"Ich bin Muslim - keine Panik!"
Zehn Jahre nach Kriegsende wagt die muslimische Jugend in Bosnien-Herzegowina den Aufbruch. Doch der Westen vertut die Chance, im Islam des Landes eine Brücke zwischen Ost und West und ein Vorbild für Europa zu sehen. Tobias Asmuth berichtet aus Sarajewo.
In der Altstadt von Sarajewo im Club Sloga stürmt die Band "unplugged plug" die Charts des Westens. Sänger Salih, Gitarrist Adim, Keyboarder Süley und Zag am Schlagzeug können sich auf ihre Fans verlassen. Egal ob U2 oder Oasis, das Menschenmeer vor der Bühne singt jedes Lied laut mit, Zeile für Zeile, versunken und hingebungsvoll.
Die Luft steht, das Bier an der Bar ist teuer, es kostet unglaubliche vier bosnische Mark (zwei Euro), aber wenn Sänger Salih Robbie Williams Feel anstimmt, dann gehören die Menschen im Sloga dazu, fühlen sie sich frei, liegt Sarajewo in Europa und nicht im Protektorat Bosnien-Herzegowina. "Come and hold my hand, I wanna contact the living". Der Club kocht, alles wird gut.
Draußen vor der Tür des Sloga liegt ein Land, das ohne eine solche Gewissheit existiert. Zehn Jahre nach dem Ende des Krieges gibt es in Bosnien-Herzegowina zwar eine gemeinsame Regierung aus Muslimen, Kroaten und Serben, die aus freien Wahlen hervorgegangen ist, und an der ehemaligen "Sniper-Alley" in Sarajewo, an der serbische oder muslimische Scharfschützen Menschen wie Hasen jagten, glitzern jetzt die Fassaden der Autohäuser von VW, BMW und Volvo.
Symbole der Zerissenheit
Gleichzeitig aber können sich die Politiker der muslimisch-kroatischen Föderation und der serbischen Teilrepublik Srpska nicht auf einheitliche Pässe, Autokennzeichen oder den Text der Nationalhymne einigen.
Das Land wird von unbarmherzigen Grenzen durchzogen, an den alten Frontlinien liegen immer noch tausende Minen, überall in Sarajewo stehen anklagende Zeugnisse des Krieges wie die zerstörte Nationalbibliothek oder das Betonskelett des ausgebrannten Parlaments.
In Dobrinja dagegen, einem Vorort von Sarajewo, zwischen dem olympischen Dorf von 1984 und heruntergekommenen Wohntürmen, erhebt sich seit ein paar Jahren die König-Fahd-Moschee. Sie ist mittlerweile zu einem Symbol der Zerrissenheit der Stadt geworden.
Einerseits steht sie für die Hilfe vieler muslimischer Länder während des Krieges, die, trotz Embargos des Westens, Waffen in die belagerte Stadt schmuggelten.
Andererseits ist der protzige Bau für viele muslimische Bosniaken eine Provokation, denn er steht für den selbstgerechten Anspruch, den Menschen die wahre Lehre Allahs zu bringen: den Wahhabismus.
Während die Moscheen der Altstadt in ihrem weißen Steinkleid und den schlanken Minaretten sich selbstverständlich ins Straßenbild einfügen und von der Jahrhunderte langen Tradition des Islam auf dem Balkan erzählen, wirkt die König-Fahd-Moschee wie eine seelenlose Fabrik für die Produktion von wahren Gläubigen.
Iranisches Geld für Kopftuch und Bartwuchs
Die meisten Moslems in Bosnien ärgerten sich über die Missionare vom Golf, erzählt Azhar Kalamujic, Journalist der renommierten Tageszeitung Oslobodjenje. "Das Selbstvertrauen der Leute in ihre Art des Islam ist groß." Kalamujic sitzt in der Redaktion, einem Betonklotz aus der Tito-Zeit.
Anders als in der Sowjetunion sei in Jugoslawien die Religion kaum unterdrückt worden, Kirchen und Moscheen hätten immer offen gehabt, Traditionen seien niemals wie in den ehemaligen Sowjetrepubliken Usbekistan oder Kasachstan verloren gegangen: "Der Bau der König-Fahd-Moschee ist gegen den Willen der muslimischen Gemeinschaft von der Politik erlaubt worden."
