Wie Assad Syrien systematisch zerstörte
Die Serie historischer Katastrophen, die das Regime von Assad senior während der vergangenen Jahrzehnte über Syrien und die arabische Welt gebracht hat, krönt das Regime von Assad junior heute mit weiteren Katastrophen und Verbrechen, die ihm einen Platz in den dunkelsten Kapiteln der Geschichte sichern.
Die Propagandamaschine des Regimes und seiner Claqueure, die mit verdummenden Parolen die "Unnachgiebigkeit" und den "Widerstand" des Regimes rühmen, reproduzieren ebendiese Verbrechen, nur um sie dann der syrischen Bevölkerung und den Revolutionären anzuhängen.
Das Regime begeht materielle, politische und moralische Verbrechen, empört sich über die Opposition und brandmarkt sie als deren Urheber. Es jammert, klagt und hetzt und beschwört die eigene Unschuld. Genial ist etwas anderes. Vielmehr handelt es sich hier um eine absolute moralische Verkommenheit, wie sie Diktaturen in einer Weise voneinander übernehmen, die Abscheu hervorruft.
Die "Genialität", die man dem Regime gleichwohl zugutehalten muss, besteht darin, dass es sich noch immer darauf versteht, nicht wenige Stimmen zu instrumentalisieren, die den "unbeirrbaren Kurs" des Regimes preisen und die die Behauptung von einem angeblichen "strategischen Plan" zu dessen Sturz weiterverbreiten.
Ziehen wir einmal Bilanz, in wie viele Katastrophen Assad junior in Rekordzeit Syrien und die Araber gestürzt hat – Katastrophen, die seine Unterstützer ignorieren und ausblenden, die aber nachprüfbare Tatsachen darstellen.
Gewollte Militarisierung der Revolution
Das erste Verbrechen, dessen sich das Regime schuldig gemacht hat, bestand in der Militarisierung der syrischen Revolution. Es hat den Aufstand förmlich zur Bewaffnung gedrängt.
Niemand, der einen Funken Anstand besitzt, kann bestreiten, dass die syrische Revolution zunächst über Monate hinweg in ihrem Ausdruck und in der Wahl ihrer Mittel friedlich gewesen ist. Die Syrer hatten sich von den Ereignissen in Tunesien und Ägypten inspirieren lassen, wo zwei diktatorische Regime durch friedlichen Protest und unbewaffnete Demonstrationen gestürzt worden waren.
Nicht nur die Elite, sondern die gesamte Bevölkerung wusste instinktiv, dass in all diesen Fällen, ganz besonders aber in Syrien, das Regime und der Sicherheitsapparat sich geradezu danach sehnten, dass Waffen zum Einsatz kämen, damit sie die Protestierenden da hätten, wo sie sie haben wollten. Überall da, wo auch nur eine einzige Waffe benutzt würde, würden Legionen von Sicherheitskräften und Panzerverbände losstürmen, um "bewaffnete terroristische Banden" niederzuwerfen, wie das syrische Regime und seine Propagandisten sie nennen.
Und wieder schauen die Diktaturen voneinander ab. Friedliche Protestbewegungen empfinden sie als Provokation, denn diese fesseln ihren brutalen Sicherheitsapparat und berauben sie des Arguments, mit "eiserner Faust" reagieren zu müssen. In solchen Fällen machen sie daher Waffen für die Öffentlichkeit zugänglich und verführen irgendwelche Demonstranten dazu, sie während der Proteste einzusetzen.
Funktioniert diese Methode nicht, werden auch hier und da einmal ein paar Sicherheitsleute getötet und dann "Terroristen" und "Eindringlinge" dafür verantwortlich gemacht. Anschließend wird eine friedliche Revolution mit brutalster Waffengewalt niedergerungen. Das syrische Regime hat sich genau an dieses Szenario gehalten. Während über Monate friedlich protestiert wurde, mordete und unterdrückte es und militarisierte den Protest so lange, bis er tatsächlich zu einer bewaffneten Erhebung wurde.
Seither durchlaufen Syrien und die Syrer eine finstere Zeit. Der bewaffnete Kampf ist nicht mehr zu kontrollieren, nicht durch den brutal losschlagenden Staat und nicht durch die Revolutionäre. Dieses Verbrechen ist dem Assad-Regime anzulasten, welches sich jetzt lautstark darüber beklagt, dass es von Bewaffneten, al-Qaida-Terroristen, Salafisten und Dschihadisten bekämpft wird. Niemand anderes als das Regime selbst ist schuld an dieser Situation.
