Saudi-Arabiens Reformtheater
Nachdem König Abdullah Erwartungen für echte politische Reformen in Saudi-Arabien geweckt hatte, verkündete er stattdessen, dass die Zeit für einen Wandel noch nicht gekommen sei.
Nach einer Umbildung des Kabinetts bleibt alles beim Alten. Die saudische Bevölkerung, von der 50 Prozent unter 15 Jahre alt ist, wird auch weiterhin die gleichen betagten Prinzen im nationalen Fernsehen sehen, von denen einige seit 40 Jahren im Amt sind und die ein Symbol für die Fäulnis im Kern der saudischen Politik darstellen.
Das Paradoxon besteht hierbei darin, dass Saudi-Arabien zwar diplomatisch wesentlich aktiver ist, um die Probleme zu lösen und die Irakfrage zu bewältigen, dabei aber im Inneren von einer Lähmung befallen wurde.
Das ist nicht das, was gewöhnliche Saudis erwartet haben. Während der vergangenen eineinhalb Jahre rechneten sie mit einer Kabinettsumbildung, die den Ruf des Königs als engagierter Fürsprecher für Reformen fördern sollte.
Leeres Reformgerede
Die symbolische Bedeutung eines neuen Kabinetts sollte die Neudefinition der saudischen Nation und ihrer Zukunft widerspiegeln. Es gab Hoffnung auf eine Einbeziehung marginalisierter Gruppen, wie etwa einen schiitischen Minister zum ersten Mal in der Geschichte des Königreichs, und auf Maßnahmen gegen Korruption, wie sie eine Entlassung altgedienter Minister darstellen würde.
Stattdessen hat ein lähmendes Unwohlsein das Königreich erfasst, während die Saudi-Arabien eigene Unbeweglichkeit leeres Reformgerede produziert, das die tatsächlichen Gegebenheiten der Stagnation nicht verbergen kann. Die Unbeweglichkeit geht über die Kabinettsumbildung hinaus: Das Gerichtswesen – mit 700 Richtern – bleibt ebenfalls unverändert.
Die Ironie besteht darin, dass König Abdullah zwar energisch eine Führungsrolle in den turbulenten Angelegenheiten in der Region übernommen hat, dabei aber unfähig scheint, auf Saudi-Arabiens akuten Rückstand an demokratischen Reformen im Vergleich zu Nachbarn wie Jordanien und den Golfstaaten zu reagieren.
Warum also verleiht Abdullah seiner Führung keine Geltung? Und warum hat er trotz internationalen Drucks und der Wünsche im Inneren des Landes keinen Nachfolger für den kränkelnden Kronprinzen Sultan ernannt, wo doch die Tradition der saudischen Könige vorsieht, nicht nur den direkten Thronfolger, sondern auch den zweiten Anwärter zu benennen?
Warum wird den wahhabitischen Klerikern, den wichtigsten Gegnern von Reform und Fortschritt, ständig als den de facto Ko-Regenten des Königreichs nachgegeben?
Gegensätzliche Kräfte
Einfach ausgedrückt ist Abdullah nicht der Herr im eigenen Haus. Obwohl es einfach ist, mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschad, dem Hamas-Führer Ismail Haniya, dem russischen Präsidenten Vladimir Putin oder US-Präsident George W. Bush Händchen zu halten, lassen sich solche beruhigenden Bilder herzlicher Beziehungen zu Hause nur schwer bekommen.
Zusätzlich zu den dogmatischen Mahnungen der fest verwurzelten Wahhabiten ist Abdullah mit der Sturheit Dutzender Halbbrüder und der Aufsässigkeit Tausender Cousins und Neffen konfrontiert.
Diese gegensätzlichen Kräfte innerhalb des Königreichs haben eine fast unüberwindliche Hürde errichtet. Mit einem unmöglich scheinenden Konsens ist die Formulierung einer kohärenten Politik zur Erfüllung der Bedürfnisse der Nation außer Reichweite.
