Hoffnung auf ein Ende der Eiszeit
Es ist ein Zufall, dass das Weltsozialforum mit dem plötzlichen diplomatischen Tauwetter zwischen Indien und Pakistan zusammenfällt. Rund 1000 Pakistaner sind nach Bombay gekommen – für viele der erste Besuch im Nachbarland. Thomas Bärthlein hat sich in Bombay mit einigen Delegierten auf dem Weltsozialforum unterhalten.
Vor wenigen Monaten hätte noch niemand für möglich gehalten, dass so viele Pakistaner - darunter auch zwanzig Parlamentarier – nach Indien kommen könnten. Schließlich gab es schlicht und einfach keine Verkehrsverbindung, von den Visa-Bestimmungen ganz zu schweigen. Erstaunlich umso mehr, dass sich auf dem Weltsozialforum so viele pakistanische Delegierte trafen.
Zerbrochener Mythos
Für Hena Shahida, eine der pakistanischen Aktivistinnen auf dem Forum, spricht diese Entwicklung eine deutliche Sprache: "Das wichtigste ist eigentlich, dass ein Mythos, den es um die indische und die pakistanische Identität gab, zerbrochen ist. Denn in unserem Kopf steckten alle möglichen Dinge, über die wir uns selber nicht im Klaren waren: ‚Inder sind wie...' Also, ich war auch schon im Ausland. Mir war klar, dass Inder auch Menschen sind. Aber unsere Kinder, die denken, dass Inder irgendwelche merkwürdigen Wesen sind."
Aber auch Tayabba Riaz hat festgestellt, dass auch Inderinnen zum Teil eigenartige Ideen über ihre pakistanischen Nachbarinnen haben. "Eine dachte zum Beispiel, pakistanische Frauen sind so rückständig, dass sie nicht aus dem Haus gehen können. Und sie war so erstaunt: ‚Ihr jungen Frauen seid hierher gekommen, sprecht mit Leuten. Wir dachten, ihr dürft mit niemandem reden!'"
Wali Haider aus Karachi ist wiederum beeindruckt von Indien und den Inderinnen: "Die Menschen sind sehr offen. Ich sehe, wie die Frauen ohne Probleme in der Riksha herumfahren, sogar selber Motorroller fahren. In Pakistan denken wir, dass Indien vielleicht ein konservatives Land wie unseres sei. Aber sie sind in ihren Einstellungen uns in Pakistan weit voraus. Das müssen wir anerkennen und ihre Wertvorstellungen, das Gute von hier übernehmen."
Wunsch nach Ende der Konfrontation
Sich gegenseitig kennen lernen, Vorurteile abbauen, voneinander lernen: Das ist der erste Schritt. Die Erfahrungen der pakistanischen Delegierten auf dem Weltsozialforum zeigen aber auch ganz deutlich: Wenn demnächst wirklich viele Inder und Pakistaner ins andere Land reisen sollten, dann haben die Regierungen in kürzester Zeit keine Chance mehr, eine Politik der Konfrontation beizubehalten. Der Wunsch nach Frieden, der in der Bevölkerung in beiden Ländern existiert, ist schlicht überwältigend.
Zunächst geht es den Delegierten in Bombay aber darum, den Austausch fortzusetzen und auszubauen. Kamran hat das Weltsozialforum auf eine Idee gebracht: "Schauen Sie, hier in Indien finden Sie viel mehr Akademiker und Experten als bei uns in Pakistan, weil es einfach größer ist. Wir könnten also Leute, die hier wohnen, und die sich in ihrem jeweiligen Feld gut auskennen, zu uns einladen, um Workshops und Seminare zu all den globalen Themen abzuhalten: Ob jetzt Globalisierung, Frieden oder Kleinwaffen. Wir laden uns Leute aus dem Ausland ein, aus Amerika, Kanada oder England. Warum sollen wir nicht unsere eigenen Leute einladen, die Erfahrung in ihrem Feld haben?"
Gastfreundschaft auf Pakistanisch
Überhaupt ist Kamran großzügig, was Einladungen angeht. So sieht pakistanische Gastfreundschaft aus: Kamran: "Am Stand des Pakistanischen Sozialforums, wo wir heute saßen, waren die meisten Besucher, die vorbeikamen, Inder. Immer wieder kamen welche und sagten zu mir: ‚Wo kommen Sie her? Wir wollen nach Lahore kommen!' - wo ich wohne - ‚Und wir wollen bei Ihnen zuhause wohnen! Nicht im Hotel!'
Ich habe gesagt: ‚Herzlich willkommen!' Was immer ihre Gründe sind, sie wollten erfahren, wie wir im Alltag leben. Sehen Sie das nicht negativ, das war ein Wunsch aus ihrem Inneren, dass sie bei uns zuhause wohnen ... Ich habe gesagt: Klärt das besser mit meiner Frau!", sagt Kamran lachend. "Die meisten, die damit kamen, habe ich eingeladen. Mal schauen, wie viele auftauchen, wie viele ich unterbringen kann. Also, das ist der Stand der Dinge."
Thomas Bärthlein © DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004