"Erwarten Sie ein Verbot des Kopftuches in Deutschland?"

Mit großem Interesse haben die arabischen Medien den Wahlkampf und die Bundestagswahlen in Deutschland verfolgt. Insbesondere die Situation der Migranten und die deutsche Außenpolitik standen im Fokus der Berichterstattung. Von Götz Nordbruch

Mit großem Interesse haben die arabischen Medien den Wahlkampf und die Bundestagswahlen in Deutschland verfolgt. Insbesondere die Migranten und die deutsche Außenpolitik standen im Fokus der Berichterstattung. Von Götz Nordbruch

Wahlplakate mit Schröder und Merkel; Foto: AP
Vergleiche in der ägyptischen Presse über die Wahlen in Deutschland und in Ägypten stießen auf scharfe Kritik

​​Im Live-Gespräch des Webportals Islam-Online ging es bald um jene Fragen, die die Berichterstattung in arabischen Medien über die Bundestagwahl bereits seit Wochen bestimmen.

Unter dem Titel "Deutsche Muslime und die Wahlen" hatte das in Qatar ansässige Portal seine Leser eingeladen, den Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Nadim Elyas, zu den Auswirkungen der Wahlen zu befragen.

Schon im Vorfeld der Wahlen wurde in zahlreichen Kommentaren das Interesse deutlich, mit dem der Ausgang des Kopf-an-Kopf-Rennens in Deutschland verfolgt wird. Das zeitliche Zusammenfallen mit den Präsidentschaftswahlen in Ägypten war zusätzlicher Anlass, um über die Regierungsbildung in Berlin zu berichten.

Schließlich, so schrieb Samira Sadeq in einem Bericht aus Berlin für die ägyptische Zeitung al-Gumhurriya, markierten die Wahlen in beiden Ländern ein "wichtiges und außergewöhnliches Ereignis."

Gemüsekisten statt Wahlurnen

Angesichts solcher Stimmen, die den deutschen und ägyptischen Wahlen eine ähnliche Bedeutung zuschrieben und damit einen demokratischen Aufbruch in Ägypten suggerierten, wurde von verschiedener Seite scharfe Kritik laut.

Weder die Abstimmungen in Ägypten noch die Parlamentswahlen in Afghanistan könnten darüber hinweg täuschen, dass die dortigen Bevölkerungen eher von Gemüsekisten, denn von Wahlurnen träumten, kommentierte Rashad Abu Daud in der jordanischen Zeitung al-Dustur derartige Vergleiche.

Während in Deutschland der Sieg Angela Merkels verkündet werde, würden in Afghanistan dreißig Prozent der Parlamentssitze für Frauen reserviert, denen unter den Taliban selbst die Schulbänke verboten waren und die nun über die Politik des Landes entscheiden sollen, bemerkte Abu Daud sarkastisch.

Angst vor repressiver Ausländerpolitik

Dennoch wurden auch die Wahlen in Deutschland nicht ohne Sorge beobachtet. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und der Debatten nach den Anschlägen von London standen Befürchtungen einer repressiven Ausländerpolitik der zukünftigen Regierung im Mittelpunkt der Berichte – ohne dass dabei zwangsläufig einer SPD- oder einer CDU-geführten Regierung der Vorzug gegeben würde.

Während in einem ausführlichen Bericht in der ägyptischen Zeitung al-Ahram die "Ängste der muslimischen Gemeinden in Deutschland vor einer christlich-demokratischen Regierung" im Mittelpunkt standen, wurde von anderen Kommentatoren die Enttäuschung der Migranten über die bisherige Politik der rot-grünen Regierung hervorgehoben.

Der fehlende Wille, eine Lösung für das Problem der doppelten Staatsbürgerschaft zu finden, und die keineswegs liberale Zuwanderungspolitik der noch amtierenden Regierung lasse auch zukünftig von der SPD keine grundlegenden Verbesserungen im Interesse der Einwanderer erwarten.

"Türkische Lobby"

Vor diesem Hintergrund wird das besondere Interesse verständlich, das dem Einfluss der muslimischen und arabischen Gemeinden auf den Meinungsbildungsprozess in Deutschland gewidmet wird. Mit Hinweis auf die etwa 600.000 wahlberechtigten Deutschen türkischer Herkunft berichtete beispielsweise die Zeitung al-Sharq aus Qatar über eine "türkische Lobby" in Deutschland, bei der es sich "vielleicht um die einzige einflussreiche muslimische Lobby in der westlichen Welt" handele.

Dennoch ging es nicht nur um einen Einfluss dieser Muslime als Wähler, sondern nicht zuletzt auch als Repräsentanten politischer Interessen unabhängig von den bestehenden Parteien.

Der arabische Sender al-Jazeera etwa berichtete in einem Porträt über den ersten Direktkandidaten arabischer Herkunft, der im Wahlkreis Neukölln in Berlin als parteiloser Kandidat antrat.

Auf Anregung verschiedener arabischer Organisationen habe sich Ali Abd al-Wahhab zur Kandidatur für den Bundestag entschlossen, um eine aktive "politische Rolle zu übernehmen und sich konstruktiv am politischen Geschehen und am politischen Entscheidungsprozeß zu beteiligen".

Sympathie für Haltung im Irak-Konflikt

Mit dem ausgeglichenen Ausgang der Wahlen bleibt allerdings nicht nur die zukünftige Politik gegenüber Einwanderern und Muslimen im Unklaren. Aus arabischer Sicht nicht weniger bedeutsam ist die Ausrichtung der Außenpolitik, die von Deutschland betrieben wird.

Anders als im innenpolitischen Bereich, wo sowohl einer von Merkel als auch einer von Schröder geführten Regierung mit Skepsis begegnet wird, sind die Einschätzungen bezüglich der Außenpolitik eindeutig. Die breiten Sympathien, die der rot-grünen Bundesregierung angesichts ihrer Haltung im Irak-Konflikt und zum EU-Beitritt der Türkei in den vergangenen Jahren entgegengebracht wurden, prägen auch hier die Reaktionen auf den Ausgang der Bundestagswahl.

Die Bundestagswahl war so auch eine Wahl zwischen einem Bündnis mit Georges W. Bush oder mit Jacques Chirac, fasst Hassan Madan in einem Kommentar der Zeitung al-Khalij (VAE) zusammen.

Angesichts des Wahlausganges steht eine Entscheidung über diese Richtungsgebung noch aus: "Deutschland ist ratlos. Es hat noch nicht gewählt."

Götz Nordbruch

© Qantara.de 2005

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