Aufstand der Schwachen

Mit besonderem Interesse schaut man in Deutschland auf das israelische Kino. Zum einen, weil es nach den Schrecken des Nationalsozialismus hierzulande weiterhin ein großes Interesse am Schicksal des Staates Israel und vor allem auch an der Kultur des Landes gibt. Zum anderen natürlich auch, weil der schwelende Nahost-Konflikt auch in Deutschland mit großer Aufmerksamkeit beobachtet wird.
Die Zuschauer der Panorama-Reihe bei den Berliner Filmfestspielen waren sich in diesem Jahr einig: dieser Film ist preiswürdig. Und da es beim Panorama keine Goldenen und Silbernen Bären zu verleihen gibt, erhielt "Lemon Tree" den Publikumspreis.
Salmas Zitronenhain in Gefahr
Die palästinensische Witwe Salma lebt auf ihrem Grundstück in der West Bank direkt an der israelischen Grenze. Jetzt soll sie ihren Garten mit der kleinen Zitronenplantage roden lassen.
In unmittelbarer Nähe hat kein Geringerer als der Verteidigungsminister Israels ein Haus bezogen und dessen Sicherheitskräfte fordern nun die Bäume zu fällen, stellen diese doch ihrer Meinung nach ein zu großes Risiko dar: im Gestrüpp könnten sich Terroristen verstecken.
Doch Salma gibt sich nicht so leicht geschlagen, sie beginnt zu kämpfen. Mit Hilfe eines jungen palästinensischen Anwalts bemüht sie die Justiz. Der Streit um den Zitronenhain entzweit schließlich auch den Minister und seine Frau. Die hat Verständnis für das Interesse der neuen Nachbarin.
Über Grenzzäune hinweg
"Lemon Tree" ist ein Film über den Konflikt, den man jeden Abend in den Nachrichten sieht. Es geht um die sensibelste Grenze der Welt, es geht um die Menschen, die an dieser Grenze leben und arbeiten, es geht um das Land, auf das so verschiedene Gruppen Anspruch erheben.
Der Konflikt spitzt sich im Film schließlich zu, als Salma, ihr Anwalt und der väterliche Freund der Frau tatsächlich vor dem Obersten israelischen Gericht in Jerusalem erscheinen:
Natürlich, Regisseur Eran Riklis, der mit ein paar anderen Filmemachern für die Blüte des jungen israelischen Kinos in den letzten Jahren steht, setzt auf die emotionale Kraft des Kinos, zieht noch eine Liebesgeschichte in das Handlungsgerüst ein und verzichtet nicht auf melodramatische Töne.
David gegen Goliath
Doch der Riklis ergreift hier auch Partei für die Palästinenser, erzählt vom Kampf David gegen Goliath unter anderen Vorzeichen, vom Aufstand der Schwachen gegen die Mächtigen.
Er benutzt die tief symbolgetränkte Geschichte der Witwe und des Anwalts, die gegen die große Militärmaschinerie des Nachbarlandes zu Felde zieht, um ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen für Toleranz und Frieden.
Und er tut das so überzeugend, dass kaum ein Zuschauer die Motive und Interessen beider Seiten nicht zumindest ansatzweise nachvollziehen könnte. "Lemon Tree" ist politisches Kino und private Tragödie. Der Film spiegelt ein ergreifendes individuelles Schicksal im Brennglas des Weltgeschehens.
Dem Regisseur gelingt es dabei, mit einer einfachen, fiktiven Geschichte einen großen realen Konflikt für das Kino aufzubereiten. Das hat das Publikum während der Berlinale offenbar gespürt, und das werden auch die Zuschauer in den deutschen Kinos in den kommenden Wochen spüren.
Jochen Kürten
© DEUTSCHE WELLE 2008
"Lemon Tree" (Israel/Deutschland/Frankreich 2007), Regie: Eran Riklis, Buch: Suha Arraf, Eran Riklis, mit: Hiam Abbas, Ali Suliman, Doron Tavory