Nachrichtensender Al Arabia spricht mit Fischer

Anlässlich seiner Reise in die Vereinigten Arabischen Emirate nahm der arabische Fernsehsender Al Arabia die Gelegenheit wahr, den Außenminister über aktuelle Themen der Irak- sowie der Nahostpolitik zu interviewen.

In einigen Tagen soll die Machtübergabe an die irakische Übergangsregierung erfolgen. Sind Sie sicher, dass diese Regierung in der Lage sein wird, die irakischen Angelegenheiten in der kommenden Phase zu regeln?

Joschka Fischer: Zunächst glaube ich, dass die UN-Resolution 1546 des Sicherheitsrates eine gute Entscheidung war. Alachdar al Ibrahimi hatte keine leichte Mission im UN-Sicherheitsrat, aber er war letztendlich doch erfolgreich. Alle irakischen Parteien waren sich über diese Mission einig, die mit der Machtübergabe gemäß internationaler Wahlen endet. Am 1. Juli wird die Macht und die Souveränität an Irak übergeben. Das ist eine großartige Chance, die vom irakischen Volk genutzt werden sollte.

Glauben Sie, dass die irakische Regierung über genügend Macht und Souveränität verfügen wird, um ihr Programm zu erfüllen?

Fischer: Ich bin kein Prophet. Wir müssen abwarten. Meiner Ansicht nach ist das irakische Volk daran interessiert, die Sicherheitslage zu verbessern. Das ist der erste Faktor. Zweitens meine ich, dass ist es notwendig ist, dass auch die Nachbarn ein Interesse daran haben sollten. Das ist eine konstruktive Sache, die zu freien und rechtmäßigen Wahlen und einer wahren irakischen Souveränität führen wird, und zwar gemäß einer demokratischen Verfassung, und nicht zu einem Bürgerkrieg. Niemand in der Region ist an einem Bürgerkrieg in Irak interessiert. Wir alle, im Osten wie im Westen, verfolgen das Interesse in der arabischen Region, den Terrorismus zu bekämpfen. Ich glaube, dass diese drei Faktoren sehr wichtig sind.

Sehen Sie eine Chance für eine Rolle der NATO in naher Zukunft oder für andere Truppen, wie die multinationalen Truppen in Irak?

Fischer: Es gibt ja die Koalitionstruppen. Meiner Ansicht nach ist der wichtigste Faktor die Verbesserung der Sicherheitslage, das heißt die Wiedereinsetzung der irakischen Sicherheitskräfte selbst. Wir hatten einen erfolgreichen Versuch mit den deutschen Polizeikräften und den Polizeikräften der VAE, der zur Schulung der irakischen Polizeikräfte beigetragen hat. Meiner Ansicht nach war dies ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit zur Verbesserung der irakischen Fähigkeiten in der Wahrung der Sicherheit in ihrem Land.

Es ging kürzlich um die Übergabe von Saddam Hussein und einigen früheren irakischen Verantwortlichen an die irakische Übergangsregierung. Einige befürchten, dass der Prozess nicht gerecht verlaufen werde und zu einem Vergeltungsprozess werde. Sind Sie über diese Sache beunruhigt, oder sind Sie darüber besorgt?

Fischer: Natürlich sind wir dafür, dass jeder, der ein früherer Diktator oder Tyrann war und schreckliche Verbrechen gegen sein Volk verübt hat, vor ein gerechtes Gericht gestellt wird. Ich glaube, dass dies für die Zukunft sehr wichtig ist. Ich möchte aber hier nicht ins Detail gehen, weil wir nicht Teil dieser Koalition sind. Das wird meines Erachtens zwischen der irakischen Regierung und den Koalitionstruppen erörtert werden.

