Drei Generationen omanische Geschichte

Menschen in einem überdachten Markt mit schöner Beleuchtung.
Auf dem Muttrah-Markt in Maskat verteidigt die Protagonistin von „Dilschad“, Maryam, ihre Präsenz in einer von Männern dominierten Welt. (Foto: Picture Alliance/Xinhua | W. Qiang)

Bushra Khalfans preisgekrönter Roman „Dilschad“ portraitiert eine Familie im Oman des 20. Jahrhunderts. In zwei Büchern beleuchtet sie die unerzählten Geschichten marginalisierter Frauen und deren Kampf um Selbstbestimmung.

Von Amany Alsiefy

Die omanische Schriftstellerin Bushra Khalfan taucht in ihrem Buch „Dilschad“ ein in ein Jahrhundert sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Veränderungen in Oman und verfolgt die Geschichten mehrerer Generationen. Ihr neuestes Werk, „Dilschad: Chronik von Blut und Gold“ (2024), knüpft an den Erfolg des ersten Bandes, „Dilschad: Chronik von Hunger und Sättigung“ (2021) an, der 2022 mit dem renommierten Katara-Preis für arabische Literatur ausgezeichnet wurde.

Im Mittelpunkt der Handlung steht das Leben verarmter Omanis, die mit sozialer Ausgrenzung zu kämpfen haben. Auf fast 1.000 Seiten stellt der Roman über hundert Personen vor, jede mit einem einzigartigen sprachlichen, historischen, sozialen und Bildungshintergrund. Diese Charaktere werden in den miteinander verknüpften Geschichten von Dilschad, seiner Tochter Maryam und seiner Enkelin Farida lebhaft dargestellt. 

Der Roman zeigt die Motivation der Autorin, das reiche kulturelle und soziale Gefüge der omanischen Gesellschaft zu dokumentieren, zusammen mit den Erfahrungen gewöhnlicher Menschen, die umwälzende historische Ereignisse wie den Zweiten Weltkrieg und den Jebel-Akhdar-Krieg erlebt haben, der in den 1950er Jahren zur Vereinigung des Sultanats Oman führte. 

Die Figuren des Romans erleben diese Ereignisse oft, ohne ihre Ursachen oder langfristigen Folgen zu verstehen. Der Erzählansatz steht damit im Gegensatz zum traditionellen Fokus auf Eliten, einflussreiche Führer und historische Figuren, der in postkolonialen Generationenromanen üblich ist.

Der Rahmen: Dilschad und Maryam

Im ersten Buch, „Chronik von Hunger und Sättigung“, entführt Khalfan die Leser:innen in das Maskat des frühen 20. Jahrhunderts, genauer gesagt in das Viertel Waldschat, wo Belutschen und Araber:innen in bitterer Armut Seite an Seite leben und nicht voneinander zu unterscheiden sind.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Dilschad, ein arabischer Waisenjunge, der von einer Belutschin, Ma Halima, aufgezogen wird. Nach dem tragischen Tod ihrer beiden Kinder nimmt Ma Halima Dilschad bei sich auf und zieht ihn wie einen Bruder ihres überlebenden Sohnes Isah auf. 

Im Laufe der Erzählung hat die Armut Dilschad immer fester in ihrem unerbittlichen Griff. Angesichts von Krankheit und Entbehrungen ist er gezwungen, die herzzerreißende Entscheidung zu treffen, seine Tochter Maryam zum Arbeiten an eine wohlhabende Familie zu vermitteln, die ihr im Gegenzug Essen und Unterkunft bietet.

Portrait von Bushra Khalfan.
Bushra Khalfan gewann den Katara-Preis für den besten arabischen Roman 2022 für den ersten Teil von "Dilschad". (Foto: Privat)

Trotz seiner sozioökonomischen Lebensumstände erweist sich Dilschad als eine widerstandsfähige und entschlossene Persönlichkeit, die unzählige Entbehrungen erträgt und sich aktiv um Arbeit bemüht, um seine Situation zu verbessern und seiner Tochter eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Doch seine Bemühungen werden durch eine grausame Wendung des Schicksals erschwert, als er die Spur der Familie verliert, der er Maryam anvertraut hat.

Maryam hat Dilschads unerschütterlichen Geist geerbt und stellt sich mutig der Diskriminierung, der sie von Geburt an ausgesetzt ist. Als Tochter einer belutschischen Mutter, die bei der Geburt starb, wurde Maryam von arabischen und belutschischen Frauen in der Nachbarschaft aufgezogen, die sich in einem kollektiven Akt der Menschlichkeit zusammenschlossen, der ethnische und soziale Grenzen überwand. 

Mit Maryam präsentiert Khalfan eine überzeugende Vision menschlicher Solidarität – eine Solidarität, die auf gemeinsamen Werten beruht, die gesellschaftliche Spaltungen entlang ethnischer oder klassenbasierter Linien in Frage stellen.

Patriarchat und wirtschaftliche Freiheit: Maryam und Farida

Im zweiten Band widersetzt sich Maryam den gesellschaftlichen Normen, um ihrer Tochter Farida eine bessere Zukunft zu sichern. Sie lehnt die Tradition und die religiösen Gesetze ab, die – verstärkt durch wirtschaftlichen Druck – vorschreiben, dass Farida von einer Tante väterlicherseits aufgezogen werden soll.

