Dr. Frank Berghaus, 21. Mai 2009
zu Vorrang der Menschlichkeit von Adonis
Der Analyse von Adonis mag man ja zustimmen. Ein Haupthindernis im so
genannten interreligiösen Dialog liegt aber m.E. darin, dass die eigentlichen Konfliktlinien nicht sauber definiert sind. Islam ist eben nicht nur Religion, sondern untrennbar Religion und gesellschaftlich-politisches Modell. Islam ohne Staat tut sich schon deshalb so unendlich schwer, weil er historisch nie dazu gezwungen war, eigene Organisationsstrukturen zu entwickeln, die unabhängig vom Staat funktionieren. Ganz anders z. B. die katholische Kirche, die gleich in welcher Art von Zivilgesellschaft mit eigenen Strukturen (und eigenem Recht!) agiert. Zweifellos ein Erfolg der Aufklärung, der im Islam noch fehlt. Erste Ansätze dazu finden sich zwar im sog. "Euroislam" (s. Bassam Tibi), doch ist dessen Akzeptanz durch "rechtgläubige" Muslime bisher verschwindend gering. Ein weiterer Schwachpunkt Adonis liegt darin, dass er sich ausschließlich auf "Gläubige" bezieht und dabei verkennt, dass moderne Gesellschaft im Westen einen hohen Anteil (in D ca. 30%) an Bürgern aufweist, die völlig ohne metaphysische Erklärungen ein zufriedenes und erfülltes Leben führen. Oder sollen wir etwa der unsinnigen Forderung Peter Scholl-Latours folgen, der Westen müsse eben wieder christlicher werden, damit er endlich von den Moslemen als Ansprechpartner akzeptiert wird?