Detlef Kulschewski, 3. März 2005
zu: Araber und Globalisierung, von Ramzy Baroud
Die Offenheit für Einflüsse aus dem Westen als Grundlage der Identitätskrise ?-eine sehr gewagte Theorie
Jahrhunderte war der islamische Kulturraum eine der fortschrittlichsten Zivilisationen auf diesem Planeten, aber seit dem 17. Jahrhundert befindet sie sich im freien Fall. Nach vergangener Größe, heute ein Status am Rande des Weltgeschehens. Es ist richtig, dass die Schuldzuweisung an andere, sei es Israel, die USA oder der Westen nur vom eigenen Versagen ablenken soll, das eigene Gewissen beruhigen, in dem Sinne von "man kann ja nichts machen".
Das ökonomisch, wissenschaftlich und politisch erfolgreiche Israel mit einer Presse- und Meinungsfreiheit, wie sie kein arabischer, kein einziger muslimischer Staat aufzuweisen hat, dient auch als nützlicher Sündenbock für die wirtschaftliche Rückständigkeit und politische Unterdrückung, unter der die meisten Araber leiden. Sollte in ferner Zukunft China die USA als globale Weltmacht ablösen, was ohne weiteres denkbar ist, dann sind eben die Chinesen an allem schuld.
Dass es aber auch anderen Schwellenländern, wie Taiwan und Singapur gelungen ist (trotz oder gerade durch Einflüsse des Westens ?), einen vergleichbaren zivilisatorischen Standard zu erreichen, hat die Spannungen nur weiter verschärft und wurde nur noch seitens der Araber als Kritik wahrgenommen. Aber das Versagen liegt weder am Westen oder am asiatischen Osten, sondern bei den Arabern selbst. Denn aus einem unislamischen Grund ist der Westen bzw. asiatische Osten reich und mächtig. Und wie es dem als unterlegen angesehenen Westen bzw. asiatischen Osten gelingen konnte, die nach islamischer Offenbarung höherstehende- weil direkt von Allah eingesetzte - Kultur so zu deklassieren, wird für die Araber wohl immer ein Mysterium bleiben.
In dem klaren Bewusstsein des eigenen Scheiterns liegt die Ursache der Identitätskrise. Ein Rückgriff auf den reinen, ursprünglichen Islam, der ja als Wundermittel gilt, wird die Rückständigkeit nur noch zementieren. Alle bisherigen Regimewechsel, deren Ziel es war, eine islamische Republik oder eine gerechte islamische Gesellschaft (so nach dem Ideal zu Mohammeds Zeiten in Medina) zu etablieren, brachten wirtschaftliche - und wissenschaftliche - Rückschritte mit sich und ließen die Bevölkerung nur noch mehr verarmen.
Das System Islam ist gescheitert. Die nicht vollzogene Trennung von Theologie und Politik führte zu einer andauernden Lähmung der kreativen Kräfte, die bis heute andauert. Während die westlichen und die östlichen Länder, damit meine ich den sinischen Kulturraum, sich auf ihre dritte industrielle Revolution vorbereiten, hat die erste im islamischen Raum noch nicht mal angefangen. Es fehlen Jahrhunderte der Aufklärung, die Befreiung von religiösen Dogmen, ein offener Geist.
Ein Drittel aller Menschen in der arabischen Welt lebt von weniger als zwei Dollar am Tag, 40 % der erwachsenen Araber sind Analphabeten (der Anteil der Frauen dürfte noch höher sein), nur 3,5 % der Parlamentssitze in den Staaten der Region werden von Frauen eingenommen, nur 1,6 % der Bevölkerung haben Zugang zum Internet.
Diese katastrophale Bilanz kann nicht nur eine Folge westlicher Kolonialpolitik sein, denn die Zahlen sind noch erbärmlicher in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara. Die "Ungläubigen", so heißt es bei den Arabern, beherrschen die Weltwirtschaft. Die Enttäuschung darüber mündet nicht in Selbstkritik und Reflektion über das eigene Handeln, sondern als Ergebnis der Identitätskrise, in sinnlose Wut und Gewalt.
Dipl.-Ing.(FH) Detlef Kulschewski
Berlin