Abdulwahab Al-Bayyati: Aischas Garten
Im Unterschied zu den abendländischen Gesellschaften lässt sich von den arabischen Kulturen eher sagen, dass sie ein Verhältnis zu ihren Dichtern unterhalten, auch wenn man eingestehen muss, dass dieses Verhältnis oft nicht ohne Widersprüchlichkeiten auskommt.
Begründet sein mag dieser Umstand in dem jahrhundertealten Konflikt zwischen jener Wertschätzung, die das dichterische Wort im arabischen Raum schon immer genießt, und der entschiedenen Diktion des Korans, die – so scheint es zunächst – kein anderes Wort neben sich dulden will. Wie nahe Hochachtung und Ablehnung, Wertschätzung und Verfolgung beieinander liegen können, dafür bieten Leben und Werk des 1999 in Damaskus gestorbenen irakischen Dichters Abdulwahab al-Bayyati ein beredtes Beispiel. Im dem um arabische Kulturvermittlung sehr verdienstvollen Verlag Hans Schiler liegt nun eine beachtliche Auswahl aus al-Bayyatis Werk in deutscher Erstübersetzung vor. Die den Originaltexten an die Seite gestellten poetischen Übertragungen von Khalid Al-Maaly und Heribert Becker eröffnen Perspektiven auf ein dichterisches Werk, das wie wenige andere die Wunden seines Verhältnisses zur arabisch-islamischen Kultur, aber auch die daraus gewonnene Kraft und Stärke trägt.
Zwischen Heimat und Exil
Abdulwahab al-Bayyati wurde 1926 in der Nähe von Bagdad geboren. Seine Biografie liest sich wie eine fortgesetzte Odyssee zwischen Heimat und Exil: Arbeitete al-Bayyati zunächst an verschiedenen irakischen Schulen als Lehrer, wurde er bereits 1953 von der damals herrschenden Monarchie aus dem Staatsdienst entfernt und derart bedrängt, dass er das Land verließ. Das war der Preis, den der Dichter zahlen musste für seine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei, die freilich vor allem in seinen späteren Jahren so wenig doktrinär war wie etwa die eines Bertolt Brecht. Es folgten Aufenthalte in Damaskus, Beirut und Kairo, bevor al-Bayyati nach dem Sturz der Monarchie 1958 in den Irak zurückkehrte. 1963 wurden ihm, inzwischen für die arabische Abteilung des Radiosenders Moskau tätig, Reisepass und Staatsbürgerschaft entzogen, die er erst 1968, inzwischen in Ägypten, im Rahmen einer allgemeinen Amnestie zurückerhielt. Von 1972 bis 1979 war al-Bayyati als Berater im irakischen Kulturministerium tätig, von 1980 bis 1990 als Kulturattaché der irakischen Botschaft in Madrid. Ein zweites Mal wurde ihm die Staatsbürgerschaft entzogen durch das Regime Saddam Husseins, und so ging al-Bayyati für die letzten Jahre seines Lebens nach Amman und Damaskus.
Die Anerkennung seines dichterischen Werkes kam indes darin zum Ausdruck, dass er für sein Gesamtwerk 1998 den in den Vereinigten Arabischen Emiraten verliehenen Al-Uyais-Preis erhielt. Al-Bayyati selbst stiftete einen Preis für junge Lyriker, der seinen Namen trägt und in der arabischen Welt hohe Wertschätzung genießt. Das Verhältnis der arabischen Kultur zum Werk Abdelwahab al-Bayyatis ist durch einen Wechsel von Anerkennung und Ablehnung gekennzeichnet, der kaum schroffer sein könnte.
Die Gedichte, die nun in deutscher Sprache vorliegen, geben Zeugnis nicht nur von diesem wechselhaften Schicksal, sondern auch von einer beständigen Auseinandersetzung mit den Traditionen und mit den gesellschaftlichen Verhältnissen. Was al-Bayyatis Lyrik auszeichnet, ist gerade ihre kenntnisreiche und umsichtige Bewegung zwischen Tradition und Politik. Selbst noch in der entschiedensten gesellschaftlichen Diktion weiß sie sich rückgebunden an die ältesten Motive arabischer Poesie. Dieses Bewusstsein für die Tradition bewahrt al-Bayyatis Lyrik jederzeit vor blanker Agitation.
Zwischen Mystik und europäisch-amerikanischer Kultur
Anknüpfungspunkte findet seine Lyrik vor allem bei den Sufisten, den Mystikern der islamischen Kultur, deren Gedankengut er nicht nur in Widmungsgedichten aufgreift und weiterführt. Eine ihrer weiteren Leistungen besteht darin, dass al-Bayyati immer wieder auf die Motive und Träger europäischer und amerikanischer Kultur rekurriert. Der arabische Blick auf Orpheus und Hamlet, aber auch auf die Hemingway’sche Motivik ist auch für den europäischen Leser äußerst bereichernd.
Aus ihrer eigenen Geschichte heraus ist die Grundierung dieser Gedichte schon in den frühen Jahren ein trotziger Skeptizismus: „Ich werde sein! Sinnlos, ich werde immer / einer von nirgendwo bleiben / gesichts- und geschichtslos, von nirgendwo.“ Aber selbst noch in der tiefsten Verwundung setzt al-Bayyati diesem Zustand sein Dennoch entgegen, wenn er fragt:
„Woher kommt die Liebe, oh meine Geliebte, und sind wir zum Tode verurteilt / und sind wir im Zirkus, im Zoo / und in der Hure Sprache, in der Geschichte, in den Wahnvorstellungen / in Unfruchtbarkeit und Ödnis? / Wir sind umzingelt seit zweitausend Jahren / wir versuchen, aus den Kreisen der Nullen herauszukommen“. – Wo die arabisch-islamische Welt diesen starken Worten Raum gewährt, da entfaltet sich ihre wahre Größe.
Christoph Leisten
© 2003, Qantara.de
Abdulwahab al-Bayyati: Aischas Garten. Ausgewählte Gedichte. Aus dem Arabischen von Khalid Al-Maaly und Heribert Becker. Berlin: Verlag Hans Schiler 2003.
Christoph Leisten ist Lyriker, Essayist und Mitherausgeber der Kulturzeitschrift „Zeichen & Wunder“. Im Juli 2003 erschien sein jüngster Gedichtband „in diesem licht“ bei Rimbaud.