Egin Ceka, 24. Februar 2004
zu: Schach dem Scheich, von Mourad Kusserow
Merkwürdig, dass sich Qantara für den Dialog mit dem Islam einsetzen möchte, und dann Verschwörungstheorien von Herrn Kusserow veröffentlicht, nach denen die Islamisten dabei sind, das Königreich Marokkos zu stürzen.
Was der Autor hier überhaupt nicht erwähnt, ist, dass Scheich Abdessalam Yassine viele Jahre im Gefängnis verbracht hat, nicht zuletzt weil er den verstorbenen König kritisiert hat, Gelder im Ausland versteckt zu haben und willkürlich "ein König der Armen" zu sein.
Außerdem erwähnt der Autor nicht die gemäßigte Rolle von Adl wal-Ihsan, die nicht zuletzt bei den letzten Parlamentswahlen zum Vorschein kam. Die Bewegung wurde nicht zu einer Partei umfunktioniert und enthielt sich somit von den Wahlen. Sie hat die Mitglieder - nicht anderes als erwartet - zu Besonnenheit und Friedfertigkeit gerufen, was auch respektiert wurde.
Des Weiteren wäre doch bewundernswert, dass eine Frau eine führende Rolle bei der Organisation hat. Sie ist nicht zuletzt stellvertretend für viele Frauen, die sich mehr in ihrer muslimischen Gesellschaft engagieren möchten.
In Bezug auf die Verschwörungstheorien über Staatsstreich, blinden Gehorsam bis zum Morden und Sterben, über angebliche geheime Gelder, führt der Autor keine Beweise, sondern lediglich leidenschaftliche Sätze an.
Ich bin kein Marokkaner, interessiere mich aber für Marokko und kenne viele Marokkaner. Bei vielen von ihnen handelt es sich um traditionsbewusst und religiös erzogene Menschen mit einer geprägten Liebe zum Islam. Darüber hinaus handelt es sich um Menschen, die, unabhängig davon, ob die Monarchie "legal oder illegal" sei, sich ihrem Land und somit auch dem König verpflichtet fühlen. Die königliche Bezeichnung "Amir al Mu'minin" ("Fürst der Gläubigen") wird von ihnen allgemein respektiert. (…)
M.E. geht es dem Autor darum, einerseits die Beschneidungen bei den Menschenrechten zu legitimieren, um das Vorgehen der Regierung gegen Islamisten ohne Unterscheidung zu rechtfertigen; andererseits aber auch darum, zu behaupten, dass die jetzige kompromittierte Regierung die einzige Alternative sei. Und nicht zuletzt darum, einen Sündenbock zu finden, um von gesellschaftlichen Problemen abzulenken.
Es mag in Marokko Übeltäter geben, die aufgrund einer Fehlinterpretation des Islam den inneren Frieden gefährden. M.E. sind sie aber nicht innerhalb der Führung von Adl wal-Ihsan zu suchen. Vielmehr hat sich die Organisation als ein gesellschaftlicher Akteur profiliert, der einerseits für gesellschaftlichen Frieden sorgt, andererseits die sozialen Missstände in Marokko offen kritisiert. Scheich Yassine hat sowohl im Gefängnis als auch in Freiheit gezeigt, dass es ihm um einen friedlichen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft geht. Die Verteufelung genau dieser islamistischen Kräfte wäre kontraproduktiv. Sie würde mehr soziale Spannungen erzeugen und den sozialen Konsens zwischen muslimisch geprägter Gesellschaft und monarchistischem Staat gefährden. Vielmehr ist ein "Dialog mit dem politischen Islam" notwendig, wie er auch vom Journalisten Nabil Chbib auf Ihrer Webseite gefordert wird. Anstatt diese Ausprägung des Islamismus, die sich für einen friedlichen, sozialen und wirtschaftlichen Wandel einsetzt, der in arabischen und muslimischen Gesellschafen ohnehin notwendig ist, zu bekämpfen, sollte man ihm deutlich den gesellschaftlichen Auftrag anerkennen.
Mit freundlichen Grüßen,
Egin Ceka