Teilen und herrschen
Indien ist seit dem 8. Jahrhundert immer wieder Ziel von Angriffen muslimischer Eroberer aus dem Nordwesten gewesen. Den Höhepunkt bildete das Mogulreich, das sich zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert zeitweise über ein größeres Gebiet erstreckte, als später die Briten beherrschten.
Der Eroberung folgte nur eine langsame und regional höchst unterschiedlich häufige Bekehrung der Bevölkerung zum Islam. Die große Mehrheit blieb hinduistisch. Politisch hingegen dominierten auf dem Subkontinent islamische Staatswesen, auch wenn manche Gebiete längere Zeit unter Hindu-Herrschern blieben.
Kräfte im Parallelogramm
Die Konstellation änderte sich grundlegend, als ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit den Briten eine dritte Kraft als Bewerber um die Macht auf den Plan trat. Eine solche Konkurrenz verbündet sich normalerweise mit einer Minderheit in einem Staat, um diesen mit einheimischer Hilfe zu unterwerfen. Die Europäer – und nicht nur sie – haben im Verlauf ihrer kolonialen Eroberungen immer wieder mit Erfolg auf diese Methode gesetzt.
Doch die islamische Vorherrschaft über Indien war eine Vormachtstellung der muslimischen Minderheit über die hinduistische Mehrheit, und es kam für die Briten darauf an, sich mit den Unterlegenen und Beherrschten zusammenzutun. Sie unterstützten deshalb eine erst entstehende überwiegend hinduistische Führungsschicht, deren Angehörige bis dato von der Macht ausgeschlossen gewesen waren.
Damit verschob sich das Machtgleichgewicht in Indien in doppelter Hinsicht. Die Konkurrenten tauschten die Plätze. Gleichzeitig aber mussten die von Hindus dominierten erfolgreichen neuen Führungsschichten feststellen, dass sie zwar ihre alten Rivalen überrundet, dass sich aber die neuen Eroberer an die Spitze gesetzt hatten.
Die Briten schlossen Inder, ob Hindus oder Muslime, weit konsequenter von den höchsten Machtpositionen aus, als die Muslime es mit den Hindus getan hatten.
Keine Versöhnung zwischen Hindus und Muslimen
Das Ergebnis war keine Versöhnung zwischen Hindus und Muslimen. Dazu lagen die Gegensätze zu tief. Wohl aber gewannen die Hindus so viel Selbstvertrauen, dass sie seit dem späten 19. Jahrhundert mit dem Indischen Nationalkongress die weltweit stärkste antikoloniale Unabhängigkeitsbewegung aufbauten. Sie hatten es nicht nötig, die Muslime davon auszuschließen; diese spielten so oder so nur eine untergeordnete Rolle.
Die Folge war, dass sich die hinduistische Mehrheit stärker gegen die fremden Herrscher wandte als die muslimische Minderheit. Gleichzeitig boten sich dieser neue Chancen. Die Briten mussten sich auf eine wachsende, von Hindus dominierte Opposition einstellen. In dieser Situation boten sich ihnen die Muslime als Bundesgenossen an, zumindest so lange, wie die Muslime sich mit einer untergeordneten Rolle zufriedengaben.
Inwieweit die Maßnahmen, die die Briten, zunächst zögernd und später mit zunehmender Entschiedenheit, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ergriffen, letztlich nur eine zynische Anwendung des klassischen Prinzips des "Teile und herrsche" waren und inwieweit den Kolonialherren nichts anderes übrig blieb, als eben so zu verfahren, wenn ein blutiger Bürgerkrieg vermieden werden sollte – das war und ist umstritten. Kaum bestreitbar ist, dass die Briten die beiden Religionsgruppen unterschiedlich behandelten.
Die wichtigste Maßnahme war wohl, nachdem die Muslime 1906 ihre eigene politische Organisation, die Muslim-Liga, gegründet hatten, die Einführung getrennter Wahlkreise. Infolgedessen konnten Hindus nur Hindus und Muslime nur Muslime wählen. Das musste die Polarisierung verschärfen.
