Widersprüchliche Ansichten
Spätestens mit dem Karikaturenstreit wurde deutlich, dass hinsichtlich des Bilderverbots im Islam noch Klärungsbedarf besteht. Mit ihrem Buch legt die Islamwissenschaftlerin Silvia Naef zum ersten Mal einen systematischen und kompakten Überblick zu dieser Frage und der tatsächlichen Bilderpraxis in der islamischen Welt vor. Nimet Seker hat das Buch gelesen.
Afghanistan im März 2001: Eine Explosion hallt wie ein Donnerschlag durch das Tal von Bamiyan, noch in 50 Kilometer Entfernung ist der Knall zu hören. Tonnen von Sprengstoff explodieren in zahllosen Löchern, die von den Taliban in die über 1500 Jahre alte Statue des Großen Buddhas gebohrt wurden.
Innerhalb weniger Sekunden zerfällt der Große Budhha in eine riesige Wolke aus rotem Sandstein und Lehm. Der Boden erbebt unter den herunter fallenden Steintrümmern.
Angesichts dieser Barbarei entsteht schnell der Eindruck von einem bilderfeindlichen Islam. Die heftigen Proteste während des Karikaturenstreits verstärkten diesen Eindruck nur.
Die Taliban begründeten die Sprengung damit, dass der strenge Eingottglaube des Islam die Existenz solcher "Heiligtümer von Ungläubigen" nicht erlaube. Widerspricht dieser radikale Ansatz aber nicht der Tatsache, dass es überall in der islamischen Welt von Bildern nur so wimmelt, selbst im streng orthodoxen Saudi-Arabien?
Der Stellenwert figurativer Bilder im Islam
Die Frage des Bilderverbots scheint nur Widersprüchlichkeiten hervorzubringen, gerade in der modernen islamischen Welt. Silvia Naef, Expertin für islamische Kunst, möchte mit ihrem Buch zum Bilderverbot endlich Klarheit schaffen und wagt sich damit an ein kompliziertes Thema heran.
Das Cover des Buches zeigt eine Miniatur: Ein Mann steht, die Hände gefaltet, in grünem Gewand und Turban auf einem geblümten Teppich. Anstelle seines Gesichts ist eine weiße Fläche in Form eines Schleiers zu sehen. Hinter seinem Körper erhebt sich etwas, das aussieht wie eine goldene Flamme. Es ist der Prophet Mohammed. Die goldene Flamme ist sein Nimbus.
Diese Miniatur stellt keine Besonderheit dar: Figurative Bilder hat es in der islamischen Welt immer gegeben, selbst Prophetendarstellungen.
Was hat es also mit dem Bilderverbot auf sich? Um der Sache auf den Grund zu gehen, rollt Naef das Thema vom religiösen und theologischen Aspekt auf. Zunächst wird klar: Es gibt kein Bilderverbot im Koran. Wohl aber in den Prophetenaussagen.
Dies erklärt sich durch die Angst vor dem Götzendienst im polytheistischen Umfeld Mohammads. Verurteilt werden figurative Bilder im kultischen Bereich, also überall, wo gebetet wird.
Der Meinung von Gelehrten widmet Naef viel Platz, kommt aber zum Schluss, dass das Bilderverbot für sie keine große Bedeutung hatte: "Es gibt keine Traktate über Bilder." Erst in der Moderne machen sich Gelehrte angesichts der Bilderflut durch neue Techniken und Medien – Film, Fotografie, Fernsehen, Porträtmalerei – Gedanken über das Bild.
Vielfältiges Meinungsspektrum
Naef unterteilt hier in "Reformer", "Fundamentalisten" und "revolutionäre Islamisten". Fatwas und Schriften werden zitiert. Selbst in der ablehnenden Haltung der Fundamentalisten zeigt sich ein vielfältiges Meinungsspektrum, bei dem einige Bilder erlaubt, andere wiederum verboten sind. Auch hier kann also kaum von einem "absoluten Bilderverbot" die Rede sein.
Naef fragt aber auch, welche Motivation hinter einer radikalen Verbotspraxis stecken könnten: Zielt das Verbot auf die Bilder ab, oder auf die Botschaft, die diese Bilder transportieren? Ist das eigentliche Ziel der Fundamentalisten nicht die Moderne, die durch diese Bilder symbolisiert wird? Oder in einem anderen Fall die Macht des Herrschers, dessen Denkmal zerstört werden soll?
In der Vergangenheit hatte das Bild immer schon seinen Platz in der islamischen Kunst, so Naef. Nämlich im privaten, nicht-öffentlichen und nicht-sakralen Raum. Anders im christlichen Westen: Dort hat das Bild einen festen Platz im sakralen Raum und in der Öffentlichkeit.
Die verbreitete Idee, es habe keine figurativen Bilder im Islam gegeben, entsteht aus einer Sichtweise, die von der christlichen Bilderpraxis vorgeformt ist, so Naef. Das Bild habe im Islam eine andere Funktion als im christlichen Abendland.
Porträts von Königen im Land der Wahhabiten
So fragt sie auch, welchen Einfluss die Gelehrten überhaupt auf die Gesellschaft haben, angesichts der Bilderflut in der islamischen Welt. Beispiel Saudi-Arabien: Im Land der Wahhabiten sind fotografierte und gemalte Porträts der Königsfamilie keine Seltenheit. Selbst auf den Banknoten prangen königliche Köpfe.
So war es natürlich nicht immer. Zur Verbreitung des Bildes im öffentlichen Raum trugen aber bedeutende Personen bei. Einer der ersten Fotografen im Iran war Nasr ad-Din Shah. Er fotografierte Frauen aus seinem streng verschlossenen Harem, darunter auch seine Mutter und einige Konkubinen.
In Istanbul trug Sultan Abdulhamid II. eine große Fotosammlung mit zahllosen Alben und Apparaten zusammen. Unter seiner Aufsicht entstanden wertvolle Dokumentarfotos aus dem Osmanischen Reich. Die armenischen Brüder Abdullahyan gehörten zu den besten Fotografen und wurden von Abdulhamid in ihrer Funktion als Fotografen am Hof mehrfach ausgezeichnet.
Silvia Naefs Buch über das islamische Bilderverbot ist gleich in zweierlei Hinsicht als Lektüre zu empfehlen:
Zum ersten Mal liegt ein systematischer und kompakter Überblick zur Frage des Bilderverbots und der tatsächlichen Bilderpraxis in der islamischen Welt vor. Spätestens seit dem Karikaturenstreit ist klar geworden, dass hier noch Erklärungsbedarf besteht - auch bei den Muslimen. Damit hat Silvia Naef ein längst überfälliges Buch geschrieben.
Indem sie verbreitete Vorstellungen auf ihren tatsächlichen Gehalt hin hinterfragt, hilft uns Naef zudem, unsere gedanklichen Barrieren zu überwinden, wenn es um das Verständnis bestimmter Fragen geht. Insofern trägt dieses Buch auch zum Verständnis des Islam bei.
Nimet Seker
© Qantara.de 2007
Silvia Naef: Bilder und Bilderverbot im Islam. Vom Koran bis zum Karikaturenstreit. C.H. Beck Verlag 2007
Qantara.de
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