Aufklärer ohne Tabus

Mit seinen Lesungen aus Hitlers "Mein Kampf" hat Serdar Somuncu dessen absurd-rechte Logik entlarvt. Mit seinem neuen Programm "Hitler Kebab. Getrennte Rechnungen" ergründet der Deutsch-Türke die eigene Herkunft. Von Petra Tabeling

Mit seinen unzähligen Lesungen aus Hitlers "Mein Kampf" hielt Serdar Somuncu absurd-rechter Logik entlarvend den Spiegel vor. Mit seinem neuen Programm "Hitler Kebab. Getrennte Rechnungen" ergründet der Deutsch-Türke leiser, aber nicht schmerzfrei, die eigene Herkunft. Petra Tabeling berichtet.

Bevor er auf die Bühne geht, legt er eine schutzsichere Weste an: Serdar Somuncu, Foto: www.somuncu.de
Bevor er auf die Bühne geht, legt er eine schutzsichere Weste an: Serdar Somuncu

​​Als Serdar Somuncu 1996 das erste Mal Hitlers "Mein Kampf" auf der Bühne las, hätte fast niemand gedacht, dass das gut gehen würde: Ein Türke in Deutschland, der Hitler öffentlich vorliest und verreißt. Seither sind über 1.500 Auftritte vergangen, Hörbücher erschienen, Radio- und Fernsehauftritte erfolgt.

Der Kabarettist und Schauspieler Serdar Somuncu hat Hitler rauf und runter, quer durch die Republik und Europa gelesen, dessen Demagogie und Rassenwahn entlarvt – und das vor ehemaligen KZ-Häftlingen, selbst vor rechts irritierten Jugendlichen. Wenn auch manchmal mit kugelsicherer Weste.

Die Ironie rechter Worthülsen

Mit dem heiklen Stoff ist Serdar Somuncu berühmt geworden: Endlich einer, der es wagte, das Tabu der Vergangenheit zu brechen und Hitler mit seinen leeren Worthülsen, und dazu noch auf so amüsierende und bissige Weise, vorzuführen. Damit habe er wohl mehr bewirkt als Demonstrationen gegen Nazis, so Somuncu über seine Motivation.

Die Erfahrungen, die der Schauspieler und Kabarettist während dieser langjährigen Tournee machte, hat er in einem Buch festgehalten: "Nachlass eines Massenmörders. Auf Lesereise mit 'Mein Kampf'", das, wie ein gleichnamiges Hörbuch, jedem zu empfehlen ist, der solch einen spektakulären Auftritt Somuncus verpasst hat.

Jetzt hat Somuncu dieses düstere Kapitel deutscher Geschichte zunächst hinter sich gelassen, um sich seiner deutsch-türkischen Vergangenheit und Identitätsfindung zuzuwenden.

Voller Humor, aber nicht schmerzfrei

Serdar Somuncu ist Deutsch-Türke zweiter Generation. Er studierte Schauspiel, Musik und Regie in Maastricht und Wuppertal. Seit 1987 leitete er das Kammerensemble in Neuss.

Eigentlich wollte der Schauspieler und Kabarettist als nächstes ein Kinderbuch schreiben, aber herausgekommen ist dann doch ein biografisches Werk: In "Getrennte Rechnungen" bearbeitet der 37-jährige Tausendsassa seine Kindheit.

Teils ironisch, teils witzig und vor allem melancholisch. Liebevoll erzählt Serdar Somuncu, der in Istanbul geboren wurde, von seinen Eltern, die als Gastarbeiter in den 70er Jahren nach Deutschland kamen. Vor seinem kabarettistischen Witz bleiben auch sie nicht verschont. "Mein Vater hat lange geglaubt, Arschloch sei ein ganz normales deutsches Bindewort."

