Mehr Rebellion geht nicht
"Ich bin der Islamist, ich bin der Antichrist", singen sie. "Taqwacore - The Birth of Punk Islam", vorgestellt auf dem Dokumentarfilmfestival "Dok Leipzig", ist ein Film über eine Punkband, die sich selbst islamistisch nennt. Mehr Rebellion geht eigentlich nicht.
"Jeder, der uns verstehen will, wird sehen, dass wir inmitten dieses sogenannten Kriegs der Kulturen den Mittelfinger in beide Richtungen strecken", sagt der Erfinder des Taqwacore, Michael Muhammad Knight.
Aus einer irisch-katholischen Familie stammend, ist er mit 16 Jahren zum fundamentalistischen Islam saudischer Prägung konvertiert und dann irgendwann zum Punk gekommen. Und nun will er beides sein. "Es gibt einen coolen Islam, man muss ihn nur finden. Man muss erst durch alles andere durch, aber es gibt ihn."
Abends Kellerkneipe, morgens Gebetsteppich
Taqwacores – von Arabisch "taqwa", fromm, und "hardcore", so nennen sich die muslimischen Punks, die sich in Boston zusammengefunden haben. Abends wird in Kellerkneipen gerockt, morgens um fünf steht die gesamte Band auf dem Gebetsteppich. Rasant und in großartigen Bildern erzählt der Film von jungen Leuten, die ihr Dilemma so radikal lösen wie es nur geht.
Ihr Hang zur Selbstinszenierung kommt dem Filmemacher Omar Majeed, selbst Kanadier pakistanischer Abstammung, deutlich entgegen. In einem abgerockten grünen Bus tourt die Band durch die USA und genießt die Aufmerksamkeit, die sie hervorruft.
Und natürlich gehört auch der eine oder andere provozierende Spruch dazu, etwa als sie einen Mechaniker ermahnen, den Motor gewissenhaft zu reparieren. "Wir wollen ja nicht, dass der Bus explodiert, bevor wir wollen, dass er explodiert", sagt einer.
"Kein Gesang von Frauen"
Höhepunkt der Tour ist ein Auftritt auf der Islamic Convention in Chicago, dem größten Treffen von Muslimen in Amerika. Dort gibt es eine offene Bühne für junge islamische Künstler.
Als die Islam-Punks dort auftreten, weiß das Publikum, vor allem junge Frauen mit Kopftuch, allerdings nicht so recht, was es davon halten soll. Die Zuschauerinnen sind unschlüssig, ob sie den Auftritt gut finden sollen. Vorsichtig fangen sie schließlich an, zu der Musik mitzuwippen.
Als dann auch noch der pakistanisch-kanadische Drag King Sena Hussain, eine Frau, die in die Rolle eines Mannes schlüpft, auf die Bühne tritt, ist alles vorbei. Der Ordnerdienst befreit das Publikum aus seinem Gewissenskonflikt, indem er das Konzert auflöst. Großspurig wird auf der Konferenz verkündet, jede Form des Islam sei akzeptabel, solange sie nicht zu Gewalt aufruft.
In den Worten der Organisatorin hört sich das dann anders an. "Ich habe ihnen gesagt: Keine weiblichen Sängerinnen, kein Tanz. Der Auftritt muss islamisch angemessen sein. Es ist nicht meine Meinung, dass Frauen nicht singen dürfen. Es ist unsere Politik."
Selbstfindung am Sufi-Schrein
Natürlich geht dann auch noch eine Gitarre zu Bruch, wenn auch nicht im Tumult, sondern vor dem Kongresszentrum, gewissenhaft auf dem Asphalt zerschlagen. Und damit wäre die Punk-Story eigentlich auch perfekt.
Doch dann zieht es die Protagonisten schließlich noch in den Brennpunkt des Konflikts zwischen Westen und Islam. Sie reisen nach Pakistan, besuchen einen Sufi-Schrein und stellen fest, dass Musik und Islam doch irgendwie zusammenpassen, nehmen an Selbstgeißelungen teil und kiffen einige Wochen durch.
Nur mit Auftritten klappt es nicht so richtig. Hier verliert der Film dann die Rasanz, die die erste Hälfte prägt. Die Wilden werden nachdenklich und plötzlich wird klar, dass es doch nicht nur Spaß macht, zwischen allen Kulturen zu stehen.
Die selbstbewussten Rebellen werden auf einmal unsicher und auch vorsichtiger, was ihre Provokationen angeht. Am Ende spielen sie doch noch ein Konzert, und bringen irgendwie arme Jugendliche im Kaftan und die junge Großstadtschickeria dazu, zusammen abzurocken.
Auf die religiösen Provokationen ihrer USA-Auftritte verzichten sie. Stattdessen beschimpfen sie auf der Bühne George W. Bush, was in Pakistan wirklich keine Provokation ist. Am schönsten rebelliert es sich dann doch zu Hause.
Mathias Bölinger
© Deutsche Welle 2010
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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