Wie Medienforscher zu vorschnellen Urteilen kommen

Seit Jahren beschäftigen sich Forscher mit der Darstellung des Islam in den Medien. Auffällig ist, dass alle Studien zu ähnlichen Ergebnissen kommen: Die Medien schürten Angst und Vorurteile gegenüber dem Islam. Klemens Ludwig kommentiert.

Seit Jahren beschäftigen sich Forscher mit der Darstellung des Islam in den Medien. Mal meldet sich die "Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" (EUMC) in Wien zu Wort, mal Institute an Universitäten, mal islamische Interessenverbände. Auffällig ist, dass alle Studien zu ähnlichen Ergebnissen kommen: Die Medien schürten Angst und Vorurteile gegenüber dem Islam, und sie zementierten das "Feindbild Islam", heißt es unisono. Klemens Ludwig kommentiert.

Diskussionsrunde im Fernsehen; Foto: www.education.uiowa.edu
Studien über den Islam in den Medien geben häufig ein pauschalisierendes Urteil ab

​​"Nur in Ansätzen haben sich Rundfunk, Fernsehen und Presse darum bemüht, ausgewogen zu berichten und einen konstruktiven Dialog mit dem Islam zu bieten", resümiert die EUMC, eine offizielle Institution der EU. "Ich würde sagen, dass sich seit der Ermordung von Theo van Gogh letztendlich eine Angst, eine Panik in Deutschland und auch in der Berichterstattung Bahn gebrochen hat, die in der Unsachlichkeit vorher nicht so zu sehen war", zitiert die "Tagesschau" einen Mitarbeiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen. "ARD und ZDF schüren Islam-Angst" und lassen sich von einem "simplifizierten Bild des Kampfes der Kulturen leiten", beklagt Kai Hafez, Islamwissenschaftler und Professor am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft in Erfurt.

Eine solch einhellige Meinung kann darauf zurückgehen, dass es sich um ein unumstrittenes Phänomen handelt. Oder die Veröffentlichungen machen genau das, was sie den Medien vorwerfen: unzulässig pauschalieren. Es ist nicht überzeugend, dass öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten mit eigenen Sendungen für Migranten in der gleichen Weise über den Islam berichten wie private Kommerzsender; dass liberale Tages- oder Wochenzeitungen das gleiche Islambild pflegen wie der Boulevard.

Schon die Tatsache, dass deutsche Zeitungen und Rundfunksender die Forschungsergebnisse unkommentiert übernehmen, lässt selbige fragwürdig erscheinen. Womöglich kommen die Studien nicht zuletzt deshalb zu ähnlichen Vorwürfen, weil sie die gleiche fragwürdige Methodik an den Tag legen, die in der Fragestellung bereits das Ergebnis impliziert.

Neue Studie zum Islambild der öffentlich-rechtlichen Sender

Beispielhaft dafür ist die jüngste Studie über "Das Gewalt- und Konfliktbild des Islams bei ARD und ZDF" des zitierten Autors Hafez. Sein Institut hat 2005/06 Magazin- und Talksendungen auf ihre Islamdarstellung untersucht. Danach werde der Islam in 81 Prozent der Sendungen mit "negativ konnotierten Themen" in Verbindung gebracht, in elf Prozent mit Kultur/Religion und in acht Prozent mit Alltag/Soziales. Zu den "negativ konnotierten Themen" zählen unter anderem Terrorismus und Extremismus (23,31 Prozent), internationale Konflikte (16,54 Prozent), religiöse Intoleranz (9,77 Prozent), Frauenunterdrückung (4,51 Prozent).

Ein Fazit der Studie lautet: "Nicht die Darstellung des Negativen ist das Problem, sondern die Ausblendung des Normalen, des Alltäglichen und des Positiven." Basis der Studie waren aber Magazin- und Talksendungen. Deren Anspruch ist es nicht, Alltägliches aufzugreifen, also kann man es ihnen nicht vorwerfen. Wird das Thema "Jugend" in Magazin- und Talksendungen aufgegriffen, stehen Gewalt und Drogen im Zentrum, obwohl das nicht den Alltag der Mehrheit bestimmt. Noch niemand hat ARD und ZDF unterstellt, sie seien jugendfeindlich.

Untersuchung verlässt den Boden der Wissenschaft

Zudem muss die Frage erlaubt sein, was die Studien unter einem "negativen Islambild" verstehen. Die EUMC wirft den Journalisten vor, sie würden Bilder präsentieren, "die Ressentiments verstärken: Frauen mit Kopftüchern oder Kinder auf dem Weg zur Koranschule". Kai Hafez nennt Berichte über Juden in Iran oder Kopten in Ägypten als Beweis für die negative Islamberichterstattung. Mit derartigen Ansätzen machen die Forscher den Überbringer schlechter Nachrichten für deren Inhalt verantwortlich, denn nirgendwo wird nachgewiesen, dass die Berichte manipuliert oder gestellt seien.

Die Erfurter Untersuchung verlässt gänzlich den Boden der Wissenschaft, wenn sie behauptet, dass eine solche Fokussierung auf Gewalt "im Vergleich zu anderen Religionen ganz außergewöhnlich ist, und dies, obwohl auch andere Religionen . . . extremistische Spielarten aufweisen". Es gibt keinen Anschlag tamilisch-hinduistischer Extremisten oder christlicher Fundamentalisten in den Vereinigten Staaten, der nicht durch die Weltpresse ginge. Und als vor etwa 25 Jahren die Sikhs in Indien einen eigenen Staat herbeibomben wollten, war die Berichterstattung über diese Religionsgemeinschaft vom Thema Terror bestimmt.

Wenn heute nicht häufiger über die Gewalt anderer Religionen berichtet wird, dann deshalb, weil es nichts zu berichten gibt. Das bekannte vor Jahren sogar selbstkritisch ein Kommentator des arabischen Senders Al Dschazira: "Man kann natürlich nicht sagen, dass alle Moslems Terroristen sind, aber wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass nahezu alle Terroristen Moslems sind."

Studien blenden viele Aspekte aus

Es sind diese Studien, die sich allein auf die negative Berichterstattung über den Islam konzentrieren und alles andere ausblenden. Das "Forum zum Freitag" im ZDF steht kurz vor der Umsetzung, der SWR stellt in sechs Wochen sein "Islamisches Wort" ins Netz. Einer eigenen Untersuchung wert wäre einmal die andere Seite: Euphemismen und Beschwichtigungsformeln in Berichten über den Fanatismus. Als der niederländische Islamkritiker Theo van Gogh ermordet worden war, hieß es in der "Tagesschau" mehrfach geradezu entschuldigend: "der Mord an dem umstrittenen Filmemacher". Man stelle sich die Reaktion vor, wenn ein Sprecher 1977 vom Mord an dem umstrittenen Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer gesprochen hätte.

Dass die Medien nur auf das Negative fokussiert seien, war einmal ein Topos konservativer Kulturkritik. Sogar der frühere Bundespräsident Karl Carstens hat sich diese These einst zu eigen gemacht, ohne dabei allerdings den Islam im Blick zu haben.

Klemens Ludwig

© Frankfurter Allgemeine Zeitung

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