Missverstandener Dschihad?
Ein Video mit Bekenntnissen der drei Selbstmordattentäter der Bali-Anschläge vom 1. Oktober setzt in Indonesien eine längst fällige innerislamische Diskussion über islamistischen Terror und einen falsch verstandenen Dschihad in Gang. Vertreter verschiedener islamischer Organisationen verurteilen den Terror. Doch die Rhetorik bleibt oft vage. Bettina David mit Hintergründen
Am 9. November gelang den indonesischen Sicherheitskräften ein entscheidender Schlag gegen den islamistischen Terror: der mutmaßliche südostasiatische Top-Terrorist Dr. Azahari Husin wurde beim Einsatz eines Anti-Terror-Kommandos in Ostjava getötet.
Seit langem stand der Malaysier ganz oben auf der Fahndungsliste, wird er doch für die beiden Bali-Attentate sowie die Anschläge auf das Marriott-Hotel (2003) und die australische Botschaft in Jakarta (2004) verantwortlich gemacht.
Im Unterschlupf seines Komplizen Noordin M. Tops, der den Sicherheitskräften knapp entkam, fand man eine Video-CD, deren Inhalt die indonesische Öffentlichkeit aufrüttelte und allen unmissverständlich deutlich machte, dass es ein innerislamisches Terror-Problem im eigenen Land gibt.
In dem Video erklären die drei Selbstmordattentäter des jüngsten Bali-Anschlages, dass sie mit ihrer Tat Gottes Befehl zum heiligen Kampf (Dschihad) zur Verteidigung des Islam gegen die Ungläubigen nachkommen werden.
Schock für die Bevölkerung
Auszüge aus dem Video wurden im indonesischen Fernsehen gezeigt. Es war nicht mehr zu leugnen: Die Täter waren Muslime, die sich in tiefer Frömmigkeit auf ihren Glauben und den Koran beriefen.
Für viele Indonesier war das ein Schock. Denn bisher wurde das Problem "islamistischer Terrorismus" weitgehend verdrängt, eine offene Diskussion fand nicht statt. Wilde Verschwörungstheorien scheinen vielen Menschen glaubhafter als das, was oft als voreingenommene westliche Sichtweise wahrgenommen wird, die per se im Islam das Problem sehe und jede Bombe sofort den Muslimen anhänge.
Erst die Video-CD mit den unmissverständlichen Dschihad-Bekenntnissen der Selbstmordattentäter scheint nun den Stein ins Rollen gebracht zu haben.
Vizepräsident Jusuf Kalla führte die ungekürzte Version geladenen islamischen Geistlichen verschiedener Institutionen vor.
Es folgten offizielle Stellungnahmen, man war sich einig: es handele sich hier um ein "missverstandenes Dschihad-Konzept", die Terroranschläge verstießen gegen den Islam, sie seien nach islamischem Recht (Scharia) als haram (religiös verboten) einzuordnen und fielen, da sich Indonesien im Friedenszustand befinde, keinesfalls unter die Kategorie des Dschihad oder gar des Märtyrertodes.
Der Indonesische Rat der Religionsgelehrten (MUI), erst im Sommer durch Fatwas gegen religiösen Liberalismus und Säkularismus in die Schlagzeilen geraten, beeilte sich darauf hinzuweisen, dass er bereits 2003 nach dem Anschlag auf das Marriott-Hotel in Jakarta eine Fatwa erlassen habe, nach der Terror und Selbstmordattentate in Friedensgebieten aus islamischer Sicht als haram einzustufen sind.
Keine eindeutigen Stellungnahmen
Die verschiedenen islamischen Organisationen erklärten, sie werden gemeinsam alles unternehmen, um die Bevölkerung über die "richtige" Bedeutung des Dschihad aufzuklären und sie so vor dem zunehmenden Einfluss radikaler Ideologien zu schützen.
Das Religionsministerium setzte ein "Anti-Terror-Team" ein, das aus Vertretern der wichtigsten islamischen Massenorganisationen sowie islamischen Intellektuellen besteht und von Maaruf Amin, der auch der Fatwa-Kommission des MUI vorsteht, geleitet wird.
Das Eingeständnis der islamischen Geistlichen, dass es sich bei den Tätern um Muslime handelt, die im Sinne eines falsch verstandenen Dschihads agierten, ist neu. Doch gerade konservative Gruppierungen vermeiden eine eindeutige und unmissverständliche Stellungnahme.
Dschihad als religiöse Pflicht zur notfalls auch gewaltsamen Verteidigung des Islam wird an sich nicht in Frage gestellt. So erklärte Din Syamsuddin, als Hardliner bekannter Vorsitzender der Muhammdiyah: "Das Konzept des Dschihad ist nur gültig in Kriegsgebieten wie Palästina, nicht jedoch in einem Land wie Indonesien, das im Frieden mit seinen Nachbarn lebt."
Palästina, der Irak und Afghanistan werden von einigen Geistlichen als Gebiete genannt, in denen der Dschihad auch in Form von Selbstmordattentaten religiös ausdrücklich erlaubt sei.
Indonesien ist längst "Kriegsgebiet"
Damit allerdings bewegen sich auch manche Vertreter moderater islamischer Organisationen in gefährlicher Nähe zu den Aussagen des inhaftierten mutmaßlichen geistlichen Oberhauptes der Terrororganisation Jemaah Islamiyah, Abu Bakar Baasyir, der der Presse gegenüber mehrfach Anschläge gegen die USA und ihre Verbündeten befürwortete.
In Interviews betonte Baasyir, dass aus seiner Sicht Usama bin Ladens und Azaharis Kampf gegen den Westen generell lobenswert sei, Anschläge in Indonesien jedoch eine verfehlte Umsetzung des richtigen Ziels darstellten.
Denn die Attentate hätten besser im Westen oder in Kriegsgebieten wie dem Irak oder Afghanistan stattfinden sollen, um den Feind direkt zu treffen, ohne wahllos unschuldige Muslime mit in den Tod zu reißen.
Der Hinweis auf Indonesien als Land, das sich im Friedenszustand befinde, bleibt zudem fragwürdig angesichts der weiten Verbreitung von Verschwörungstheorien eines globalen Kampfes des Westens gegen den Islam. In diesen Szenarien ist Indonesien längst "Kriegsgebiet".
So forderte Din Syamsuddin die Regierung auf, neben der Bekämpfung des Terrorismus die "globale Konspiration" nicht aus den Augen zu verlieren. Auch solle die Presse nicht ständig Terroranschläge mit dem Islam in Verbindung bringen, da der Terrorismus weder im Islam noch in einer anderen Religion seine Wurzeln habe. "Den Islam mit Terrorismus in Beziehung zu setzen beleidigt die Muslime", betonte Din in der Zeitung Jawa Pos.
Angesichts dieser weiterhin defensiven Haltung weist M. Guntur Romli vom Netzwerk Liberaler Islam (JIL) auf das entscheidende Problem hin:
"Sind sich die Geistlichen eigentlich bewusst, dass sich die Motive der Terroristen mit den Inhalten unzähliger Predigten, Gebetszirkel und Lehren der meisten Prediger decken, die wir als religiöse Autoritäten respektieren?"
Bislang, so scheint es, muss man diese Frage noch mit einem Nein beantworten.
Bettina David
© Qantara.de 2005
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