Abenteuerlicher Prozess-Verlauf
Es war ein spektakulärer Prozess gegen einen geradezu unauffälligen Angeklagten in einem brisanten Fall - der Marokkaner Abdelghani Mzoudi wurde freigesprochen. Die Richter entsprachen damit dem Antrag der Verteidigung. Die Beweise hätten für eine Verurteilung des 31 Jahre alten Marokkaners nicht ausgereicht. Die Bundesanwaltschaft kündigte jetzt an, vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe Revision einzulegen. Peter Philipp kommentiert.
Es hätte schon mit dem Teufel zugehen müssen, wenn der Marokkaner Abdelghani Mzoudi nun doch wegen Mittäterschaft bei den Anschlägen des 11. September verurteilt worden wäre. Die Staatsanwaltschaft - vertreten durch die Bundesanwaltschaft - hatte eben dies behauptet und dem Studenten die Mitschuld am Tod von 3066 Menschen gegeben. Die Hamburger Richter freilich ließen sich nicht beirren und fällten den wohl einzigen Spruch, den der Fall nach einem recht abenteuerlichen Verlauf noch zuließ: Freispruch.
Recht und Politik im Konflikt
Abenteuerlich wurde der Prozess-Verlauf, weil hier immer wieder Recht und Politik aneinander gerieten. So entspricht es natürlich durchaus dem politischen Verständnis in Deutschland, dass man sich mit allen Kräften am Kampf gegen internationalen Terrorismus beteiligt, aber dieser Konsens bröckelt schon, wenn man sich für diesen Kampf in blinde Gefolgschaft der USA begeben soll. Erst recht natürlich, wenn man für dieses Ziel Grundprinzipien des Rechtsstaates über Bord werfen soll.
Nachdem die Täter des 11. September sich vor ihrer Tat als unauffällige "Schläfer" in Hamburg aufgehalten hatten, war es natürlich eine Selbstverständlichkeit, dass die deutschen Behörden deren Umfeld durchleuchteten und nach Mittätern suchten, um sie hier vor Gericht zu stellen. Einer entging ihnen - der Jemenit Binalshibh - ein anderer, der Marokkaner Mounir Al Motassadeq wird zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.
Anklage auf tönernen Füßen
Ob dieses Urteil Bestand haben kann, ist nach dem Freispruch von Mzoudi mehr als fraglich. Denn wirkliche Beweise für die Schuld gibt es nicht. Und - was viel schwerer wiegt - vieles scheint aus politischer Rücksicht gegenüber Washington in Kauf genommen worden zu sein, was sonst vor einem Gericht nicht akzeptiert worden wäre: So gewährten die USA keinerlei Rechtshilfe, sie ließen Verhöre Binalshibhs oder anderer von ihnen inhaftierten Verdächtigen nicht zu, sondern sie spielten den deutschen Behörden nur Zitate aus Verhören zu. Nach dem Motto: "Hund, friss oder stirb..."
Den Richter irritierte dieses Vorgehen im Dezember bereits derart, dass er Mzoudi auf freien Fuß setzte. Was den Strafverfolgern nun gar nicht passte und diese dazu verleitete, sich selbst lächerlich zu machen: Einen Tag vor der zunächst geplanten Urteilsverkündung versuchten sie, dem Prozess durch die Aussage eines aus dem Hut gezauberten angeblichen Zeugen eine neue Richtung zu geben und nun dasselbe: Stunden vor dem Urteil wurden wieder angeblich neue Informationen angeboten.
Der Richter blieb konsequent: So kann man niemanden verurteilen. Was freilich nichts über Schuld oder Nichtschuld Mzoudis besagt und diesem auch nicht ein Leben in Freiheit verspricht: Er könnte in seine Heimat ausgewiesen werden und dürfte dann dort verhaftet oder gar in die USA ausgeliefert werden.
Peter Philipp, © DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004