Verwässert bis zur Unkenntlichkeit

Die Europäische Union hat am 15. Oktober 2007 die Sanktionen gegen Usbekistan erneut abgeschwächt. Die Entscheidung ist getragen von kurzfristigen Machtabwägungen, und sie offenbart Prinzipienlosigkeit, meint Marcus Bensmann.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier und der usbekische Außenminister Vladimir Norov in Taschkent, Usbekistan; Foto: AP
Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu Besuch bei seinem Amtskollegen, dem usbekischen Außenminister Vladimir Norov in Taschkent, Usbekistan

​​Die Außenminister der EU haben in Luxemburg das Einreiseverbot gegen acht usbekische Regierungsmitglieder für ein halbes Jahr ausgesetzt. Damit wurden die Strafmaßnahmen gegen das zentralasiatische Usbekistan innerhalb von zwei Jahren zum dritten Mal - nun bis zur Unkenntlichkeit - verwässert.

Die Sanktionen hatte die EU im Oktober 2005 als Reaktion auf die gewaltsame Niederschlagung des Aufstands in Andischan verhängt.

Das Massaker von Andischan

Am 13. Mai 2005 hatten usbekische Sicherheitskräfte von Panzerwagen aus in eine Menschenmenge von mehreren tausend Personen geschossen. Über fünfhundert Menschen, darunter Frauen und Kinder, sollen bei dem Blutbad umgekommen sein.

Die usbekische Staatsmacht leugnet dies und spricht von der Niederschlagung eines Putschversuches islamistischer Terroristen, der USA sowie westlicher Journalisten und Nichtregierungsorganisationen.

Nach dem Massaker von Andischan entfesselte die usbekische Staatsmacht eine Repressionswelle. Menschenrechtler und Journalisten wurden verhaftet oder außer Landes getrieben, Nichtregierungsorganisationen und ausländische Journalisten des Landes verwiesen. In Schauprozessen gestanden von Folter gezeichnete Inhaftierte die staatliche Version der Andischaner Ereignisse.

Deutsche Interessen

Die im Oktober 2005 verhängten Straffmaßnahmen, die eine Aussetzung des EU-Partnerschaftsabkommen mit Usbekistan, ein Waffenembargo und ein Einreiseverbot von zwölf hochrangigen Regierungsbeamten vorsahen, waren mit der Forderung nach einer internationalen Untersuchungskommission zu den Ereignisse von Andischan verbunden.

Des Weiteren sollte die usbekische Regierung die Menschenrechtslage verbessern. Keine dieser Forderung ist bisher von Taschkent erfüllt worden.

Die deutsche Diplomatie ist daran nicht unschuldig. Berlin fürchtete um den Bundeswehrstützpunkt im usbekischen Termes, zudem wollte Deutschland unter der EU-Präsidentschaft in der ersten Jahreshälfte die Zentralasienstrategie zum Erfolg führen, bei der Usbekistan ausdrücklich Partner sein sollte.

Die deutsche Außenpolitik setzte auf eine Doppelstrategie. Zum einen wurde von deutscher Seite alles unternommen, um die Sanktionen für Usbekistan so erträglich wie möglich zu gestalten. Gleichzeitig erklärten deutsche Politiker, dass die EU-Strafmassnahmen keinen Erfolg brächten.

Das Spiel ging auf. Das Partnerschaftsabkommen mit Usbekistan wurde im November 2006 wieder eingesetzt, und die Reisebeschränkungen im Mai 2007 von zwölf auf acht Personen reduziert. Lediglich das Waffenembargo bleibt weiter für ein Jahr in Kraft, es gab jedoch nie nennenswerten Rüstungsexport aus der EU nach Usbekistan.

"Erste Schritte"

Die neuerliche Sanktionserleichterung begründete das Kommissionsmitglied für Außenpolitik, Benita Ferrero Waldner, mit "ersten Schritten" aus Usbekistan, darunter die Strafrechtsreform, die Aufhebung der Todesstrafe, die Freilassung einiger Menschenrechtler sowie zwei Gesprächsrunden zu Andischan und der Beginn einer Gesprächsrunde zu den Menschenrechten. Es sind zwar Schritte, die jedoch auf der Stelle treten.

Die Expertengespräche zu Andischan wurden vereinbart, nachdem der usbekische Außenminister Wladimir Norow im November 2006 Brüssel besuchte. Zweimal reiste daraufhin eine Expertengruppe der EU nach Usbekistan, um sich ausschließlich usbekische Propaganda anzuhören. Ihnen wurden die Ermittlungsunterlagen der usbekischen Behörden zur Verfügung gestellt und sie durften mit Inhaftierten sprechen, die im Gefängnis die usbekische Staatsversion wiederholten.

Die Abschaffung der Todesstrafe zum Jahre 2008 ist der einzig wirkliche Erfolg, nur wurde dies vom usbekischen Präsidenten Islam Karimow seit Jahren - noch vor dem Massaker von Andischan - versprochen und immer wieder hinausgezögert.

Keine Aufklärung des Massakers

Die anderen Strafrechtsreformen haben jedoch praktisch keinerlei Auswirkungen auf die usbekische Wirklichkeit. In usbekischen Gefängnissen und Lagern wird weiterhin gefoltert. Der Journalist Ulugbek Haidarow, der nach dem Besuch Steinmeiers in Usbekistan im November 2006 freikam, konnte kaum laufen, da man seine Füße mit der Bastonade blutig geschlagen hatte.

Haidorw berichtete ebenfalls, wie ein junger Häftling vor seinen Augen zu Tode geprügelt wurde. Die Einführung des "Habeas Corpus"-Prinzip ändert nichts daran, dass es in Usbekistan keinen unabhängigen Richterstand gibt.

Als letztes Trostpflaster verbindet die EU die Aussetzung der Einreisverbote mit der Forderung, dass in dem nächsten halben Jahr Human Rights Watch und das Internationale Rote Kreuz in Usbekistan arbeiten dürfen und inhaftierte Menschenrechtler freikämen. Um die Sanktionen aber wieder zu verschärfen, müsste es schon ein zweites Massaker geben, erklärte ein Diplomat auf Radio Free Europe.

Auf die Aufklärung des Andischaner Massakers ist jedoch in dem neuerlichen EU-Ratsbeschluss zu Usbekistan nicht mehr die Rede. Europa hat die Toten von Andischan endgültig auch politisch begraben.

Marcus Bensmann

© Qantara.de 2007

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