Aber nicht nur die Saudis sind in Sarajewo aktiv, auch die Iraner unterhalten für viel Geld in der Stadt ein Kulturinstitut. Beide liefern sich einen absurden Wettstreit um die Herzen der Menschen Sarajewos.
Weil das iranische Zentrum über ein Schwimmbad verfügt, das von den Jugendlichen gerne besucht wird, wollen nun auch die Saudis ein Bad bauen.
Mit anderen "Geschenken" sind die Iraner weniger erfolgreich: 75 Euro im Monat versprechen sie jeder Frau zu zahlen, die die Bula (die bosnische Form der Burka) trägt. Auch die Bärte der Männer sollen für Geld wachsen.
In wirtschaftlich schlimmen Zeiten ein durchaus lukratives Angebot, auf das aber kaum jemand eingeht. Auf den Straßen Berlins gibt es mehr Kopftücher zu sehen als in Sarajewo. Und in den Clubs der Stadt zeigen die jungen Frauen und Männer gerne viel Haut.
Bosniens Islam als Brücke zwischen Ost und West
Der Islam in Bosnien-Herzegowina ist geprägt von der Vielvölkergeschichte des Balkans. "Die Menschen Sarajewos sind stolz auf die liberale Geschichte ihrer Stadt", berichtet Kalamujic, "hier haben Muslime, Katholiken, Orthodoxe und Juden eine große religiöse Toleranz entwickelt."
Die sei auch nicht durch den Bosnienkrieg verschüttet. Seine Ursache sei nicht die Religion, sondern ein absurder Nationalismus gewesen. "Knapp 30 Prozent der Kämpfer, die Sarajewo über drei Jahre verteidigten, waren Serben", sagt Kalamujic. Er hält den Islam seines Landes für ein Vorbild für Europa.
Auch der Professor für Philosophie an der Universität Sarajewo und Islamgelehrte Enes Karic sieht im bosnischen Islam den Wunsch nach einem europäischen Islam schon erfüllt: "Selbstbewusst im Glauben, offen und tolerant gegenüber der Gesellschaft und zurückhaltend gegenüber der Politik."
Karic, der in den nächsten Wochen zum höchsten islamischen Würdenträger Bosnien-Herzegowinas gewählt werden soll, hält es für eine Tragödie, dass der Westen nicht die Chance sieht, den bosnischen Islam als Brücke zur islamischen Welt zu sehen. "Stattdessen starren westliche Politiker mit Angst auf das Land und fürchten es verkomme zu einem Brückenkopf der Islamisten."
Bisher habe es noch keinen einzigen Beweis gegeben, dass in Bosnien Gruppen aktiv sind, die zum Netzwerk Al Kaidas gehörten, gibt General David Leakey zu, englischer Oberbefehlshaber der europäischen Friedenstruppe (EUFOR):
"Die Probleme des Landes sind immer noch der Nationalismus und die schwierige wirtschaftliche Lage." Die jungen Menschen versuchten den Aufbruch, die Religion sei dabei keine Alternative.
Auch Lord Paddy Ashdown, der oberste Repräsentant der Internationalen Verwaltung für Bosnien-Herzegowina sieht keine Gefahr durch den Islam, sondern in der Vergangenheit: "Der Vertrag von Dayton hat den Krieg beendet, aber er hat bisher für keinen Neuanfang gesorgt", sagt Ashdown.
Da die Serben die Auslieferung von Kriegsverbrechern blockieren, gibt es immer noch kein tragfähiges Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Gemeinschaft. Die Wirtschaft liegt am Boden. Über 60 Prozent der unter 22jährigen wollen das Land am liebsten verlassen – und zwar Richtung Westen.
"I am a muslim – don't panic!"
"Unsere Jugend ist weltoffen, sie sucht nach Jobs, nicht nach den Offenbarungen des Propheten", sagt Kalamujic. Über die Hysterie des Westens macht sich die Jugend Sarajewos gerne lustig.
Ein schwarzes T-Shirt ist im Augenblick besonders angesagt: Auf ihm steht: "I am a muslim – don't panic!" Auch im Club Sloga wird es getragen, in dem Sänger Salih die Sehnsucht nach einer besseren Zukunft in die Worte Robbie Williams verpackt: "Come and hold my hand, I want to contact the living, Not sure I understand, This role I've been given".
Tobias Asmuth
Qantara.de 2005