Stattdessen leben die Al-Saud-Prinzen und ihre wahhabitischen Partner in einer wachsamen Koexistenz und dominieren dabei unterschiedliche Einflussbereiche.
Die Unbeweglichkeit in Saudi-Arabien ist tief in seinen beiden Quellen der Legitimität verwurzelt, dem Erdöl und dem Islam. Seit Abdullah im August 2005 den Thron bestieg, haben hohe Ölpreise das alte System der Patronage aufrechterhalten, in dem Menschen für ihr Schweigen bezahlt werden und in dem jede Initiative für Veränderung erstickt wird.
Skurriler Kompromiss
Zudem wird die Rolle des saudischen Königs als Hüter der heiligen Stätten des Islam missbraucht, um Reformen zu blockieren, da jegliche Veränderung sorgfältig auf die einzigartige Situation einer Nation abgestimmt und dieser entsprechend arrangiert werden müsse, die diese ehrfurchtgebietende Verantwortung trägt.
Reformen in Saudi-Arabien sind in jeglicher Hinsicht ein skurriler Kompromiss zwischen den gegnerischen Kräften der prominenten Flügel der Al-Sauds und den Kräften des offiziellen wahhabitischen religiösen Establishments. Ein Resultat ist die Pseudodemokratie.
Gemeindewahlen haben stattgefunden, diese waren jedoch parteiisch, stark gelenkt und ohne Konsequenzen. Der Schura, oder Konsultativrat, ist wirkungslos: Vom König ernannt, ist er nicht befähigt, Gesetze zu erlassen und wird in absehbarer Zeit auch nicht gewählt werden.
Mai Yamani
ist Autorin und bekannt durch Auftritte in Funk und Fernsehen. Ihr jüngstes Buch trägt den Titel Cradle of Islam.
Das Gleiche gilt für den von Abdullah etablierten, aber von der offiziellen wahhabitischen Führungsschicht nicht legitimierten "Nationalen Dialog". Gespräche zwischen Vertretern der Schiiten, Wahhabiten-Ismailiten und anderen Sekten im Rahmen des Nationalen Dialogs wurden kürzlich im Fernsehen ausgestrahlt, doch das war nichts anderes als reines Reformtheater und die saudische Bevölkerung ist nicht länger bereit, ihre Vernunft auszuschalten.
Die Auseinandersetzung mit der Außenwelt durch Reisen, Satellitenfernsehen und das Internet hat die Forderung der Öffentlichkeit nach politischen Rechten einschließlich der in der Vergangenheit durch die Bevormundung des Staates verweigerten demokratischen Repräsentation verstärkt.
Unsichere Zukunft
Wenn die Menschen eifrig Al-Dschasira verfolgen – ein Sender, der in Saudi-Arabien offiziell verboten ist – während dieser über Wahlen in Kuwait und demokratische Debatten in anderen Golfstaaten berichtet, lassen sich die Grenzen des Königreichs nicht vor Ideen und vor dem Wunsch nach Veränderung versiegeln.
Verweigerung ist keine Politik; sie ist ein Selbstmordpakt. Erdöl und die Aufgabe eines Hüters des Islam können es den Herrschenden ermöglichen, ein falsches Gefühl der Sicherheit zu fördern, aber nur vorübergehend.
Mal fallen die Preise für Erdöl und mal steigen sie. Genau wie Menschen sind Nationen, die sich selbst täuschen, einer unsicheren und instabilen Zukunft ausgeliefert.
Aber Selbsttäuschung ist eine Wahl. Viele der saudischen achtzigjährigen Prinzen und insbesondere König Abdullah wissen, was getan werden muss. Auch die Menschen wissen, was getan werden muss. Wenn die Monarchie sie befragt und beginnt, mit den Erwartungen richtig umzugehen, bleiben Aussöhnung und Stabilität weiterhin möglich.
Mai Yamani
Aus dem Englischen von Sandra Pontow
© Project Syndicate, 2007
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