Deutschland hat einen starken Standpunkt gegen den Krieg eingenommen. Wie Sie wissen, hat eine unabhängige amerikanische Untersuchungskommission herausgefunden, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Regime von Saddam Hussein und El Kaida gibt. Bis zum heutigen Tag wurden keine Beweise für das Vorhandensein von Massen­ver­nichtungswaffen gefunden. Wie sehen Sie diese Sache? Stärkt das die deutsche Haltung?

Fischer: Die USA sind wichtig für uns, sie sind einer unserer größten Verbündeten. Aufgrund meiner Erfahrung als deutscher Außenminister seit fünf Jahren spielen (die USA) eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung des Friedens und der Sicherheit in der Welt. Andererseits sind wir gute Freunde der USA ... Wir müssen in die Zukunft und nach vorne blicken. Wir sind für die Übergabe der vollen Souveränität an die Iraker, an eine legitime Regierung in Irak, und für eine Verbesserung der Sicherheitslage in Irak, für irakische Sicherheitskräfte und für die Aufrechterhaltung der politischen nationalen Einheit Iraks. Das sind die wichtigen Punkte. (...)

Welche sind Ihrer Meinung nach die Haupthindernisse für eine politische Entwicklung in Irak?

Fischer: Zunächst liegt das in den Händen der Iraker. Sie müssen zu einer Übereinkunft gelangen ..., die am Anfang vielleicht etwas bröckelig sein wird, aber wir haben dies schon in Afghanistan ausprobiert ... Die betroffenen Parteien müssen nur die nationalen Interessen ihres Landes umsetzen, das heißt, sie müssen den Bürgerkrieg meiden, einen Übergangs­prozess durchlaufen, der eine demokratische Verfassung und demokratische Wahlen sichert, die den Willen des irakischen Volkes widerspiegeln. Das ist der Kern der UN-Resolution, und das muss auch umgesetzt werden. Das liegt allein in den Händen der irakischen Behörden.

Nun zum Nahost-Friedensprozess, der zur Zeit auf Eis liegt. Die EU-Staatschefs haben kürzlich eine Erklärung abgegeben, in der Sie den israelischen Abzugsplan aus Gaza begrüßt haben. Glauben Sie, dass dieser Schritt ausreichend ist, oder sollten noch weitere Schritte folgen?

Fischer: Ja, es müssen noch weitere Schritte folgen. Aber ich glaube, was noch wichtiger ist, dass dieser (Abzugsplan) ein Teil der Roadmap ist - nicht außerhalb oder gegen die Roadmap ... Ägypten bemüht sich sehr um eine Verbesserung der Sicherheitslage und um die Bildung von qualifizierten palästinensischen Sicherheitskräften, um eine wirkliche Übergabe zu garantieren. Wenn es uns gelingen sollte, die palästinensische Macht in Gaza nach dem Abzug aller Truppen zu festigen und die Auflösung aller Siedlungen zu erreichen, könnte dies den Anfang für das Westjordanland bedeuten. Ich glaube, dass dies eine wahre Chance ist, die ergriffen und umgesetzt werden sollte. Es ist bisher eine anhaltende Tragödie. Es ist schmerzlich zu sehen, wie Kinder, Unschuldige, Zivilisten leiden und wie Häuser zerstört werden, und dass es Terrorangriffe gibt. Jeder in der internationalen Gemeinschaft, in Palästina und in Israel, muss wissen, dass die beste Lösung die der zwei Staaten ist, die nebeneinander in Frieden leben. Die Frage wurde bereits hunderte, ja tausende Male unterbreitet. Es hängt aber vom gegenseitigen Vertrauen ab und dem Willen, zur Zwei-Staaten-Lösung zu gelangen, die in friedlicher Nachbarschaft leben.

