Wohnraum für Kreativität und Begegnung
"Re-locate Berlin" lautet der Titel der jüngsten Aktion des Istanbuler Kunstraums "Apartman Projesi" - der erste unabhängige türkische Kunstraum in Berlin, der die bestehenden Stipendien deutscher Förderprogramme in Istanbul ergänzt. Bis zu 15 Künstler können dort leben und arbeiten.
Die Initiatorin hat das Projekt 1999 ins Leben gerufen und ist selbst Künstlerin. Videos und Toninstallationen sind die Ausdrucksmittel von Selda Asal, die Neukölln "so aufregend wie Istanbul Ende der 1990er Jahre" findet. Damals initiierte die Künstlerin einen der ersten "Off-Spaces" der Istanbuler Kunstszene.
Destruktion und künstlerische Aktion
Das Jahr 1999 war in vieler Hinsicht ereignisreich für die Istanbuler. Ein Erdbeben erschütterte am 17. August die Metropole. Auch wenn das Epizentrum hundert Kilometer entfernt in der westanatolischen Stadt Izmit lag, so stürzten doch auch in manchen Vierteln der Metropole am Bosporus Häuser ein. Das Erdbeben war in der gesamten Stadt zu spüren. In diesem heißen Sommer, als alle Istanbuler in Panik aus ihren Wohnungen in die Parks flohen, entstand das "Apartman Projesi" (zu Deutsch: Wohnungsprojekt).
Angesichts der massiven Erfahrung von Destruktion und plötzlicher Obdachlosigkeit Tausender Menschen gehörte es zu den hoffnungsspendenden künstlerischen Aktionen. Die Künstler begannen sich Räume zu teilen und aus dem Zusammenrücken Freiheit zu schöpfen. Neben einer Kunst-Biennale in jenem Jahr, deren Leitung mit einer misslungenen Auktion von Kunstwerken zugunsten der Erdbebenopfer ihre Sprachlosigkeit zugab, reagierte das "Apartman Projesi" mit künstlerischen Positionierungen auf die Katastrophe.
Das Istanbuler Viertel Asmalımescit war damals noch keine Ausgehmeile, sondern noch recht heruntergekommen. Die Besucher trauten sich nur schnellen Schrittes durch die düsteren Altbauschluchten. Einzig das Restaurant Refik und der Musikclub Babylon belebten die Nachbarschaft als das Apartman Projesi in das Viertel einzog.
24 Quadratmeter in der Şehbender Strasse Nr. 4 dienen seitdem als Ausstellungsfläche internationaler Kunstprojekte. Interdisziplinär, unabhängig, interkulturell, dialogisch, stadtteilbezogen sind einige der Attribute, für die das Projekt steht.
Grenzen überwinden
Längst hat sich mittlerweile eine Gruppe Künstler zusammengefunden, die die Kunstaktionen und Ausstellungen mit Selda Asal zusammen planen und organisieren. Es werden oft auch andere Ausstellungsorte genutzt. Als Istanbul 2010 zusammen mit Essen und Pécs Kulturhauptstadt Europas war, entwickelte Selda Asal das Konzept "Gegenbesuch".
Kuratiert wurde das Projekt von Serra Özhan. Beide reisten gemeinsam mit den Künstlern Özhan Endam Acar, Volkan Aslan, Fatma Çiftçi, Zeren Göktan, Deniz Gül, Gözde İlkin, Ceren Oykut, Gökçe Süvari und Sophia Tabatadze durch Georgien, Armenien, Aserbaidschan und den Iran.
Ausgangspunkt der Aktion war der Wille, die durch die Nationalität festgelegten Grenzen zu überwinden. Thematisiert wurde jene politische Mauer, die es einem türkischen Staatsbürger etwa nicht erlaubt, in das Nachbarland Armenien einzureisen. Den Armeniern ergeht es im umgekehrten Fall ebenso. Eine ähnliche politische Mauer befindet sich zwischen Armenien und seinem östlichen Nachbarn Aserbaidschan.
Der Künstlergruppe gelang es kollektiv, diese Grenzen zu überwinden. In Ihrem künstlerischen Konzept bezogen sich die Künstler auf die Tradition der in all diesen politisch konfliktbeladenen Nachbarstaaten üblichen Gastfreundschaft. Von Nachbarn werden Besuche und Gegenbesuche erwartet. Kleine Geschenke, wie Süßigkeiten, erhalten dabei die Freundschaft.
Raum für Kreativität und Begegnungen
Das Apartman Projesi Berlin ist nun eine erweiterte Form des Gegenbesuches. Seit 23 Jahren schon finanziert der Berliner Senat ein Istanbuler Stipendien-Programm für Berliner Künstler. Viele der Stipendiaten haben an Kunstprojekten des Apartman Projesi mitgewirkt.
Nun können ebenfalls Künstler aus der Türkei, aber auch aus anderen Ländern, Berlin besuchen und in den Räumen des Apartman Projesi wohnen und arbeiten. Auch an der Spree wird das Kollektiv eine Schnittstelle für Kreative sein, die Interesse an gemeinschaftlichen Aktionen haben.
Sabine Küper-Büsch
© Deutsche Welle 2012
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de