"Multikulti ist dann bei uns zuhause"
An einem Kölner Gymnasium lernen Jugendliche aus 28 Nationen zusammen. Aber auch in anderen Lebensbereichen - in der Nachbarschaft, im Freundeskreis, in der Disko - werden Jugendliche mit anderen Ländern, Kulturen und Lebensweisen konfrontiert. Monika Hoegen von der DW hat mit einigen gesprochen.
Matthias ist 18 Jahre alt und froh, dass er durch seine türkischen Freunde die islamische Kultur besser kennen gelernt hat. "Für mich ist sehr wichtig, dass man erkennt, dass die eigene Religion nicht das Non-plus-Ultra ist und dass andere Leute sehr glücklich werden können mit einer anderen Religion. Und ich glaube, das kann man nur dann lernen, wenn man andere Leute mitbekommt. Man kann zwar darüber lesen, aber ich glaube, es ist auch ganz wichtig, andere Leute kennen zu lernen."
28 Nationen an einer Schule
Matthias hat auch Freunde aus Polen, Ungarn und afrikanischen Ländern - und profitiert davon. Viel offener, so sagt der junge Mann, sei er seither geworden. Viele Jugendliche bestätigen das. Am Kölner Hansa-Gymnasium müssen derzeit Jungen und Mädchen aus 28 Nationen miteinander auskommen. Murat, ebenfalls 18 Jahre alt, ist in Deutschland geboren, stammt aber aus einer türkischen Familie. In der Schule kämen Ausländer und Deutsche gut miteinander zurecht, sagt er, vorausgesetzt, die Türken sonderten sich nicht in Einzelgrüppchen ab. Wo über Nationengrenzen hinweg Freundschaften entstehen, da findet auch ein positiver Austausch statt, meint Murat.
"Ich denke schon, dass meine Freunde deutscher Herkunft etwas mitgenommen haben von mir und meiner Kultur – schon allein bei uns zuhause. Da ist zum Beispiel das Essen anders. Meine Mutter kocht türkisch, und wenn dann meine Freunde zu uns kommen - aus allen verschiedenen Ländern – dann ist Multikulti bei uns zuhause. Wir essen dann türkisches Essen und meine Mutter erklärt meistens ein bisschen über die Hintergründe des Essens, und ich erzähle auch ein bisschen ... Also, denen schmeckt es."
Stolz auf das eigene Land
Murats Klassenkameradin Geraldine fällt außer exotischem Essen noch ein ganz anderer Bereich ein, in dem sie als Deutsche von Ausländern lernen könnte. "Was ich zum Beispiel an Ausländern bewundere“, sagt sie, „ist, dass sie ganz anders mit ihrem Land umgehen können, viel lockerer. In der Presse hat einmal jemand gesagt, dass er stolz auf Deutschland ist. Danach gab es eine lange Diskussion bei uns in der Klasse. Aber die Ausländer haben überhaupt nicht verstanden, dass es peinlich ist oder verpönt, wenn man sagt, dass man stolz auf Deutschland ist. Die können viel lockerer mit ihrem Land umgehen und haben viel größeren Nationalstolz und Patriotismus."
Nicht übertriebene Vaterlandsliebe, sondern das eigene Land Wert zu schätzen und sich bewusst darüber sein, wie gut es einem gehe, das könnte auch den Menschen in Deutschland nicht schaden, meint Geraldine: "Meiner Meinung nach können wir das auch ein bisschen gebrauchen, dass wir froh sind, in Deutschland leben zu können. Einfach, dass man das Glück hat, hier zu leben, eine gute Schulbildung zu bekommen und ein gutes Leben zu führen."
„Einfach ganz normale Freunde“
Aber der Umgang mit ausländischen Gleichaltrigen, so sagen viele Jungen und Mädchen, zeigt nicht nur kulturelle, religiöse oder politisch-soziale Unterschiede auf. Es sei einfach ganz normal. Ob jemand Ausländer sei oder nicht, darüber machen sie sich meist gar keine Gedanken.
"Mein Leben beeinflusst das eigentlich gar nicht“, meint zum Beispiel die 15-jährige Julia. „Ich habe auch mit Ausländern zu tun, habe ausländische Freunde, aber bei uns wird gar nicht viel drüber nachgedacht, dass das jetzt Ausländer sind. Das ist einfach ganz normal, das sind einfach ganz normale Freunde. "
Dagmar Siegmann ist Lehrerin für Deutsch und Sozialwissenschaften am Hansa-Gymnasium. Und sie bestätigt: Was häufig als Multikulti beschworen wird, ist vielfach eine Selbstverständlichkeit. Die unterschiedlichen Werte zwischen Deutschen und Ausländern hätten sich insbesondere in der jungen Generation doch längst verwischt.
Bewusstseinserweiterung durch Kontakt zu Ausländern
"Die Ausländer integrieren sich in der Bundesrepublik, in die Gesellschaftsstrukturen, die da sind, und nicht umgekehrt“, so Siegmann. „Wir erleben eine Bewusstseinserweiterung dahingehend, dass wir andere Religionen, andere Familienverhältnisse kennen lernen, andere Umgangsformen vielleicht noch, die aber in der Generation, von der hier die Rede ist, gar nicht mehr in der Originalform erhalten sind. Es gibt ja nur noch ganz wenige Erkennungszeichen bei den Jugendlichen, außer den dunklen Haaren vielleicht. Sie sprechen fließend Deutsch, sie ziehen sich so an wie wir, sie unterscheiden sich nicht von anderen."
Ob seine Wertvorstellungen von Ausländern grundlegend verändert wurden? Letztlich ist sich da auch Matthias, der so viele ausländische Freunde hat, nicht mehr so ganz sicher:
"Für mich ist die Frage deshalb nicht, ob man hier oder dort von einem ausländischen Schüler beeinflusst wurde, sondern man sieht die Menschen irgendwann einfach als Freunde oder als nicht-Freunde, aber nicht mehr als Ausländer. Ich glaube, diese Kategorie ist hier obsolet geworden. "
Monika Hoegen
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