Eine türkische Kindheit in Deutschland

Da geht es um die erste Party ohne elterliche Aufsicht ("Sturmfrei ins Delirium"), das erste selbst gekaufte Fahrrad, die Ferienfahrten zu den Verwandten in die Türkei ("Wem gehört die Sonne?") oder die Frage, warum man an Weihnachten nicht zu seinen Freunden gehen kann ("Salamaleikum Herr Weihn-Ach-Mann").

In "Mein Tag" beschreibt Somuncu aus der Perspektive eines Kindes, warum man in der Grundschule in eine eigene Klasse ohne Deutsche gehen soll. Es sind aber auch Lebensmomente, die, brutal und traurig zugleich, widerspiegeln, warum Integration damals, in den 70ern, ein Fremdwort war.

Auch in der Titelgeschichte "Getrennte Rechnungen" wird nicht nur die Zahlungsweise der Deutschen in Gaststätten ergründet, sondern auch die getrennten Welten von Deutschen und Türken, die an den Kindern nicht vorbeigehen: Bei seinen besten deutschen Freunden bleibt der kleine Serdar vom Mittagstisch ausgeschlossen.

Deutsch-türkischen Lesern schreibe er mit solchen Geschichten manchmal aus der – zwischen den Kulturen hin und her gerissenen – Seele: "Sie erkennen darin eine Sehnsucht und Melancholie", meint Somuncu. Deutsche Leser seien meist erstaunt, dass sie zum ersten Mal ein Werk lesen, dass sie auf diese Art und Weise in die deutsch-türkische Erfahrungswelt eintauchen lässt.

Getrennte Rechnungen - geteilter Humor

Serdars aktuelles Bühnenprogramm "Hitler Kebab" basiert auf seinem letzten Buch "Getrennte Rechnungen" und geht darüber noch hinaus: Serdar Somuncu vereint die beiden Seiten seiner deutsch-türkischen Seele zu einer explosiven Mischung aus politischem Kabarett und melancholischer Selbstreflexion.

Er provoziert und bezieht, nicht immer schmerzfrei, Stellung zu aktuellen Debatten wie dem Kopftuchverbot, Bush oder Terrorismus. Und auch Hitler ist wieder dabei. Alle Nationalitäten bekommen hier ihr Fett weg, Deutsche, Türken, Amerikaner, je nachdem, wo Somuncu gerade tourt – inklusive Lokalbezug.

Und der Themenfundus aus Integration und Multi-Kulti-Gesellschaft bekommt unter Somuncus rhetorischer Bearbeitung keinen fahlen Beigeschmack, sondern wird zur tief-ironischen Lachnummer: "Scheiß Ausländer, kommen nach Deutschland und nehmen den Türken die Arbeitsplätze weg." Das sitzt erst einmal.

In erster Linie ein Mensch

"Verarbeiten ist immer unangenehm", sagt Serdar Somuncu, angesprochen auf die Reaktionen seines Publikums. Als Kind seien ihm die Lebensumstände seiner Familie und die Kälte, die einem manchmal als Ausländer, als Türke, entgegen schlug, nicht so bewusst gewesen. Und es ist diese kindlich naive Erzählperspektive, die Somuncu für das Buch "Getrennte Rechnungen" gewählt hat, "denn ich wollte dadurch die Erfahrungen möglichst wertfrei halten."

Für das Bühnenprogramm geht er weitaus offensiver und polemischer vor – ohne Tabus: "Ich bin kein türkischer Schauspieler oder türkischer Kabarettist, ich bin in erster Linie ein Mensch und habe eine Meinung zu allen Themen."

Und die packt er reichlich aus und an, variiert und improvisiert, bis die Bühne wackelt. Derzeit tourt Serdar Somuncu mit seinem Programm "Hitler Kebab" durch Deutschland und Europa.

Petra Tabeling

Qantara.de 2005

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Die Homepage von Serdar Somuncu, mit Terminen zu seiner aktuellen Deutschlandtour und Informationen über seine Veröffentlichungen.