Konsolidierung des Konfessionalismus und Zerschlagung der Nation
Das zweite historische Verbrechen des Regimes von Assad junior war die Neuauflage einer kriminellen Politik, die sein Vater bereits betrieben hatte, die Politik der Verankerung des konfessionellen Denkens und die Zerstörung des nationalen Gefüges in Syrien. Auch diesbezüglich wird vor Ort historisch belegbar sein, dass die Menschen, die die Revolution in ihren ersten Monaten getragen haben, jede konfessionelle Parole strikt ablehnten.
Alle Beobachter waren sich einig, dass die syrische Revolution eine Revolution des gesamten Volkes war, was auch heute noch der Fall ist. Bis dato enthalten sich die Revolutionäre konsequent jeder konfessionellen Zuordnung. Aber das Regime, das nach dem Prinzip "Teile und Herrsche" vorgeht und die jede politische und konfessionelle Gruppe gegen die andere ausspielt, in Syrien ebenso wie im Libanon, zog das Register der konfessionellen Agitation. Jeder soll hinter der eigenen Bevölkerungsgruppe in Deckung gehen.
Ein weiteres Mal blieben zunächst Vernunft und Bedacht als Ausdruck des syrischen Instinktes und der Sorge der Syrer um ihr Land unberührt von der politischen Verwahrlosung des Regimes. Doch dieses schickte seine Shabiha-Milizen los, um in Städten und Dörfern mit gemischt ethnischer und religiöser Bevölkerung zu morden.
Entsprechend schnell taten sich konfessionelle Trennlinien auf, und dies war nur natürlich, denn auch fundamentalistische Gruppen anderer geografischer und geistiger Provenienz reiben sich schon die Hände und warten nur darauf, dass die Situation in Syrien in diese Richtung kippt.
Sie mögen einer anderen Konfession und einer anderen Ideologie als das Regime anhängen, aber sie sind intellektuell ebenso verkommen wie jenes, und sie teilen Menschen und Länder nach demselben banalen Konfessionsdenken ein. Das Assad-Regime ist historisch verantwortlich für diesen Sumpf des konfessionellen Denkens, in das es die Syrer treibt. Aber sein Regime und seine Marktschreier beschuldigen immer nur die anderen, sektiererisch zu sein.
Assad ist schuld, wenn es zu einer Intervention kommt
Das dritte historische Verbrechen, das das Assad-Regime begeht, ist die Herausforderung einer Einmischung von außen. Das Regime hat nicht auf die friedlichen Proteste gehört und sich nicht um politische Initiativen der Arabischen Liga oder der UNO gekümmert. Es hat sich in keiner Weise ernsthaft die Oppositionellen und die Millionen angesehen, die hinter der Revolution stehen. Es hat sie lediglich als Kollaborateure des Westens, als Terroristen usw. abgestempelt.
Die einzige Antwort des Regimes auf die Forderungen nach Freiheit und Würde war immer mehr Blutvergießen und immer mehr Massaker, einschließlich der Gewaltanwendung gegen Säuglinge, die man in den eigenen vier Wänden tötete. Dabei verschanzt sich das syrische Regime hinter einem anderen, ebenso unmenschlichen und unmoralischen Regime – dem in Moskau.
Der Schutz, den es dort sucht, kann allerdings nicht verhindern, dass tagtäglich Bilder in Umlauf gelangen, die die Verbrechen und Massaker dokumentieren, die das Regime ungerührt begeht. Diese Indifferenz gegenüber dem Einfluss der Medien ist ein Beweis für die Dummheit des faschistischen Assad-Regimes, das offenbar glaubt, es könne der Revolution entkommen und trotz allen vergossenen Blutes an der Macht bleiben, und das meint, die öffentliche Meinung in der arabischen Welt und weltweit würde diese Verbrechen klaglos hinnehmen, nur weil Russland es beschützt.
Doch die Welt lebt nicht mehr im Kalten Krieg. Damals konnte ein Diktator wie Pol Pot noch eine oder zwei Millionen Menschen der eigenen Bevölkerung ermorden, und die Welt sah hilflos zu.
In Syrien läuft es letztlich auf eine ausländische Intervention hinaus, und der Grund dafür werden die Verbrechen Assads sein, seine Starrköpfigkeit und seine Verweigerung gegenüber jeder friedlichen Lösung und Initiative. Sein Regime wird die Schuld daran tragen, auch wenn er mit seinen Medien und seinen Claqueuren der Gegenseite die Verantwortung an den Verbrechen zuweist, die er selbst begeht.
Khaled Hroub
Aus dem Arabischen von Günther Orth
© Qantara.de 2012
Der Publizist und Medienwissenschaftler Khaled Hroub ist Direktor des "Cambridge Arab Media Project" an der Universität Cambridge. Zuletzt erschien sein Buch "Hamas. Die islamische Bewegung in Palästina" 2008 im Heidelberger Palmyra-Verlag.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de