Sie erwähnten das Leid der Palästinenser. Hier in der Region nehmen es einige Deutschland übel, dass es keine definitive Haltung gegenüber dem Vorgehen Israels hat, insbesondere im Gazastreifen. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Fischer: Unsere arabischen Freunde verstehen, dass wir eine besondere Beziehung zu Israel haben aufgrund unserer historischen und moralischen Verantwortung für die Massaker in den vierzigen Jahre... Aber fragen Sie auch unsere palästinensischen Freunde. Deutschland gehört zu den größten Gebern für den Wiederaufbau der Region vor der zweiten Intifada. Wir haben gute Beziehungen zu beiden Seiten ... Es ist wichtig, die Türen zu beiden Seiten offen zu halten und alles daranzusetzen, eine Übereinkunft mit den Palästinensern zu erreichen, die unsere Politik kennen und unsere israelischen Freunde, die genau wissen, dass wir eine konstruktive Rolle in der Region spielen.

Es wurde kürzlich eine Antisemitismus-Konferenz in Deutschland abgehalten. Einige denken, dass dies ein pro-israelisches Ereignis war. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Fischer: Der Antisemitismus ist eine schreckliche Sache, der zu den Massakern in den vierzigerJahren geführt hat. Aus diesem Grunde sind wir gegen den Antisemitismus und gegen den Rassismus und sind Befürworter der Aussöhnung ... Wir sind hier, um die humanistische Idee zu unterstützen und die Diskriminierung zu bekämpfen. Das ist unser aller Verantwortung. Alle Menschen sind gleich, und es gibt keine Unterschiede zwischen den einen und den anderen, Juden, Christen oder Moslems, Gläubigen und Nichtgläubigen ... Wir müssen alle in Frieden leben, wir haben keine andere Alternative. Deswegen bekämpfen wir den Antisemitismus, die Diskriminierung und den Rassismus.

Ist das eine Methode, die Fehler der Vergangenheit in Deutschland zu verbessern?

Fischer: Nein, nein. Wir haben zum Beispiel die Erfahrung in Europa und auch in meinem Land gemacht. Die Menschen selbst greifen die Synagoge und die Moscheen an. Vielleicht hat man andere Vorstellung im Nahen Osten, und es entstehen Spannungen und Trauer auf arabischer Seite. Es gibt keine Legitimität für einen Angriff auf eine Kirche, Synagoge oder Moschee. Es sind für uns alles heilige Stätten. (...)

Beim jüngsten G8-Gipfel ging es um eine Initiative zu Reformen im Nahen Osten. Einige hier in der Region glauben, dass diese Reformen von außen auferlegt werden und aus diesem Grunde von den Völkern dieser Region abgelehnt werden. Wie sehen Sie das?

Fischer: ... Niemand hat Interesse daran, der Region Reformen oder Initiativen aufzuzwingen. Was wir benötigen, ist eine starke Haltung und eine starke arabische Stimme in diesem 21. Jahrhundert. Es gibt viele Konflikte und Probleme in dieser Region. Jetzt haben wir auch gemeinsam mit der Bedrohung des Terrorismus zu tun. Der Nahe Osten ist unser Nachbar. Wenn wir über Sicherheit für Europa sprechen, sprechen wir von ganz Europa, dem Mittelmeer und dem Mittelmeerraum. Wird dies eine Arena der Konfrontation oder der Zusammenarbeit? Das ist die wichtige Frage unserer Sicherheit. Wir haben also ein Interesse daran, den regionalen Konflikt zwischen den Palästinensern und den Israelis zu lösen und zum wirtschaftlichen Wachstum überzugehen. Meiner Ansicht nach ist der regionale Handel eine wichtige Sache ... Es besteht das Gefühl, dass die Araber in der Welt von morgen ihre Rolle spielen müssen ... (...)

Einige sagen, dass es große Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihnen und Bundeskanzler Schröder im Hinblick auf Nahost-Fragen gibt?

Fischer: Nein. Woher haben Sie diese Idee? Es gibt zwischen mir und Herrn Schröder keine Meinungsverschiedenheiten. Das ist Unsinn. (...)

