Bereitschaft zur gegenseitigen Akzeptanz
Das Bundesland Niedersachsen gehört zu den ersten in Deutschland, die einen islamischen Schulunterricht eingeführt haben. Und auch sonst gibt man sich dort große Mühe dabei, Brücken zu den Muslimen in Deutschland zu schlagen.
Die Landesbischöfin der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover, Margot Käßmann, plädiert für eine Intensivierung des Dialoges mit dem Islam und meint, man habe bei den Bemühungen um diesen Dialog bereits gute Erfahrungen gemacht.
Ein Beispiel hierfür seien die zahlreichen guten Kontakte zu den unterschiedlichen muslimischen Verbänden in Niedersachsen, so Käßmann. Hierbei würden auch die Unterschiede deutlich - z.B. auf dem Kongress zum Thema 'Wir erziehen zum Glauben', berichtet die Landesbischöfin.
Geringe Kenntnis der anderen Religion
"Wir haben dabei immer wieder gemerkt, wie wenig wir uns kennen. Wir haben Vorstellungen vom Islam, der Islam hat Vorstellungen vom Christentum, und so entstehen natürlich auch sehr schnell Feindbilder. Ich glaube, dass die Begegnung der Menschen vor Ort, das Gespräch über das eigene Leben und die eigene Ausübung der Religion ungeheuer wichtig sind", meint Käßmann.
Damit solche Begegnungen Erfolg haben, müssen sie natürlich auch auf Interesse und Bereitschaft bei der Bevölkerung stoßen - bei Muslimen wie Nichtmuslimen. Erst wenn diese Bereitschaft da sei, werde es auch einen sinnvollen Dialog geben können.
"Ich denke, dass wir uns in Deutschland bisher nicht so engagiert gezeigt haben, um zu wissen, wie Muslime in unserem Land leben. Ich sage das auch ganz ehrlich von mir, dass das für mich nie ein Schwerpunkt-Thema war. Man hat eher so nebeneinander gelebt - freundlich beachtet vielleicht - aber nicht in einem Dialog", so die Landesbischöfin.
Gerade heute sei allerdings der Dialog sehr wichtig, damit die Religion nicht wieder Konflikte ver-, sondern diese Konflikte endlich entschärfe. Käßmann betont, dass ihr sehr viel daran liege, dass sich dieser Konflikt der Kulturen nicht zu einem Konflikt der Religionen entwickle.
Die Religionsgemeinschaften in Europa müssten endlich gelernt haben, dass sie kein Öl in das Feuer von Konflikten gießen dürften, so die Landesbischöfin.
Ursachen für Dialogdefizite
Die Gründe für das bisherige Dialog- und Verständnis-Defizit liegen nach Meinung der Bischöfin unter anderem darin, dass man sich zu spät bewusst geworden sei, dass es inzwischen in Deutschland eine große muslimische Minderheit gibt.
Auch, dass man zu lange gedacht habe, diese Leute würden - wenn sie als "Gastarbeiter" gekommen waren - eines Tages Deutschland wieder verlassen. Aber natürlich trügen auch die aktuellen Ereignisse dazu bei, dass man die Dinge heute anders sehe:
"Ich denke, dass in den letzten Jahren eher ein mangelndes Interesse vorherrschte und jetzt auf einmal Menschen doch sehr erschrocken sind und sagen: 'Wenn hier wieder die Rede ist von Kreuzzügen oder gerechten Kriegen oder gar heiligen Kriegen...' - Also, dann müssen wir uns ganz dringend um diese Frage kümmern: Was passiert eigentlich zwischen den Religionen, was ist in der anderen Religion los?"
Eine wichtige Rolle bei der Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft und beim Dialog mit ihnen spiele natürlich die Frage, ob sie - z.B. am Arbeitsplatz - diskriminiert werden. Diskriminierung sei manchmal aber auch eine subjektive Wahrnehmung: Für die Landesbischöfin steht fest, dass es in dieser Hinsicht klare Grenzen gebe, wenn es um die Verfassungsrechte gehe.
"Deutsche Leitkultur" problematisch
Versäumnisse und Fehler existierten auf beiden Seiten - und nicht nur mangelnde Bereitschaft auf der einen oder anderen Seite. So hält die Bischöfin auch nicht viel von Ausdrücken wie "deutscher Leitkultur", an der Einwanderer sich doch orientieren sollten:
"Der Begriff hilft überhaupt nicht weiter, weil es nur ein Kampfplatz wird", so Käßmann, "aber dass die Bundesrepublik Deutschland jüdisch-christliche Wurzeln hat, in ihrer Kultur, ihren Werten, ihrer Architektur, müssen sich manche vielleicht erst wieder bewusst machen. Und dann wissen sie auch, wohin sie eigentlich integrieren wollen."
Eine Gesellschaft, die überhaupt keine Werte, keine Basis oder Grundüberzeugung mehr teile, könne auch niemanden integrieren. Warum sollte sich ein Muslim in eine Gesellschaft integrieren, die innen hohl geworden ist und ihre eigene Grundüberzeugung nicht mehr kennt, fragt sich die Landesbischöfin.
Bei all dem gebe es aber durchaus auch viele Beispiele für eine gelungene Integration und das werde heute zu oft vergessen oder übersehen.
Allein aus der Schulzeit ihrer Kinder kenne sie eine ganze Reihe positiver Beispiele, meint Bischöfin Käßmann: "Ich gebe deswegen die Hoffnung nicht auf, dass wir eines Tages junge deutsche Muslime haben, die dann auch einen europäischen Islam mitprägen. Da ist sicher noch einiges, was offener und mit der Demokratie kompatibler werden muss."
Peter Philipp
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