werde es bei kritischen Wortmeldungen von Intellektuellen und bei ein paar Petitionen an das Königshaus bleiben - so wie nach dem Golfkrieg von 1991, als es schon einmal rumorte im Land.
Politikberater Karasik dagegen schließt keineswegs aus, dass eine Protestbewegung gefährlich für das Königshaus werden könnte: "Die Katze ist aus dem Sack, die Büchse der Pandora ist geöffnet. Alles ist jetzt möglich."
Christoph Dreyer
© Deutsche Welle 2011
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
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