Maryam flieht in die Region Muttrah, wo sie ein neues Leben beginnt. Durch den Verkauf von Schmuck, den ihr ihr verstorbener Mann geschenkt hat, kann sie ein Stoffgeschäft übernehmen. In einem von Männern dominierten Markt wird sie als Händlerin von den männlichen Kollegen angefeindet. Obwohl sie sich wie eine wohlhabende Frau kleidet, wird sie durch ihre Arbeit auf dem Markt als Frau aus der Unterschicht angesehen, was ihre gesellschaftliche Stellung weiter erschwert.

Der Roman untersucht, wie der Gesichtsschleier weniger als religiöse Pflicht, sondern vielmehr als Zeichen der sozialen Klasse fungiert. So trugen ihn nicht alle arabischen oder muslimischen Frauen. Der Schleier diente denjenigen, die versuchen, traditionelle gesellschaftliche Strukturen aufrechtzuerhalten. 

Die Autorin zeigt im Roman anhand des Schleiers auch auf, welche Schwierigkeiten für Frauen durch patriarchale Dominanz entstehen. Diese Dominanz wird oft durch kulturelle oder religiöse Normen gerechtfertigt, ist aber tief in der wirtschaftlichen Realität verwurzelt.

Maryam ringt mit einem ständigen inneren Konflikt, hin- und hergerissen zwischen der Wahrung der Tradition und dem Streben nach Veränderung. Diese Spannung manifestiert sich in ihrer Entschlossenheit, ihrer Tochter Farida das Schreiben beizubringen, trotz der von ihr befürchteten gesellschaftlichen Gegenreaktion. Die Ausbildung von Mädchen wurde als Bedrohung der bestehenden Gesellschaftsordnung angesehen. 

„Sie erinnert sich an die Worte ihres verstorbenen Mannes, als sie zum ersten Mal für die Bildung ihrer Tochter kämpfte: „Mädchen schreiben nicht.“ Dieser Satz spiegelt den Ausschluss von Frauen aus der Geschichte wider – sie werden davon abgehalten, ihre Perspektiven zu dokumentieren, ihre Stimmen werden zum Schweigen gebracht.

Titel des Romans „Dilschad: Chronik von Blut und Gold“ auf Arabisch.
Buchcover des Romans „Dilschad: Chronik von Blut und Gold“ (Foto: Promo | Takween Verlag)

Spannungen zwischen den Generationen

Die Erzählung findet ihren emotionalen Höhepunkt in der Protagonistin Farida, Dilschads Enkelin. Sie verkörpert den intellektuellen und wirtschaftlichen Wandel, der sich über Generationen hinweg vollzieht. Sie steht am Scheideweg zwischen Tradition und Moderne, gefangen zwischen dem Gehorsam gegenüber ihrer Mutter und der Herausforderung gesellschaftlicher Erwartungen. 

Farida sucht einen Partner, der ihre Ambitionen und Werte teilt und will sich nicht nur mit finanzieller Sicherheit und oberflächlicher Zuneigung zufriedengeben. Maryam denkt über die Einstellung ihrer Tochter zur Ehe nach und vergleicht sie mit ihrer eigenen: „Farida fordert, weil sie frei ist. Was mich betrifft, so wurde ich zwar nicht als Sklavin geboren, aber Männer entschieden über meine Heirat ... Mein Einverständnis war eine ausgemachte Sache.“ 

Dieser ergreifende Moment verdeutlicht die sich wandelnden Konzepte von Ehe und Geschlechterrollen und zeigt die Veränderung von Herausforderungen und Möglichkeiten für Frauen auf.

Farida kämpft weiter dafür, die Identität der omanischen Frauen nach ihren eigenen Vorstellungen neu zu definieren, und setzt sich für ihre persönliche Befreiung ein. Sie vertieft sich in die arabische Geschichte, die Poesie, den Koran und die verschiedenen Geschichten von Omanis mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund. 

Indem sie ihre Kinder symbolisch Qays und Layla nennt, ihnen die Namen zweier Liebender aus einem alten Volksmärchen gibt, deutet sie die arabische und omanische Geschichte um. Die ikonische Figur Layla erfindet Farida neu, traditionell wird diese als liebeskranke, unterdrückte Figur dargestellt. Nun verwandelt sie sich in ein Symbol der Ermächtigung. In Faridas Vision wird Layla als eine Frau wiedergeboren, die ihre Entscheidungen autonom trifft.

Khalfan fordert die Leser:innen heraus, indem sie auf klare chronologische Markierungen verzichtet und es ihnen überlässt, den Lauf der Zeit zu verfolgen. Dies spiegelt das Leben ihrer Figuren wider – gewöhnliche, oft ungebildete Menschen, die von den großen historischen Ereignissen abgekoppelt sind. Historische Daten sind nur ein blasser Hintergrund, der kaum direkten Einfluss auf ihr Leben hat. 

Durch diesen Erzählstil lässt die Autorin die Figuren ihre eigenen Geschichten erzählen und widerlegt dabei Stereotype über die arabische und omanische Kultur. Khalfans Werk schlägt eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart und beleuchtet die kulturelle und soziale Vielfalt Omans nuanciert und mit menschlicher Empathie.

 

„Dilshad: Chronik von Blut und Gold“ 
Takween Verlag 
408 Seiten auf Arabisch

 

Dieser Text ist eine bearbeitete Übersetzung des arabischen Originals. Übersetzung aus dem Englischen von Ronja Grebe.

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