Sie haben jetzt ein neues Einwanderungsgesetz, das Schröder als fortschrittlich beschrieben hat. Einige sind der Meinung, dass es den Würgestrick um Personen arabischer und islamischer Abstammung festzieht, so dass man sie sofort ausweisen kann. Man betrachtet sie dann als potenzielle Terroristen. Wie ist Ihre Antwort hierauf?

Fischer: Auf keinen Fall. Wir haben in Deutschland eine starke islamische Minderheit. Sie sind bei uns willkommen. Einige sind in der zweiten und dritten Generation in Deutschland, aus der Türkei und aus arabischen Staaten. Sie gehören nun zu Deutschland. Sie leben in Deutschland, und wir leben mit ihnen in Frieden. In Deutschland werden Moscheen gebaut. Wir haben die Kultur der Versöhnung, die wir unterstützen wollen. Wir bekämpfen den Terrorismus, aber der Terrorismus bedeutet nicht Islam gegen Christentum oder Christen gegen Moslems. Das ist die Strategie bin Ladens, der die Konfrontation zwischen den Kulturen und den Religionen anstrebt. Unsere Nachbarn sind keine Terroristen, sondern Partner. Es gibt überall Terroristen. Wir müssen diesen Terrorismus bekämpfen. Wir dürfen die Strategie bin Ladens nicht verfolgen ... Wir brauchen die Versöhnung und wollen alle in Frieden leben. Also geht es bei diesem Gesetz nicht um einen Würgestrick.

Libyen hat vieles darangesetzt, um wieder in den internationalen Schoß aufgenom­men zu werden. Was fordert Deutschland von Gaddafi, um den Dialog mit Libyen wieder aufzunehmen?

Fischer: Wir schätzen dies sehr. Dies ist ein positiver Schritt, den wir sehr begrüßen. Aber es gibt noch Probleme der Vergangenheit. Ein Terrorangriff ist geschehen, und die Familien der Opfer brauchen Entschädigung. Es sind Konsultationen zwischen den Anwälten und den Familien der Opfer im Gange. Wir hoffen, dass sie bald eine Übereinkunft erreichen werden.

Ihrer Meinung nach reichen finanzielle Entschädigungen zur Wiederaufnahme des Dialogs mit Libyen?

Fischer: Das ist eine Diskussion zwischen der libyschen Regierung und der Anwälte der Opfer. Wir schätzen diese positive Entwicklung zwischen der internationalen Gemeinschaft und Libyen.

Die europäische Verfassung ist nun nach langen Debatten verabschiedet worden. Wie ist Ihre Meinung hinsichtlich des Verbots von religiösen Symbolen?

Fischer: Meiner Ansicht nach verwechseln Sie jetzt einiges. Dass es Sätze über das Christentum und Gott in der Verfassung gibt ..., diese Frage ist gelöst worden. Es ist ein neutraler Text gewählt worden. Hinsichtlich der religiösen Symbole gibt es ständige Diskus­sionen zwischen den einzelnen Ländern, unter anderem Deutschland. Ich bin für die Toleranz der Religionen, aber es gibt andere, die eine andere Meinung haben. Ich wäre glücklich, wenn die Toleranz der Religion in Europa und in der arabischen Welt eines der Hauptprinzipien wäre, denn jeder hat das Recht auf den Glauben an Gott ... Wir dürfen nicht über religiöse Fragen debattieren, den dies könnte zu einer Katastrophe führen. (...)

Wie sehen Sie die Entwicklung der zukünftigen Beziehungen zwischen der neuen EU und der arabischen Welt?

Fischer: Wir haben strategische Interessen ... Wenn sie die Geschichte beider Regionen betrachten, so waren sie tragödienreich. Aber es gab auch Positives. Wir haben Partner wie Israel und haben die Zusammenarbeit mit der Golfregion und der arabischen Region. Wir sind stets bereit, unsere Beziehungen zu verbessern. (...)

© Al Arabia 21.06.2004

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