Nahostkorrespondenten reflektieren zu wenig
Seit Ende 2007 betreibt der schweizer Nahostjournalist André Marty sein Internet-Tagebuch. Mindestens zwei Stunden pro Nacht widmet er seinem Blog, in dem er über sein Leben als Nahostkorrespondent berichtet. Ein Thema, mit dem sich Andre Marty immer wieder auseinandersetzt, ist die Berichterstattung aus dem Konfliktgebiet Israel und Palästina.
Bewußter Umgang mit einem emotionalisierten Thema
"Ich meine, wir Nahostjournalisten reflektieren noch weniger als unsere Kolleginnen und Kollegen in der Inlandsberichterstattung. Wir haben es mit einem dermaßen emotionalisierten Thema zu tun. Also dem so genannten israelisch-palästinensischen, aber auch dem israelisch-arabischen Konflikt. Und da wäre es wichtig, wenn wir uns bewusster mit der Art und Weise, wie wir unsere Aufgabe wahrnehmen, auseinandersetzen würden."
Marty berichtet seit fünf Jahren für das öffentlich-rechtliche schweizer Fernsehen aus dem Nahen Osten. Vorher war er Korrespondent in Rom. Beide Plätze unterscheiden sich aber deutlich, nicht nur was die Brisanz der Themen angeht, sondern auch was die Reaktionen des Publikums betrifft.
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern löst bei Zuschauern und Lesern starke Emotionen aus. Die finden dann in Zuschauerpost und Emails ihren Niederschlag.
"Ja, aber das gehört wahrscheinlich zur Nahost-Berichterstattung", meint Marty. "Sei das nun ein Blog, sei dies nun die Arbeit bei einem öffentlich-rechtlichen Sender oder für eine Zeitung. Die Arbeit ist eben sehr viel intensiver als das beispielweise bei deutscher oder Schweizer Innenpolitik der Fall ist. Das gehört dazu."
Offenes Blogger-Forum? Geschlossen!
Auch auf seinem Blog kommen die User zu Wort. Allerdings hat er das offene Forum, das jedem die freie Meinungsäußerung zugesteht, geschlossen. Er kontrolliert nun die Zuschriften. Nicht alles, was bei ihm eingeht, findet den Weg auf seine Seite.
"Ich schalte frei, was den Spielregeln des Blogs entspricht. Der Grund ist eine unheimlich große Zahl an extrem aggressiven harten Kommentaren, die ich nicht bereit bin, auf meinem Blog freizuschalten. Das zeigt eben wieder, wie stark emotionalisiert dieser Konflikt wahrgenommen wird und wie viele Menschen im deutschsprachigen Raum meinen, sie, und nur sie hätten verstanden, was hier eigentlich geschieht in der Region."
Informieren statt diffamieren
Eigentlich gefalle ihm das nicht, denn ein Blog wolle ja immer auch zum Dialog anregen. Mit seiner Seite "andremarty.com" wolle er aber nicht ein Forum für gegenseitige Beschimpfungen bieten, sondern vor allem informieren.
Längst gehören zu Martys Lesern auch die Journalistenkollegen, vor allem von Ländern außerhalb des Nahen Ostens. Sie informieren sich bei ihm über das, was sich hinter den Kulissen abspielt.
Was denn der Höhepunkt seiner bisherigen Berichterstattung war? "Definitiv der israelische Gazakrieg Ende 2008. Mit der interessanten Verdoppelungsfunktion, dass plötzlich deutsche Sonntagszeitungen sich für den Blogger und nicht den Journalisten interessiert haben."
Damals hätte es auch Anfragen aus der Schweiz gegeben, erinnert sich Marty. Und zwar ob er sich in seiner Funktion als Blogger zu einem Thema äußern möge, und nicht als Journalist. "Also offensichtlich wird die Person des bloggenden Journalisten quasi als schizophren wahrgenommen."
Bettina Marx
© Deutsche Welle 2009
Bettina Marx ist langjährige Nahost-Hörfunkkorrespondentin.
Qantara.de
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