Vom Bücherzelt zum globalen Literaturevent
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Vom höchsten Gebäude der Welt bis zur größten Ansammlung künstlicher Inseln: Wenn in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) etwas stattfindet, dann sind Rekorde Pflicht und beinahe schon Routine. So auch bei der Abu Dhabi International Book Fair, die 2010 zum 20. Mal stattgefunden hat. Mehr als 800 Aussteller waren im vergangenen Jahr vertreten, aus mehr als 60 Ländern. (Zum Vergleich: 2009 waren es 637 Aussteller aus 52 Ländern). Und sie belegten natürlich auch mehr Fläche im ultramodernen Messezentrum der Hauptstadt, dem größten der arabischen Welt.
Große Messe für kleine Bevölkerung
Für die Buchmesse in Abu Dhabi sind diese Wachstumszahlen erstaunlich, vor allem, wenn man bedenkt, dass diese Messe vor dem Hintergrund eines praktisch nicht existierenden lokalen Buchmarkts stattfindet. Denn die VAE haben nur wenig mehr als vier Millionen Einwohner – wovon der bei weitem größte Teil sich aus Zuwanderern rekrutiert, die aus anderen arabischen Ländern und Südasien hierher gekommen sind und vorwiegend im Niedriglohnsektor arbeiten.
Die kleine Oberschicht von "Expats" aus Europa, Nordamerika, Indien und Ostasien, die im Dienstleistungssektor, vor allem im Finanz- und IT-Geschäft tätig sind, spielt zahlenmäßig keine Rolle, auch nicht als Leser und Buchkäufer. Trotzdem hat sich Abu Dhabi in den vergangenen vier Jahren eine Leitfunktion für die Buchmessen im arabischen Raum erarbeitet. Und derer gibt es viele: Weil in sämtlichen arabischen Ländern ein halbwegs funktionierendes Vertriebssystems für Bücher fehlt, sind die Buchmessen in der Region vor allem riesige Buchhandlungen.
Hier deckt das Lesepublikum seinen Jahresbedarf an Büchern – der Anblick von Familien, die unter der Last von zahllosen Tüten stöhnen, die mit gerade gekauften Büchern vollgestopft sind, ist allgegenwärtig. Traditionell war die Buchmesse in Kairo das regionale Zentrum für den Buchmarkt – doch aufgrund einer völlig verfehlten Messepolitik ist diese Veranstaltung von der einst zweitgrößten Buchmesse der Welt inzwischen tief im Ansehen gesunken.
Staatlich finanzierter Erfolg
Selbst die Verleger aus den klassischen arabischen "Buchländern" wie Ägypten und Libanon, die der Entwicklung der Buchmesse in Abu Dhabi zunächst mit großer Skepsis gegenüber gestanden hatten, akzeptieren inzwischen den Erfolg der Veranstaltung.
Erstmals für das Jahr 2006 hatten die Messemacher zu ihrer Version des "großen Sprungs" angesetzt: Zunächst wurde die Frankfurter Buchmesse für ein Joint Venture ins Boot geholt. Seither ist sie in der Gemeinschaftsfirma "KITAB" für die Organisation der Messe in Abu Dhabi zuständig. Dann wurde der Charakter der Buchmesse gründlich umgekrempelt: Bis dato hatte sie aus ein paar Zelten in der Innenstadt bestanden, in denen ein paar tausend Bücher an den Leser gebracht wurden.
Jetzt kam der Umzug in das neue Messegelände, die Veranstalter legten ein Programm von Konferenzen und Seminaren auf, luden Autoren aus aller Welt ein – die Abu Dhabi International Book Fair wurde "erwachsen". Heute vereint sie die Aspekte einer Publikumsmesse, die weiterhin der Buchversorgung der Leser dient, mit denen einer Fachmesse, deren Konferenzprogramm sich nicht zu verstecken braucht gegenüber den Kollegen in Europa. Kurz gesagt: Diese Messe ist die einzige Veranstaltung in der arabischen Welt, die mit den Events in anderen Teilen der Welt mithalten kann.
Diese Entwicklung ist natürlich nur möglich durch die scheinbar unergründlich tiefen Geldbeutel der Regierung der VAE. Subventionen fließen reichlich und in viele Richtungen. Für die Bücherkäufer gibt es Büchergutscheine. Für Verlage, die in Abu Dhabi die Rechte zur Übersetzung eines Buches aus dem Arabischen oder in das Arabische kaufen, gibt es eine Prämie von jeweils 1.000 US-Dollar.
Und ein Verlag, der dort seine Bücher zeigt und den offiziellen Standpreis der Messe bezahlt, hat das ganze Prinzip nicht verstanden. Diese Lockmittel ziehen: Die Leser kaufen, die Aussteller verkaufen, das Geschäft mit Übersetzungen floriert und die Messe wächst. Ob diese hoch subventionierte Kunstveranstaltung allerdings längerfristig eine Daseinsberechtigung entwickeln kann, ob sie auch ohne Subventionen existieren kann, ist allerdings weiterhin fraglich. Ein tragfähiger Buchmarkt wird in diesem Teil der Region - angesichts der sehr kleinen Bevölkerungszahlen - wohl auf lange Sicht nicht entstehen.
Deutsche Literatur noch relativ unbekannt
Was bedeutet dies für deutsche Bücher? Nun: Deutschland hat einen guten Ruf in der arabischen Welt, auch wenn dieser Ruf sich zunächst einmal gründet auf hochwertige Autos und moderne Technologie. Interesse an deutscher Literatur ist in Ansätzen vorhanden, besonders für die großen alten Männer vom Schlage Goethe, Schiller, Thomas Mann oder Grass. Auch deutsche Philosophen von Kant bis Habermas haben traditionell einen guten Ruf und verzeichnen eine kleine Leserschaft.
Allerdings bezieht sich dieses Interesse vor allem auf die "Leseländer" der arabischen Welt, auf Ägypten, Libanon, den Iran und den Maghreb. In den Golfstaaten, mit Ausnahme Saudi-Arabiens, kann von einer Lesekultur bislang kaum die Rede sein, obwohl die Bildungsinvestitionen seit Jahren steigen und in den VAE nach Regierungsangaben 25 Prozent des Staatshaushalts ausmachen.
Das in Abu Dhabi ansässige Goethe-Institut kämpft allerdings wacker für die Vermittlung der deutschen Sprache und Literatur. Der Erfolg, so hofft das Institut, wird sich wohl irgendwann einstellen.
Holger Ehling
© Deutsche Welle 2011
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de