Teilung des Landes als letzter Ausweg
Als schließlich klar wurde, dass die Briten trotz muslimischer Unterstützung das Land kaum auf Dauer würden beherrschen können und dass nur die Forderung nach Unabhängigkeit Unterstützung in der Bevölkerung brachte, standen die Muslime vor einem Dilemma.
Unterstützten sie die Briten, so mussten sie im Falle einer Niederlage mit der Rache der Hindus nach der Unabhängigkeit rechnen. Verbündeten sie sich mit den Hindus, dann war ihnen eine nachgeordnete Position sicher – und damit ein dauerhafter Machtverlust, verglichen mit der vorkolonialen Zeit.
Als letzten, verzweifelten Ausweg forderte ein Teil der politisch und religiös radikalen Muslime schließlich eine Teilung des Landes. Sie hofften, im einen Teil die große Mehrheit der Muslime konzentrieren zu können. Sie erreichten ihr Ziel 1947 mit der Gründung Pakistans. Die Briten machten mit, weil es für sie der Weg des geringsten Widerstands war. Doch die Kosten waren hoch.
Zuvor waren die religiösen Auseinandersetzungen in Indien stets überwiegend innerstaatlich gewesen. Man hatte immer wieder Kompromisse schließen können. Nach der Teilung standen einander zwei nach religiösen Gesichtspunkten voneinander abgegrenzte, rivalisierende Staaten gegenüber.
Da sich in Indien im Lauf der Geschichte keine klar erkennbare Grenze oder auch nur eine Grenzzone zwischen den Religionen herausgebildet hatte, wurde die Teilung zum Anlass endloser Gewalttätigkeiten. Sie kosteten Hunderttausende Todesopfer und machten Millionen zu Flüchtlingen und Vertriebenen. Die Teilung selber missglückte in Kaschmir, um das sich die beiden neuen Staaten fast von Anfang an stritten. Im Verlauf des Konflikts haben sie mittlerweile vier Kriege geführt und ihren Gegensatz fast zwangsläufig nach Zentralasien hineinprojiziert.
Asymmetrische Situation
Die Teilung bewirkte einen weiteren Unterschied zwischen Indien und Pakistan. Nach Vernichtung, Flucht und Vertreibung auf beiden Seiten war Pakistan schliesslich grossmehrheitlich muslimisch geworden – um den Preis einer Aufteilung in zwei durch Indien voneinander getrennte Hälften.
Aus dieser Situation heraus konnte nur ein islamischer Staat das Ziel sein, besonders in Westpakistan, das die stolzere und längere islamische Tradition hatte als Ostpakistan, das sich, von Indien unterstützt, 1971 vom Westteil des Landes als Bangladesh abspaltete. Indien dagegen, das mit hundertfünfzig Millionen (und damit fast fünfzehn Prozent seiner Bevölkerung) etwa gleich viele Muslime zählt wie Bangladesh oder Pakistan, kann von seinem Selbstverständnis her nur ein säkularer Staat sein.
Die Situation ist asymmetrisch sowohl angesichts der eindeutigen materiellen Überlegenheit Indiens, die immer wieder zur Demütigung Pakistans geführt hat, als auch angesichts des bisher erfolgreich bewahrten säkularen Staates, der Indien auf der internationalen Ebene einen Vorsprung verschafft.
Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan hat also viel mit Religion zu tun. Aber nicht erst und nicht in erster Linie mit dem heutigen politischen Islam und seinem Hindu-nationalistischen Gegenspieler, sondern mit weit zurückreichenden Auseinandersetzungen auf dem Subkontinent.
Jörg Fisch
© Qantara.de 2008
Jörg Fisch hat den Lehrstuhl für allgemeine neuere Geschichte an der Universität Zürich inne.
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