Freiheit und Demokratie bleiben ferne Ziele

Der Attentatsversuch auf den afghanischen Präsidenten Karsai während einer Militärparade in Kabul wirft ein Schlaglicht auf den desaströsen Zustand der Sicherheitskräfte und die begrenzte Macht der Zentralregierung. Peter Philipp kommentiert.

Der Attentatsversuch auf den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai vom vergangenen Sonntag (27.4.) während einer Militärparade in Kabul wirft ein Schlaglicht auf den desaströsen Zustand der Sicherheitskräfte und die begrenzte Macht der Zentralregierung im Land. Peter Philipp kommentiert.

Hamid Karsai bei Militärparade; Foto: AP
Der Attentatsversuch auf Hamid Karsai macht die mangelde Sicherheit in Afghanistan deutlich.

​​Wenn etwas vorhersehbar war in Afghanistan, dann der Anschlag auf Präsident Hamid Karsai. Natürlich weder Termin noch Durchführungsplan, aber es war doch eben mehr als sicher, dass Karsai in ständiger Lebensgefahr schwebt und dass ihm das gleiche Schicksal droht, das so viele andere afghanische Führer vor ihm ereilt hat. Und wenn Karsai diesen – dritten – Mordversuch auch unbeschadet überstanden hat: Es zeigt sich mehr als deutlich, dass er und seine Regierung die Lage nicht unter Kontrolle haben und dass gegenteilige Behauptungen Zweckpropaganda sind.

Aber die Gründe liegen natürlich nicht allein – und wahrscheinlich auch nicht in erster Linie – bei Karsai und dessen Regierung. Es gibt eine Vielfalt von Faktoren, die Schuld sind an den Zuständen im Land und dass sich nichts daran ändert, sondern eher verschlechtert.

Die Taliban drängen erfolgreich zurück

Der einfachste Grund ist, dass in Afghanistan noch nie ein Herrscher wirklich über die Grenzen der Hauptstadt Kabul hinaus Macht und Einfluss hatte. Solches musste er sich stets erkaufen, indem er Koalitionen schmiedete mit den regionalen Herrschern, den "warlords", die jeweils ihre eigenen Interessen verfolgten und nur dann zu Loyalität bereit waren, wenn sich das mit den eigenen Interessen vereinbaren ließ.

Auch Karsai hat solche Bündnisse – mit teilweise recht dubiosen Partnern – geschlossen, er versucht aber auch, die Zentralgewalt auf andere Teile des Landes auszuweiten und wird dabei von US-Truppen und NATO unterstützt. Was ihn in den Augen vieler Afghanen zum Lakai fremder Machtinteressen macht, den man in Afghanistan immer schon vehement abgelehnt hat.

Markt in Kabul; Foto: AP
Der versprochene Wirtschaftsaufschwung blieb bislang aus.

​​Der zweite Grund ist hausgemacht: Die Taliban drängen mit wachsendem Erfolg zurück. Nicht, dass sie bei den Afghanen populär gewesen wären. Aber je weniger das westliche Ziel eines wirklich freien und demokratischen Landes am Hindukusch verwirklicht wird, je mehr auch der versprochene Wirtschaftsaufschwung ausbleibt oder doch stagniert, desto mehr gewinnen manche Afghanen wohl doch der damaligen Taliban-Herrschaft ab, die dem Westen als düsteres Mittelalter erscheint.

Zumal einem Afghanen nur schwer zu vermitteln sein dürfte, warum immer wieder Zivilisten umkommen und das der Preis für Freiheit und Demokratie sein soll – Begriffe, unter denen sich viele wahrscheinlich nur herzlich wenig vorstellen können.

Eine einfache Lösung ist nicht in Sicht

Der Westen hatte sich das wohl doch etwas zu einfach vorgestellt, als er meinte, er könne Afghanistan innerhalb einiger Jahre in die Neuzeit katapultieren. Auch die Vorstellung, die Afghanen würden diese Aufgabe schon bald selbst übernehmen können, war natürlich Illusion.

Der desaströse Zustand der Sicherheitskräfte ist das wohl deutlichste Beispiel hierfür: Ausbildung allein nützt nichts, solange es an Motivation fehlt. Und wo soll die herkommen? Warum soll sich ein Soldat, warum ein Polizist in Lebensgefahr begeben, wenn er nicht weiß: Wofür?

Eine einfache Lösung ist nicht in Sicht. Natürlich muss die Ausbildung der Sicherheitskräfte intensiviert und verbessert werden. Aber das alleine tut es nicht: Die Afghanen müssen das Gefühl bekommen, dass sie hier selbst für eine bessere Zukunft arbeiten. Nicht im Auftrag der USA sondern zum Wohl der eigenen Bevölkerung.

Und dass diese "bessere Zukunft" nicht mit der Verleugnung der eigenen Identität verbunden ist. Dann wird es zwar immer noch Radikale geben, die solches auch durch Mordanschläge zu stoppen versuchen. Aber sie werden nicht mehr so leichtes Spiel haben wie jetzt.

Peter Philipp

© Deutsche Welle 2008

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